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Deutsches Weich.

Berli n, 12. Okt. Der Kaiser und die Kaiserin werden, da die schöne Witterung an­zuhalten scheint, noch einige Tage in Hubertus- stock bleiben. Der Kaiser fährt jeden Morgen und jeden Nachmittag auf die Pürsche. Die Kaiserin pflegt den Kaiser auf den Pürschfahrten selbst am frühen Morgen zu begleiten.

Berlin, 21. Okt. Die überaus rege Teil­nahme, die Kaiser Wilhelm allen öffentlichen Vorgängen zuwendet, hat sich schon oft in ge­wissen impulsiv aus dem entschiedenen Temper­ament des jungen Monarchen fließenden Ent­schließungen offenbart. Die B. N. N. bringen dafür einen neuen Beweis zur Kenntnis. Da­nach hat der Kaiser unmittelbar nachdem ihm der aufregende Vorfall, der sich zwischen dem General z. D. v. Kirchhofs und dem Redakteur des Berliner Tagblattes abspielte, bekannt ge­worden, mit der telegraphischen Anweisung an den Justizminister gewendet, die Akten des Pro­zesses gegen Ewald und Genossen einzuforvern. Vor dem Abgang dieser Ordre waren der Kriegs­minister und der Chef des Zivilkabinets in der Angelegenheit zum Vortrag befohlen worden.

Berlin, 13. Okt. Finanzminister Miquel hielt nach der Voss. Ztg. jüngst über die Reichs­steuerfrage dem Kaiser in Hubertusstock Vortrag.

Der Reichsanzeiger teilt seit langer Zeit zum erstenmale wieder im nichtamtlichen Teil die Berichte über die Reise des Fürsten Bismarck mit.

Dem St. N. Tagbl. wird aus Berlin, 3. Okt. geschrieben: Seit drei Jahren haben wir eine Ueberproduktion in der Gesetz­gebung. Kaum vermag selbst der Berufspoli­tiker den Erscheinungen auf diesem Gebiete zu folgen. Es ist, als ob eine lange aufgestaute Flut freigeworden wäre, und fast unabsehbar ergießen sich die Wasser. Da stand früher ein mächtiger Damm und wehrte dem allzu schnellen Fluß. Cs genügte das Wort:Fürst Bis­marck will nicht!" dann blieben die feinstaus­gearbeiteten Entwürfe der Geheimen Räte und eifrigerjüngerer Kräfte" in den Pulten. Zum Wohl der Oeffentlichkeit. die jetzt vor derFülle der Gesichte" mehr Beklemmung empfindet als Freude darüber, daß wieder einFortschritt" sich vollziehen soll. Reformen überall. Man hat das Gefühl, in einem Hause zu wohnen, wo die Reparaturen kein Ende nehmen. Heute klopft der Schreiner, morgen klebt der Tapezierer und übermorgen trägt man gar das Dach ab. Aber die Schuld an dieser Massengesetzgebung trägt durchaus nicht allein die Regierung. Der Wetteifer der Parteien, ihren Anhängern zu Willen zu sein, hilft dazu mit in einem Ueber- maß von Anträgen und Resolutionen. Ein Glück nur, daß vom parlamentarischen Beschluß bis zum Gesetz in dem Falle mehr als ein Schrill ist! Man scheint auch in Regierungskrisen zu der Ueberzeugung gekommen zu sein, daß ein Fortfohren in diesem Schnelltempo auf Handel und Wandel schädigend wirken muß. Sonst würde die offiziöse Nordd. Allg. Ztg. nicht so­eben in ihren Spalten einen Aufsatz wiederge­geben haben, der nachdrücklich dieBitte um Schonzeit" ausspricht.

Berlin, 11. Okt. Kürzlich hat in dem Unterhaltungsteil der Tagesblätter eineStil­blüte" die Runde gemacht, die für die Form desJuristendeutsch" eine lehrreiche und nicht gar schmeichelhafte Probe abgeben mochte. Wie die B. N. N. erfahren, hat man an maßgeben­der Stelle jene Kundgebung eines sachlich nicht unberechtigten kritischen Einwandes nicht unbe­achtet gelassen. Der Justizminister hat die Ober- landesgerichtspräsidenten sowie die Oberstaats­anwälte ersucht, bei den ihnen unterstellten Be­amten darauf zu wirken, daß sie sich in allen amtlichen Mitteilungen und Verfügungen eines möglichst einfachen und klaren deutschen Aus­drucks bedienen sollen.

Berlin. Die Regelung der Sonntags­ruhe im Schankwirtschaftsbetrieb ist jetzt an zu­ständiger Stelle in Angriff genommen, vorläufig allerdings erst im Stadium der Vorarbeiten. Es soll eine umfassende Erhebung über die bis­herige thatsächliche Beschäftigung des Hilfs­

personals in den Wirtschaften, über die Dauer des Betriebes überhaupt, die Zahl der Hilss- personen, soweit sie der Familie des Unter­nehmers nicht angehören rc., und zwar mittels- Fragebogen, die für jeden einzelnen Wirtschafts­betrieb beantwortet werden sollen, eingeleitet werden. Vorläufig sind die unteren Verwalt­ungsbehörden angewiesen, mit thunlichster Be­schleunigung die Anzahl der in ihren Bezirken vorhandenen Wirtschaften, in denen Hilfskräfte außer der Familie des Betriebsleiters beschäftigt werden, zu ermitteln undeinzuberichten", um danach die Zahl der zu verteilenden Fragebogen zu bestimmen.

Stettin, 13. Okt. Außer den heute ge- meldeten 7 Cholerafällen sind von dem Polizeipräsidenten sieben neue Fälle bekannt ge­macht worden.

Bonn, 13. Okt. DerGeneralanzeiger" meldet: Der heute nachts 1 Uhr 22 Min. von Köln hier eingetroffene Personenzug überfuhr bei dem Bahnübergang bei Brühl ein Fuhrwerk. Von den Insassen wurden drei getötet und zwei verwundet. Die Verwundeten wurden in die hiesige Klinik übergeführt.

Trier, 9. Oktbr. Unterhalb der Mosel­brücke ereignete sich in der Nähe des Vorortes Pallien, ein schweres Unglück. Ein Knecht fuhr mit Pferd und Wagen an die Mosel, um Sand zu holen. Plötzlich verschwand das Gefährt mit dem Fuhrmann in den hochgehenden Wogen der Mosel. Sowohl der Knecht als auch die beiden Pferde ertranken vor den Augen der entsetzten Zuschauer.

Kassel, 10- Okt. Schon wieder ein Un­glück durch leichtfertiges Umgehen mit einem Gewehr. In dem Dorfe Grüßen im Franken­berger Kreise hat ein Jagdpächter, der seine Doppelflinte reinigte, indem er sie zum Fenster hinaushielt, zwei Personen, die im Hofe be­schäftigt waren, erschossen.

Mülhausen, 11. Okt. Gestern und heute wurde vor der Strafkammer ein Prozeß wegen Uhrenschmuggels aus der Schweiz ver­handelt, der mit der Verurteilung von 20 Per- sonen, von welchen die meisten ihren Wohnsitz in Chaux de-Fonds haben, zu Geldstrafen bis zu 126 990 vtL endigte. Außerdem wurde die Einziehung derjenigen Uhren, welche beschlag­nahmt werden konnten, und einen Wert von 14 654 ^ 80 ^ haben, ausgesprochen und er­kannt, daß für diejenigen geschmuggelten Uhren, welche nicht eingezogen werden konnten, ein Weriersatz von 210654 41 zu zahlen ist.

für welchen Betrag ein Verurteilter ganz, die übrigen Verurteilten nach Maßgabe ihrer Be­teiligung samtverbindlich haften.

Württemberg.

Den Kindern, die bei dem Empfange der Kaiserl. Majestäten in Kornwestheim Blumen­sträuße überreichen dürften, ist eine große Ueber- raschung zuteil geworden. Im Aufträge der Majestäten ist jedem der drei Mädchen, dem Töchterchen des Pfarrers Pichler, des Schult­heißen Völmle und des Bürgerausschußobmanns Ergenzinger aus dem Kabinet der Kaiserin eine goldene Brache mit der Kaiserkrone und dem Namenszug der Kaiserin >n Begleitung eines huldvollen Schreibens als Andenken zugegangen. Das Söhnchen des Feuerwehrkommandanten und Oekonomen W. Pfeil erhielt einen reich in Gold und Silber getriebenen wappengeschmückten Becher mit Widmung.

Stuttgart, 13. Okt. Das Schießen vom Garten der Liederhalle aus scheint einen harm­loseren Grund zu haben, als zuerst angenommen wurde. Man hört, daß am Tage zuvor in einer Dienstbotenkammer der Liederhalle eingcbrochen worden sei und daß am nächsten Abende der Dieb im Garten vermutet wurde. Um denselben aufzuschrecken (!), habe der Pächter der Lieder­hallewirtschaft in die Lust geschossen; die Schüsse seien somit ohne Ziel gewesen. Ein Glück ist es jedenfalls, daß abgesehen von der gemeldeten Sachbeschädigung ein Unfall nicht eingetreten ist.

(S. M)

In letzter Zeit sind in einer Mühle in Oberschwaben sämtliche Mahlknechte erkrankt. Der Distriktsarzt konstatierte Bleivergiftung,

welche dadurch verursacht wurde, daß die Knechte Most tranken, der durch eine bleierne Rvhren- leitung in den Keller geleitet worden war.

In Geislingen wurde Oberamtsverweser Vöhringer mit -i17 Stimmen, in Leulkirch Schultheiß Fischer von Auenslein mit ea. 200 Stimmen zum Stadtvorstand gewählt.

Göppingen. 10. Okt. Ein im Garten des Fabrikanten Bareiß in Salach mit Schießen von Spatzen beschäftigter Gärtner zielte im Scherz auf das im vierten Stock zum Fenster herausschauende Zimmermädchen. Der Schuß ging los und traf das Mädchen in die rechte Kopfseite, so daß das rechte Auge schwer verletzt wurde.

Calw Die hiesige Kunstmühlc von ho­len und Künkele Nt durch Kauf in den Besitz des Kunstmüllers Ad. Lutz in Calmbach übcr- gegangen. Der Kaufpreis beträgt 65000 ^ Ebenso soll, wie wir vernehmen, die be­kannteBleiche" in Hirsau samt den andern anstoßenden Gebäuden und den dazu gehörigen Ländern und Wiesen von einem Herrn aus Pforzheim angekauft sein. Das ganze Anwesen soll zu einer Kneipp'schen Kuranstalt eingerichtet werden. , (C. W.)

Frechdenstadt. Wohl jedem hier das erstemal »rweilenden Fremden fällt das Läuten des sog .MN mpenglöckchens aut dem Wachl- haus »Mds 10 Uhr auf; doch dürfte nur Grund hiefür bekannt sein. Ein BescWWies hies. Gemcrnderats vom 7. Juni 180L' grebt hierüber Aufschluß. Derselbe lautet: Zu Verhüthung der eingerisseuen Unordnungen Äiitcr hiejsigen ledigen Leuchen und in den Wirlshäusseru, auch aus der Gassen, wurde schon vor längst, unter Communication mit löbl. Dekanatamt, die Obrigkeitliche Verfügung ge­troffen, daß von Nachts 10 Uhr an niemand weder aus der Gaß, noch in den Wirlshäussern, sowohl ledige als verheuraleke Persohnen, ohne erhebliche Ursache sich bettelten taffen, jeder Uebenrelter aber sogleich, durch die Polizey und durch die Nachtwächtern angebracht, sofort zur gebührenden Strafe gezogen werden solle. Da­mit nun diese von der Kanzel verkündigte Ver­fügung desto ehender befolgt werden möge, so wurde noch besonders verordnet, daß jcüesmalen Nachts 10 Uhr durch den Mößner ein zeichen mit dem kleinen Glückten aus der Kirch gegeben werden solle, damit nach solchem zeichen sodann jedermann nach Hauß sich zu begeben wissen möge. Bon diesem zeichen geveu, oder Lautung deß GlöcklenS wurde dato, vom 15. Juni 1804 an, dem Mößner Daniel Friedrich Braun monat­lich 1 fl. oder jährlich 12 fl. vom Burgermentec- aml zu bezahlen Gerichtlich verordnet." Fkuher wurde also die kleine Glocke aus dem Kirchturm geläutet, und als in den dreißiger fahren auf das Wachlyaus das Türmchen gebaut wurde, wurde dieses nächtliche Ruheläuten dorthin verlegt.

Von den Geld- und Warenbörsen.

Stuttgart, 12. Okt. Der Kampf um die allzu­kurze Golddecke entbrennt immer heftiger. An den österreichischen Börsen hat der Kurs der deutschen Marknoten eine seit langer Zeit nicht mehr gesehene Höhe erreicht und ebenso der Kurs der Napoleonsöor. In den Vereinigten Städten von Nordamerika ist die gesetzlich vorgeschriebene Goldreserve von 100 Millionen Dollars auf 86 Millionen zusammengeschmolzen, indem der Schatzsekretär sich anders gegen die verheerenden Wirkungen der Shermanbill nicht mehr erwehren konnte Deshalb ist auch der Senat in Washington zu einer permanenten Sitzung geschritten, die Tag und Nacht so lange fortdauern soll, bis die Shermanbill abgeschafft ist. In zahlreichen deutschen Blättern werden bittere Klagen laut über fortgesetzt sehr hohen Diskontsatz der Reichsbank, welche abgenötigt ist, diesen aufrecht zu erhalten, um das Gold in Deutschland möglichst bei­sammen zu halten. Allem Anschein nach ist die so lange mitglänzenden Argumenten" verteidigte Gold­währung aus dem besten Wege, einen richtigen Bankerott zu erleben, und unheimlicherweise schweigt sich der eifrigste Verfechter der Goldwährung, der vormalige Reichstagsabgeordnete Ludwig Bambcrger, noch immer aus. Unter solchen Umständen können die Kurse an den Geldbörsen trotz aller Anstrengungeu der Groß­banken einen Aufschwung nicht nehmen, und auf den meisten Umiatzgebietcn sind sogar, wenn auch vorrerst mäßige Abschwächungen zu verzeichnen. Die Getreide­märkte verkehrten in ruhiger bei abermals schwächeren Preisen für Brotsrüchte, dagegen entwickelte sich in Hafer bei steigenden Preisen ein ziemlich lebhaftes Ge­schäft. Auf den Brnmwollmärkten hat sich die feste Stimmung der vorigen Woche gut behauptet und zum Teil weitere Fortschritte gemacht, wenigstens in amen-