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Aus Stadl, Bezirk und Umgebung.
Neuenbürg, 24. Aug. 6.V. Der in der Sonntagsnummer d. Bl. angekündigte Vortrag des Herrn Rechtsanwalt Jacob aus Pforzheim fand am Montag abend im Vereinslokal des Gewerbevereins (Bierbrauerei Schneider) statt. Die zwar nicht sehr zahlreiche, aber immerhin ansehnliche Versammlung folgte den Erörterungen des Herrn Redners mit größter Aufmerksamkeit und es ist in der That schade, daß der von Patriotimus durchwehte und durch Geist und Humor gewürzte Vortrag keine zahlreichere Zuhörerschaft gefunden hat. namentlich auch von Seilen der Mitglieder des Gewerbe-Vereins, für welche ja doch zunächst solche Vorträge von der Vorstandschaft veranstaltet werden.
Es verdient besonders hervorgehoben zu werden, wie gut es der Herr Redner verstanden hat, vor den Augen seiner Zuhörer ein Bild der Zersplitterung und Uneinigkeit im Verkehrswesen des deutschen Reichs zu entrollen und darzuthun. wie wenig die Eisenbahnreglements der verschiedenen Staaten übereinstimmen mit der Grundidee eines einigen deutschen Reiches. Jedem der Zuhörer ist klar geworden, daß in dem stolzen herrlichen Bauwerk, dem deutschen Reich, neben manchem Prunkgemach auch so manches, recht notdürftig ausgestattete Kämmerlein existiert, das noch mancher Aus- und Verbesserung bedarf, um seinen Inwohnern das Gefühl der Behaglichkeit zu verschaffen.
Um auf den Inhalt des Vortrags selbst einzugehen, so suchte derHr. Redner zunächst darzu- thun, wie hinderlich und mißlich für den Verkehr eine Verschiedenheit sei, wie sie heutzutage in Beziehung auf die Giltigkeit der Fahrkarten bestehe. Während Württemberg sich rühmlicherweise dem Vorgang Bayerns angeschlossen und den Rückfahrkarten lOlägige Giltigkeit verliehen habe, halte unser Nachbarland Baden an einer 2-, höchstens 3tägigen Giltigkeit fest. Wir Württemberger wissen den Vorteil einer zehntägigen Giltigkeit der Rückfahrkarten zu schätzen und sind unserer Eisenbahndirektion für die Einführung dieser Erleichterung dankbar. Wir könnten uns also mit unserer Errungenschaft zufrieden geben und denken, was gehen uns die Badenser an! Mögen sie zuschen wie sie sich helfen! Allerdings haben wir nicht das Recht, uns in innere Angelegenheiten unseres Nachbarlandes zu mischen und es wird auch niemand einfallen, dies zu thun. Aber gleichgültig kann es uns denn doch auch nicht sein, wie es in Eisenbahnsachen in unserem Nachbarland bestellt ist, denn einmal sind wir Grenzbewohner, die tagtäglich in lebhaftem Verkehr mit ihren Nachbarn sind; ferner sind unsere Verkehrsverhältnisse heutzutage so entwickelt, daß die Grenzen zweier Nachbarländer wie Württemberg und Baden, ganz verschwinden; und drittens sind wir ein einiges Deutschland, oder wir wollen es wenigstens sein. Das Mißliche und Unbequeme in der Verschiedt nheit der Giltigkeitsdauer derRück- fahrkarten wird uns jeden Tag zur Genüge fühlbar und es ist nicht mehr als natürlich, wenn auch wir den lebhaften Wunsch haben, daß Baden, Württemberg und Bayern mit einer Bevölkerung von nahezu 9 Millionen nicht nur militärisch, sondern auch in Verkehrsverhältnissen einig sei.
Sodann führte der Herr Redner weiter aus, daß eine derartige Erleichterung im Verkehr nicht etwa einen Ausfall in den Einnahmen nach sich ziehen würde. Je billiger und bequemer man reisen kann, um so reiselustiger ist auch das Publikum. Wo ein Extrazug mit Fahrpreisermäßigung veranstaltet wird, da stellt sich stets Publikum genug ein. Was weckt denn aber diese Reiselust im Publikum? die Fahrpreisermäßigung; denn wenn auch eine Gegend noch so reizend ist, wo der Geldbeutel zu sehr in Anspruch genommen wird, da verliert auch die schönste Gegend an Reiz. Es ist ja gewiß sehr angenehm, wenn das Geld so quasi Nebensache ist; aber wie wenige sind derer, die sich in dieser glücklichen Lage befinden! Im Ucbrigen hat man in Ländern, in welchen noch ganz andere Ermäßigungen eingeführt worden sind, bisher noch keine Veranlassung gehabt, diese Ermäßigung zu bereuen. Im Gegenteil.
Ferner wies der Herr Redner darauf mit Beispielen hin, daß auch seither schon Ermäßigungen bestehen, z. B. für Rundreisebilleten aller Art. Warum — der Gedanke liegt nahe — warum denn eine Ermäßigung für eine Fahrt, deren Endziel meist das Ausland ist? Sieht das doch fast aus, als ob man eine Prämie darauf setzte, ins Ausland zu reisen, während wir doch so viel Schönes und Sehenswertes in unserem Vaterlande selbst haben! Sodann: Wer sind denn zumeist diejenigen. welche solche Vergnügungsfahrten ins Ausland machen? Meist solche, denen wenig daran liegt, ob die Fahrt ein paar Mark mehr oder weniger kostet. Dem Geschäftsmann aber liegt viel daran, auch eine größere Geschäftsreise möglichst billig abzumachen. Manches Geschäft würde gemacht, wenn die darauf lastenden Unkosten nicht so groß wären. Es ließe sich gerade in diesem Punkt noch so mancherlei sagen; aber das letzte Wort in dieser Sache ist noch nicht gesprochen; deshalb wollen wir uns vorderhand mit dem oben angeführten begnügen. Nun, führte der Herr Redner weiter aus, gilt es, alle erlaubten Mittel anzuwenden, um eine einheitliche Erleichterung im Personenverkehr, sowie auch der Passagiergutbeförderung zu erreichen und dem reisenden Publikum auch in Eisenbahnsachen die Wohlthat der Einigkeit zu verschaffen. Unsere jetzigen Zustände sind noch weit davon entfernt und gemahnen nur allzulebhaft an eine Zeit, die, Gott sei Dank, hinter uns liegt. Muß es in einem patriotisch gesinnten Mann nicht ein Gefühl erwecken, das mit dem erhebenden Gefühl nationaler Einheit wenig Aehnlichkeit hat, wenn er auf einer Reise von etlichen Stunden durch 2—3 verschiedene Eisenbahn-Reglements hindurchfahren und sich weiß Gott was für Unannehmlichkeiten mit dem jeweiligen Fahrpersonal aussetzen muß, so daß er anstatt mit Lust und Vergnügen mit einem gehörigen Aerger und mit stiller Wut als Reisegefährten seines Wegs dahinfährt, immer in Gedanken, ob er jetzt badisch oder württem- bergisch, bayrisch oder preußisch, auf Pfälzer Art oder gar hessisch-ludwigisch fährt. Wenn er nun dazu mit etwas verändertem Text das schöne Lied singt: „Mich ergreift, ich weiß nicht was?" rc., wer will es ihm verargen?
Um solche Uebelsrände aus der Welt zu schaffen, hat sich ein Eisenbahn-Reform Verein gegründet (Hauptverein mit Sektionen in den verschiedenen Städten), der kein anderes Bestreben hat, als Einheit in Eisenbahnsachen herbeizuführen. Was Einer allein vergeblich anstrebt, das gelingt am Ende doch Vielen und die Aussicht auf einen Erfolg ist um so größer, je größer die Zahl derer ist, welche unter zielbewußter Leitung dasselbe anstreben. Wir haben das Mittel der Vereinsgründung und das mächtige Mittel der Presse, womit wir die wünschenswerten Reformen im Verkehrswesen vom praktischen Standpunkte aus ohne Rücksicht auf Parteistellungen durchzubringen suchen.
Die Anwesenden zollten den oft mit humorvollen Bemerkungen und packenden Beispielen gewürzten Ausführungen lebhaften Beifall und volles Interesse. Und welche Wirkung der Herr Redner auf seine Zuhörer ausgeübt hat, läßt sich daraus erkennen, daß, als er die Gründung einer Sektion Neuenbürg eben dieses Eisenbahn- Reform-Bereins in Vorschlag brachte, er sofort lebhafte Zustimmung von allen Seiten erhielt. Mehr als 20 Zuhörer zeichneten sich am selben Abend als Mitglieder dieses Vereins ein und es dürfte zu hoffen sein, daß auch noch Andere diesem Vereine beitreten, dessen Bestrebungen nur dem Vorteil und der Bequemlichkeit des Publikums dienen und der sich insofern vorteilhaft von manchen anderen Vereinen unterscheidet, deren Zwecke weniger nützlich und einleuchtend sind.
Anmeldungen zum „Eisenbahn - Reform- Verein, Sektion Neuenbürg" nimmt die Redaktion dieses Blattes entgegen. Der Preis der Mitgliederkarte beträgt nur l pro Jahr.
Dem Herrn Redner aber, Herrn Rechtsanwalt Jacob, sagen wir für den interessanten Vortrag unfern verbindlichsten Dank und wünschen seinen uneigennützigen Bemühungen besten Erfolg.
Bei dem Telegraphenamt im Bahnhof Wildbad ist eine öff. Telephonstelle eingerichtet worden, welche am 25. August d. I. dem Betrieb übergeben werden wird und mittels einer neu erstellten Verbindungsleitung Wildbad- Calw-Stuttgart an das Telegraphennetz angeschlossen ist. Diese öffentl. Telephonstelle dient zum Verkehr mit den Teilnehmern der sämtlichen Telephonanstalten des Landes. Im inneren würitembergischen Verkehr wird eine Gebühr von 50 ^ für eine Sprechzeit von 5 Minuten oder eine» Teil dieser Zeit erhoben; in dem gleichfalls zugelassenen Verkehr mit den Tele- phonteilnehmern in Pforzheim und Mannheim beträgt die Sprachgebühr l -/-L und zwar für eine Unterredung von der Dauer von 5 Min. im Verkehr mit Pforzheim und von 3 Minuten im Verkehr mit Mannheim. Eine Verbindung darf nicht länger als 5 resp. 3 Min. dauern, wenn eine andere Person die Verbindungsanlage auch zu benützen wünscht. Die öffentliche Telephonstelle hat im Sommer von 7 Uhr, im Winter von 8 Uhr morgens bis 9 Uhr abends ununterbrochen Dienstbereitchaft.
8. Pforzheim, 25. Aug. Das hiesige Amtsgerichlsgebäude war heute Donnerstag vormittag gegen 10 Uhr der Schauplatz einer aufregenden Szene. Der ca. 60 Jahre alte Büchsenmacher und Mechaniker Ludwig Klein ward wegen dringenden Verdachts der Brandstiftung der Gr. Staatsanwaltschaft von Kriminalschutzmann Bernhard vorzuführen. Im Gerichtsgebäude gab K. vor, auf den Abort zu müssen, wohin ihn Bernhard begleitete. Plötzlich machte K. mittels eines Revolvers, den er aus einer Tasche hervorzog, einen Selbstmordversuch. B. bemühte sich, dem K. den Revolver zu entreißen, was ihm jedoch nicht gelang, da ihm K. an Kräften überlegen war. Klein gab nun einige Schüsse auf Bernhard ab und machte mit einem weiteren wohlgezielten Schuß in die Stirne seinem eigenen Leben ein Ende, bevor weitere Hilfe hinzukommen konnte. B. erlitt glücklicherweise nur eine unbedeutende Verletzung an der Stirne. — Was nun den Brandstiftungsversuch betrifft, so ist folgendes festgestellt: „In der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag konnte die schräg gegenüber von dem in der Pfarrgaffe gelegenen Anwesen des Klein wohnende Ehefrau Raible nicht schlafen. Sie erhob sich vom Bette und setzte sich ans offene Fenster. Es war '/il Uhr. Bald darauf gewahrte sie in der Luft über der obern Treppe, die zum Anbau des Klein'jchen Anwesens führt, einen brennenden Gegenstand und eine nicht näher zu erkennende Gestalt, die sich an die Mauer drückte. Alsbald flog dieser brennende Gegenstand auf den nebenan gelegenen Holzlagerplatz der Veiel- schen Bau- und Möbelschreinerei auf ein Holzdach, glimmte noch eine Weile fort, ward aber wohl durch den starken Wind verlöscht. In der Frühe teilte Frau R. ihre Wahrnehmung dem Herrn Veiel mit, welcher der Kriminalpolizei weitere Mitteilung machte. Der Verdacht lenkte sich auf Klein. Eine bei diesem vorgcnommene Haussuchung und die Nachschau auf dem Holzdach des Veiel ergaben für Klein belastende Ueberführungsstücke, welche dessen Festnahme und Vorführung im Gefolge hatte. Das aufs Veiel'sche Dach Geworfene bestand aus einem Paquet Zunder und Streichhölzer in Papier eingepackl und war halb verbrannt. Bei dem in der Nacht heftig wehenden Winde und dem derzeit herrschenden Wassermangel, sowie den großen Holzvorräten des Veiel. welche zufolge der großen Hitze ausgetrocknet waren, hätte eine Feuersbrunst von nicht absehbarer Ausdehnung entstehen können.
Deutsches Weich.
Bezüglich der Ausführung der Bestimmungen über die Sonntagsruhe im Handelsgewerbe führt die Nordd. Allg. Ztg. aus, daß, wenn in kleinen Städten, deren umliegende ländliche Bevölkerrung von Alters her gewohnt ist, Sonntag Nachmittags ihre Einkäufe in der Stadl zu besorgen, genau ebenso mit der Durchführung der Sonntagsbestimmungen verfahren werde, wie in den großen, der sozialpolitische Zweck des Gesetzes leicht in sein Gegenteil verkehrt werden könnte. Ferner müsse Alles vermieden