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lasscnen Wahlaufruf zunächst nur um ein Wahl­bündnis für die kommende Reichstagswahl handle, welches die beiden Parteien mit Rücksicht auf die allgemeine politische, insbesondere durch die Ablehnung der Militärvorlage geschaffene Lage geschlossen haben. Die Versammlung nahm eine von dem Abgeordneten Storz-Tuttlingen einge- brachte Resolution einstimmig an, womit den bisherigen Reichstagsabgeordneten der Volks­partei für ihre treue Mandatserfüllung der Dank ausgesprochen wird. Es erfolgte der 3. Punkt der Tagesordnung, die Feststellung der Kanditaturen. Auf stürmisches Verlangen der Delegierten aus den Wahlkreisen und der Ver­sammlung nahmen im Laufe der Verhandlung die Abgeordneten Schnaidt-Ludwigsburg, Speiser- Göppingen, Hähnle-Ulm, Hartmann-Hall. Con­rad Haußmann-Balingen. Kercher-Vaihingen. die Kandidaturen wieder an. Payer-Tübingen bat sich eine Bedenkzeit von einigen Tagen aus. Für den 5. Wahlkreis. Eßlingen-Kirchheim nahm Ehni. für den 8. Wahlkreis Freudenstadt. Galler an Stelle von Freiherrn v. Münch, der nicht wieder kandidiert, die ihnen von den Vertrauens­männern der betreffenden Wahlkreise angebotene Kandidatur an. Betreffs der Kandidaturen im 1. 3. 7 . und 12. Wahlkreise schweben noch Verhandlungen. Betreffs der übrigen Wahl­kreise wurden bindende Beschlüsse nicht gefaßt.

Laupheim, 12. Mai. In Dorndorf wollte dieser Tage ein 49jähriger verheirateter Bauer aus einem nahegclegenen Waldteil Lang­holz abführen. Plötzlich rissen die Stränge der Pferde; das sog. Wagscheit wurde mit solcher Gewalt gegen den Unterleib des Fuhrmanns geschleudert, daß er schwer verletzt wurde und infolge dessen nach einigen Tagen starb. Er hinterläßt 5 unversorgte Kinder.

Ausland.

Einen Kaiser deutscher Zunge hatte die Schweiz schon seit 1777 in ihren Grenzen nicht gesehen. Damals war es Kaiser Josef II., welcher im Juli des genannten Jahres unter dem Inkognito eines Grafen v. Falkenstein eine Schweizerreise unternahm. Die Regierungen der einzelnen Kantone ließen es sich trotz des Inkognitos nicht nehmen, Deputationen an den hohen Gast abzusenden, doch wurden diese nicht vorgelassen, da der Kaiser erklärte, daß er zwar das Schweizervolk gern habe, aber die Räte ihm gestohlen werden könnten. In Genf stattete Josef II. dem berühmten v. Saussure, dem Montblanc-Besteiger, eine Visite ab, sowie dem geschätzten Hof-Porträtisten Liotard, den er von Wien her kannte, wo der Maler des Kaisers Mutter, Maria Theresia, die auch die Patin von Liotards Tochter war, verschiedene Male porträtierte. In Bern besuchte der Kaiser den großen Albrecht v. Haller, und erregte besonders die Waffensammlung des dortigen Arsenals seine Aufmerksamkeit. Von seiner Reise nach Solo­thurn erzählt man sich die Anekdote, daß er sich in einem Wirtshause über das schlechte Essen beklagte, worauf die Wirtin meinte:Mein lieber Herr Kaiser, Sie müssen schon halt so vorlieb nehmen, da ich heul' die große Wäsche Hab'. Wenn Ihre Frau daheim großes Wasch­fest hat. so wirds mit dem Essen bei Ihnen auch wohl nicht so gut sein wie die anderen Tage!"

Die römischen Festtage erfahren jetzt einen unangenehmen Nachklang. Wie dieItalic" meldet, ist die römische Polizei auf der Spur einer weitverzweigten Vereinigung ausländischer Verbrecher, von denen einer in Rom während der silbernen Hochzeitsfeier des Königspaares operierte. Unter den bereits Verhafteten befinden sich 1 Engländer, 2 Belgier. 2 Deutsche, zwei Amerikaner, 1 Pole und 2 Italiener.

London, 12. Mai. Von einem Drama zur See giebt eine jüngst aufgefundene Flasche Kenntnis, die einen Zettel mit den wenigen Worten barg:S. S. Norenside, in offenem Boote ohne Vorrat und ohne Ruder. C. P. L. Harrison." DieNorenside" gehörte nach New- Castle und verließ Blyth bereits im letzten Monat; man gibt sie mit Mann und Maus verloren. Kurze Zeit vor Ausfinden der Flasche

fischte man auf offener See ein Boot auf mit fünf toten Menschen. Nach dem Zettel nun glaubt man, jenes Boot sei das derNorenside" und die schiffbrüchige Mannschaft sei vor Hunger und Durst umgekommen.

Chicago, 10. Mai. Ein hungriger Bär entwischte, wie derFranks. Ztg." telegraphiert wird, nachts aus dem Lineolpark und drang in eine Privatwohnung ein. Nach zweistündiger Jagd wurde das Tier erlegt; Menschen wurden nur leicht verwundet.

Telegramm an den Enzthäler.

Berlin, 15. Mai. Die große Berliner Kunstausstellung wurde gestern im Auftrag des Kaisers durch den Prinzen Friedrich Leopold eröffnet.

London, 15. Mai.; In Swansea bei Lundy (Bristolkanal) erfolgte ein Zusammenstoß zwischen den DampfernCity of Hamburg" und Comtesse evelyne" aus Bilbao. Letzterer ist ge­sunken und 8 Reisende sowie 16 Mann der Be­mannung sind ertrunken.

Anteryattender Heil.

Umsonst geopfert.

Eine tragische Geschichte von Erich zu Schirfeld.

(Nachdruck verboten.)

(Schluß.)

Wenige Minuten später passierte der Per­sonenzug den Ort der dunkeln That und vollendete, was die Güterwagen zu thun vielleicht noch übrig gelassen.

Fast ein Jahr ist seitdem vergangen. Karls Mutter ist inzwischen gestorben, dahin gesiecht, verzehrt vom Gram, dessen Ursache nur drei kannten: sie, ihr Sohn und der Allwissende, Karl haust allein in der verödeten Wohnung, er ist finsterer als je, menschenscheu geworden. Zuweilen geht er vor das Thor hinaus zur Witwe Wunsiedel, sie ist ja eben so einsam wie er und so unsagbar unglücklich. Bald nach dem Tode des Mannes war auch das Kind ge­storben; sie hatte zwei Tote zu betrauern. Karl hatte geglaubt, sie von einer Last zu be- freien und mußte nun sehen, wie sie dem Manne, an dessen ehrlichen Willen, ein neues Leben zu beginnen, sie glaubte, heiße Thränen des Schmerzes nachweinte. Er hatte seine Gewissens­qualen zu betäuben gesucht mit der Vorstellung, daß er ihr an Stelle der drohenden Brotlosigkeit ein gesichertes Einkommen verschafft habe durch die Rente, die ihr werden mußte, da der Mann bei Ausübung seines Berufes in dem dichten Nebel verunglückt war. Doch auch hierin sah er sich getäuscht. Als man der armen Paula den getöteten Mann in's Haus brachte, schrie sie laut auf:Nun hat er sich doch das Leben genommen, wie er's gesagt hat." Ja, das hatte er gesagt, mehrfach, auch zu andern, die es der Wahrheit gemäß bekundeten. Jetzt glaubte sie ja längst nicht mehr daran, er hatte ja ver­sprochen, ein neues Leben zu beginnen. Aber die Behörden hielten an der ersten Auffassung fest, der Selbstmord galt für erwiesen und die Witwe bekam eine kaum nennenswerte Unter­stützung. Daß es so kommen würde, konnte Karl natürlich nicht voraussehen, seine Opfer waren umsonst, sein Thun ein Verbrechen, welches durch Nichts gemildert wurde. Nun hielt er es für seine Pflicht, ihr Los zu erleichtern. Auf Alles wollte er verzichten, nur für sie arbeiten, um vielleicht zu sühnen, was er gelhan, den Fluch zu lösen, der auf ihm lastete. Aber alle seine Bemühungen wies sie zurück, sie nähte wieder, wie in ihren Mädchenjahren. Kam er in ihre Nähe, so empfand sie eine gewisse Scheu, deren Ursache ihr selbst unbegreiflich schien.

Karl war sehr zurück gekommen, auch in seinem Aeußern, die Wangen bleich und einge­fallen, tiefe Furchen auf der Stirn, unter wel­cher die Augen finster und scheu hervorblickten, schlotternden Ganges u. nachlässig in der Kleidung, so ging er einher, ein Bild der Verkommenheit, und interesselos, mechanisch verrichtete er seinen Dienst! An seinem Herzen nagte der Wurm,

sein Gewissen ließ ihn nicht schlafen. überall sah er den Schatten seines einstigen Freund, den schrecklichen Blick des Ermordeten, dabei Alles umsonst, Alles umsonst! Er HM zerstört, statt zu erretten, er hatte ein werdendes Glück vernichtet und Gottes Ratschlüssen mit frevelnder Hand vorgegriffen, und nicht der leiseste Verdacht ruhte auf ihm. O Elend, Elend!

Eines Tages trat er wieder in ärmliches Gemach.

Paula." sagte er,ich ertrags nicht langer ich kann es nicht mehr mit ansehcn, wie Dn leidest. Ich war ein Schwächling bisher, das ist jetzt vorbei. Man soll Dir nicht länger verweigern, was Dir zusteht, denn Dein Mann war kein Selbstmörder."Ich weiß es/ er- widerte sie leise,aber Du vermagst auch nich,z, io lange die Beweise fehlen."Die Beweise schaffe ich," entgegnete er zagend und mühsam preßte er die Worte hervor: Ich habe einen Zeugen." Paula beugte sich vor und sah ihm starr in die Augen. «Einen Zeugen,« chhr er stotternd fort,und dieser bin ich selbst, denn ich ich habe ihn getötet!" Schnell stoßweis waren sich die letzten Worte gefolgt Einen Augenblick herrschte tiefes Schweigen Dann stieß die Witwe einen gellenden Schrei aus und brach ohnmächtig zusammen.

Festen Schrittes ging Karl zum Gericht brachte seine Selbstanklage vor und verlangt! seine sofortige Verhaftung. Der Richter Hilm ihm geduldig zu und blickte ihn mit stillem Be­dauern an. Dann sprach er zu ihm milde, beruhigende Worte, wie man zu einem Kraalen spricht. Dann schickte er ihn fort. Er hielt den Mann für wahnsinnig, und wahrlich Karls ganzes Wesen berechtigte ihn dazu.

Ruhelos irrte der schuldbeladene Mann umher.Es giebt keine Gerechtigkeit auf Erden murmelte er undHseine trockenen Augen brannten, Die Nacht sank herab, aber sie senkte keinen Frieden in seine Seele. Unbewußt, mechanisch gelangte er zum Bahnhof, die Erinnerung zog ihn an den Ort seiner That, immer wieder, immer wieder. Er setzte sich auf die rostiger Schienen, die man hier aufgestapelt hatte, und starrte in den Sand. Seine Kollegen und Be­kannten kamen in gewissen Zeiten, dann schlich er davon und versteckte sich. Aber wenn es W ward, ging er wieder hin und starrte in den Sand. Allmählich wich die Nacht (und der Morgen dämmerte herauf, ein grauer, nebliger Wintermorgen. Und da fanden sie seinen zer­malmten Körper zwischen den Schienen - er hatte sich selbst gerichtet.-

Aus Rußland, 10. Mai. Nach einer in Petersburg erlassenen Polizeiverordnung ist, wie wir in denMünch, N. Nachr." lesen, den Ver­legern von periodischen Zeitschriften die Auf­nahme und Veröffentlichung von Heiratsanzeigen streng untersagt worden. Wozu ist es dann noch der Mühe wert, Zeitungen zu lesen! würde da manche deutsche Le>erin fragen.

(Zeitgemäß.) A.:Na. Sie haben ja schon wieder einen neuen Verein gegründet?" B.: «Freilich morgen ist die erste Versammlung!" A:Was für Zwecke und Ziele soll er denn haben?" B.:Ja, darüber wollen wir erst morgen beraten!"

(Passender Moment.) Sie:Ach lieber Otto, ich glaube Du kommst heule zur ungerechten Zeit, um von Papa meine Hand zu erbitten!" Er:Aber, was ist denn geschehen?" - Sie:Die Putzmacherin war soeben da mit der Rechnung und nun ist er in schrecklicher Laune!" Er:Desto besser! Gerade jetzt wird er froh sein, wenn ich um Dich anhalte!"

(Schmeichelhafte Erweiterung.) A.:Findest Du nicht, diese Dame hat jo etwas TypiW an sich?" B.:Ja aber schon mehr Tan täppisches!"

Gläubiger:Wann darf ich denn nun einmal auf Bezahlung hoffen?" Student: Immer, lieber Meister!""

Redaktion» Druck und Verlag von Chrn. Meeh in Neuenbürg.