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eine derartige Abhandlung mit gleichem Interesse gelesen, wie die Deine über das Auge."

Sehr verbunden," rief Steinau, sich scherz­haft verneigend.

Ja. ja, Alles, was Du ansührst, ist so sonnenklar, und wird doch von den meisten Menschen nicht beachtet, wenigstens nicht eher, als bis sie in unangenehmer Weise dazu ge­zwungen werden. Du bleibst doch da und verbringst den Abend mit uns. Julius? Es ist lange her. daß wir nicht ein gemütliches Plauder­stündchen hielten."

Um Gottes Willen. Onkel führe mich nicht in Versuchung," rief Steinau mit komischem Entsetzen, indes seine dunklen Augen übermütig blitzten.Was gäbe ich nicht darum, hierbleiben zu können, aber die leidige Pflicht ruft mich zu einem solennen Souper mit nachfolgendem Tanz bei Professor Ebinger."

Pflicht?" Der Onkel drohte schalkhaft mit dem Finger.Als ob man nicht wüßte, welch' süße Pflicht es für Dich ist. Mila Ebinger zu unterhalten.

Steinau sprang hastig auf und ging einige Male hin und her, ehe er soweit beruhigt war. um auf des Onkels Worte erwidern zu können: Mila Ebinger ist eine stolze Schönheit, Onkel," begann er mit einem tiefen Atemzuge, aber Herz hat sie nicht."

Du bist hart in deinem Urteil. Julius. Bisher hörte ich von Dir nur Gutes über das junge, gefeierte Mädchen."

Gefeiert allerdings," griff Steinau das Wort auf.Gefeiert, das ist sie und will sie sein, daran allein hängt ihr Herz. Im Gesell­schaftssaale zu glänzen, oberflächliche Conversation zu machen, mit ihren Courmachern zu kokettieren, das ist Mila's ganzes Verlangen, ihr einziger Wunsch und dies alleinige Bestreben macht sie dort unwiderstehlich. Ihre dunklen Augen sprühen Lebenslust, ihr kleiner, lächelnder Mund streut Liebenswürdigkeiten nach rechts und links aus und bezaubert Jung und Alt. So ist sie im Salon und Ballsaal. Zu Hause aber giebt sich Mila Ebinger anders. Zu Hause läßt sie ihren Launen die Ziegel schießen, sie, die dort niemals Jemandem zu nahe tritt, mißhandelt hier ihre Zofe, wie sie das ganze, ihre Eltern inbegriffen, tyrannisiert.

Wer hinterbrachte Dir in solch' gehässiger Weise diese mtimen Kleinigkeiten?" frug Direk­tor Faber, als.Steinau verstummte sich tief er­regt an's Fenster stellte und die Hände auf den Rücken kreuzte.

Bei den Worten des Onkels lachte er hell auf.

Es ist kein gehässiges Zutragen, was mir endlich die Augen öffnete, und das flüchtige Interesse, was ich an der stolzen Schönen ge­wonnen, sofort in Abscheu umwandelte. Ver­gangene Woche, ehe ich dem Rufe nach Stutt­gart folgte, kam in meine Sprechstunde ein zier­liches Dienstmädchen mit einem geschwollenen, blutunterlaufenen Auge. Das arme Ding war übel zugerichtet. Sie wollte erst nicht mit der Sprache heraus, als ich aber grob wurde und Antwort verlangte, gestand sie, daß ihr Fräulein im Zorn ihr den weißseidenen Hackenschuh in's Gesicht geworfen, weil sie ihr beim Ankleiden nicht rasch genug war. Und diese Herrin heißt Mila Ebinger. Nun weißt Du genug und wirst mir beistimmen, wenn ich heute in jenes Haus nur der Wicht folge. Mich führte übrigens ein besonderer Zweck zu Dir, Onkel, und Du wirst verzeihen, wenn ich Dir indiskret erscheine." fuhr Steinau viel ruhiger fort.

Sprich, was ist es, Julius."

Hast Du die Stelle der Arbeitslehrerin bereits vergeben?"

Du meinst an der Töchterschule? Ja, die Entscheidung ist gefallen."

«Und wer?" frug Steinau atemlos, ohne das Befremden in seines Onkels Antlitz zu be­merken.

Ein Fräulein Ursula Leyden aus Stutt­gart hat, trotz ihrer großen Jugend den Sieg davon getragen."

Ach, wie mich das freut!" rief der junge Arzt stockenden Blickes.

Aber so sage mir doch, was interessiert das gerade Dich?"

Steinau lachte etwas verlegen.

Ich bin mit der Kleinen bekannt geworden. Hast Du etwas über ihre Verhältnisse erfahren, Onkel?"

Nein, sie scheint sehr zurückhaltend zu sein."

Nun, sie sind die denkbar traurigsten. Das arme Kind hat noch eine blinde Großmutter zu ernähren und bewerkstelligte dies bisher durch Handarbeit."

Alle Achtung vor dem Fräulein! Sie schien mir überhaupt recht energisch zu sein, ein ge­wöhnliches Ergebnis solch' früher Selbstständig­keit. Ich hoffe, meine Wahl ist gut, nicht allein für die Schülerinnen, sondern nun auch im Interesse Deines Schützlings. Das ist sie doch wohl, nicht wahr", frug Faber lächelnd.

Gewissermaßen ja, denn ich will sie nicht aus den Augen verlieren. Also Leyden heißt sie? Merkwürdig wie der Name für sie und ihr bisheriges Leben paßt. Ich gehe jetzt. Onkel, sonst wird es mir zu spät. Wann tritt sie ein?"

Am ersten Mai. also in 14 Tagen. Grüß Gott, lieber^Junge, laß' Dich bald Wiedersehen. Man vernimmt ja von Dir nur durch Andere, die Dein Lob singen."

Stcinau's hohe Stirn färbte sich leicht.

Du willst mich doch nicht eitel machen, Onkel?

Das müßtest Du lange sein. Julius, wenn die Anlage dazu in dir läge." erwiderte Faber freundlich dem jungen Arzte auf die Schulter klopfend.Erst dreißig Jahre und schon so be­rühmt! Wenn Dein seliger Vater, der so sehr gegen Dein Studium eiferte, dies hätte erleben können! wie hätte er sich gefreut!"

Ja, dieser Gedanke versöhnt mich auch stets damit, wenn in einsamen, trüben Stunden des Vaters gute, ehrliche Gestalt vor mich hintritt, und er mich, wie damals, als ich ihm erklärt, zum Lehrer nicht zu taugen, so vorwurfsvoll traurig anblickt. Ja, er würde sich freuen, und nicht mehr meinen verfehlten Beruf beklagen. Doch nun lebe wohl, lieber Onkel, ich muß eilen, will ich noch rechtzeitig im Salon Ebingen erscheinen.

(Fortsetzung folgt.)

Wartinsfchmaus und Wartinstrunk.

Von Schiller Tietz.

Die Zeit, in welcher wir heute nochMar­tini feiern, scheint von jeher so recht zum Schmausen ausersehen gewesen zu sein, denn Griechen, Römer und Germanen wetteiferten miteinander, diese Zeit durch fröhliche Trinkge­lage zu feiern. Sowohl im alten Griechenland wie in Rom feierte man Feste, bei welchen nach beendigter Weinlese der erste Most getrunken wurde, und ungefähr einen Monat später feierte man abermal den obersten Göttern ein Fest, bei welchem der nun bereits gegohreneNeue" (Wein) auf seine Güte geprüft wurde. Die alten Deutschen ernteten zwar noch keinen Wein, aber nichts destoweniger erwiesen auch sie sich dem segenspendenden Wodan dankbar und feierten ihm zu Ehren um dieselbe Zeit ein fröhliches Ernte- und Herbstdankfest, an welchem es bei schäumendem Meth und kräftigem Gersten­saft nicht minder lustig zugegangen sein mag, wie in Griechenland und Rom beim perlenden Wein.

Als das Christentum später das klassisch und germanischen Heidentum überwand, versetzte es in kluger Politik die heidnischen Feste samt ihren Gebräuchen und Sitten in den Schooß der Kirche, änderte die Namen, gab Gebräuchen und Zeichen eine andere christliche Bedeutung, ver­schmolz christliche Legenden mit heidnischen Sagen, und so entstand jene unlösbare Verquickung, in der Heidengötter und heidnische Gebräuche bis in unsere Zeit unter fremden Namen und in ver­mummter Gestalt mitten im Christentum ihr Dasein fristen. Dasselbe gilt vom Martinsfest, in welchem wir nichts anderes als das alte Ernte- und Herbstdankfest zu erblicken haben. Und als unter Kaiser Probus im 3. Jahrhundert der Weinbau am Rheine eingeführt wurde, und der edle Rebensaft auch den rauhen Germanen

nicht übel mundete, da wurde auch bei der Herbst­feier der prüfende Trunk desNeuen" nicht mehr vermißt. Beim Weine vollzog sich ge­wissermaßen die Verschmelzung der römischen und germanischen Herbstfeier, lange bevor der Heilige dieses Tages daran dachte, das Christentum zu predigen. Im protestantischen Norden Deutschlands, in England, Skandinavien und den protestamischen Kolonien Rußlands ist Martin Luther an die Stelle des heiligen Martin getreten, und sein Tag wird heute noch mit Schmaus und Trunk gefeiert.

Die Feier des Martinsfestes, der Martins schmaus findet vor allen Dingen seinen Gipfel­punkt in der Martinsgans. Auch das hat seinen guten Grund, denn die Gans war das Opfertier der Gemahlin Wodans, und Frau Wodan hat gewiß gewußt, daß gerade um Martini die Gans am schmackhaftesten ist, und so ist mit Onkel Bräsig die Gans seit der ältesten Zeit ein ganz netter Vogel gewesen; ißt man eine zum Frühstück, ist's zu wenig, und ißt man zwei, so verdirbt man sich das Mittagsbrot." Der alte Sebastian Brand (1534) nennt das Hausunselig", das nicht auf diesen Tag eine Gans zu essen hat, und noch 1850durfte in keinem rechtschaffenen Straßburger Hause die Martinsgans fehlen," Die fromme Sage bringt den Heiligen mit der Gans in Verbindung, in­dem sie erklärt, der heilige Martin sei der Ge­sandtschaft, welche ihn als Bischof einholen wollte, ausgcwichen und habe sich in einem Gänsestall versteckt; durch das Geschnatter der Bewohner wurde er ober entdeckt, unddaß doch auch ge- rächet sei dieser Gänse Büberei, schlachtet er sie allzusammen. brät sie dann an heißen Flammen."

Wo die Gänse seltener sind, werden sie durch andere Gerichte ersetzt; in Norwegen durch ein Ferkel (Spanferkel), am Niederrhein durch frische Wurst mit Reis, in Belgien mit Waffeln, Im Elsaß gehören Martinsbretzeln zum Marlins­feste in anderen Gegenden Martinshörnchen und Martinspferd. Die Thiere, die man ur­sprünglich opferte, ahmte man später nämlich in Teig und Backware nach. Im Mittelalter ersetzte man diese Heidnischen Nachbildungen durch christliche Symbole in der Form von Kreuzen, Sternen u. s. w. und überreicht sie den Kindern als Geschenk.

Der Martinstrunk geschah den Göttern zu Ehren; einer alten Bauernregel soll man-vor Martini keinen neuen Wein trinken, da der Heilige in der Nacht erst den Most in Wein verwandelt. Darum ist in den Weingegenden das Weinprüfen an diesem Tage noch heute all­gemein üblich.

Unseren verehrten Lesern aber wünschen wir zu einem guten TrankNeuen" eine Martins­gans und einen leichten Martini-Zahltag.

(Soldatenfrauen.) In der niederländischen Kolonialarmee wurde eine eigentümliche Ein­richtung getroffen. Jeder Soldat hat in der Kaserne eine eingeborene Frau. Die Frauen sind, wie ihre Männer, der militärischen Dis­ziplin unterworfen. Im Erkrankungsfalle wer­den sie in den Hospitälern der Armee behandelt und im Fcklle einer Mobilmachung mit der Kompagnie vereinigt. Im Jahre 1880 betrug die Zahl der Soldatenfrauen schon 10 130.

Originelle Reklame. Eine 8 m hohe und 2 in im Durchmesser haltende Flasche wird gegenwärtig aus Eisen und Stein in der Nähe des Bahnhofes Wurzen auf einem hochgelegenen Felde errichtet. Der Erbauer diesesReklame- Turmes" ist der Fabrikant einesKräuter-Likörs". Die Flasche soll zugleich alsFabrik-Archiv" benutzt und unter ihr ein Kellergewölbe angelegt werden.

Zur Reinigung von Del- und Leberthran- flaschen empfiehlt diePharm. Ztg." eine Lösung von

1 T. Schmierseife in 80 T. Wasser, welche man mit

2 T. Salmiakgeist versetzt. Mit dieser Lösung werden die Flaschen gefüllt, in einen Waschkessel aus einen passenden Tonnenboden gestellt, und mit derselben Lösung überdeckt, worauf der Inhalt des Kessels einige Zeit erwärmt wird. Man läßt etwas abkühlen und reinigt die Flaschen weiter in gewohnter Weise, was nun sehr rasch von statten geht.

Redaktion, Druck und Verlag von Chrn. Meeb in Neuenbürg.