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der That nahesteht. Derselbe hatte abends mit einem anderen gleich gekleideten Rauhbein im Restaurant bei V6ry gespeist. Beide sind sofort nach Verweigerung des Zimmers verschwunden! Einer trug einen Reisesack. Ein Kerl, welcher im Augenblick der Explosion „Vivo 1' ^.narcllio" rief, wurde verhaftet, ebenso zwei andere Kerle. In der Stadt herrscht tiefgehende Aufregung, das ganze Stadtviertel ist mit Menschen überfüllt.
Paris, 26. April. Verys Befinden ist so günstig, als es bei seinem Zustand erwartet werden kann, seine Frau ist indessen dem Wahnsinn nahe. Auf dem Boulevard Magenta drängt sich fortwährend eine große Menschenmenge, doch ist die Annäherung an das Restaurant Very nicht gestattet. Gegen die Anarchisten herrscht große Erbitterung, die übrigens mit fast ebenso großer Furcht gemischt ist. Besonders für den 1. Mai hegt man jetzt vielfach die ernstesten Befürchtungen. Der Justizminister erschien heute morgen persönlich im Restaurant Very, um den Schauplatz der neuesten Unthat zu besichtigen.
Paris, 27. April. Die Panik im Publikum wächst. Die Fremden verlassen Paris massenhaft.
Paris, 27. April. Im Prozeß gegen Ravachol verlangte der Generalprokurator das Schuldig gegen alle Angeklagten, beantragte die Todesstrafe. Gegen Ravachol und Simon wurde dieselbe ausgesprochen.
Die zuletzt in Paris verhafteten Anarchisten sind infolge der sie belastenden Thatsachen, welche die Untersuchung ergeben hat, in Mazas interniert worden. Wie es heißt, sollen gegen die fremden Anarchisten strenge Maßregeln ergriffen und viele ausgewiesen werden. — Aus Lyon ist ein deutscher Anarchist ausgewiesen worden.
In der Pariser Presse giebt sich eine wachsende Erregung gegen das Kabinet Loubet- Freycinet wegen des kritischen Standes der Dinge in Dahomey für die Franzosen kund. Die Blätter werfen der Regierung alle möglichen Beschuldigungen an den Kopf, wie Unentschiedenheit in der Behandlung der dahomey- anischen Dinge, falsche Beurteilung der Wehrmacht der Dahomeyaner, Unterschlagung bedenklicher Depeschen aus Dahomey u. s. w. Jedenfalls befindet sich aber das Ministerium Loubet schon insofern in einer schwierigen Lage, als die jetzt begonnene Regenzeit in jenen Gebieten, die bis zum Oktober dauert, den Aufenthalt für europäische Truppen daselbst unmöglich macht, es würde also gar nichts nützen, jetzt europäische Verstärkungsmannschaften nach Kotonu, Porto Nuovo u. s. w. zu schicken, wenn sie überhaupt rechtzeitig an den Ort ihrer Bestimmung gelangten. Da sich aber die französische Regierung auf ihre eingeborenen Truppen allein wohl schwerlich unbedingt verlassen kann, so erscheint eine energische Aktion der Franzosen gegen die Dahomeyaner für die nächsten Monate nahezu als ausgeschlossen, ein Umstand, den sich dieses kriegerische Negervolk zweifellos nach Kräften zu Nutze machen wird.
Paris, 25. April. Der Kriegsminister Freycinet veröffentlicht einen Erlaß über die Bildung eines militärischen Velocipedistenkorps und die für dieses vorläufig bestimmten Vorschriften. Das Korps wird 1300 Mann stark sein, die auf die verschiedenen Generalstäbe und Truppenkörper verteilt werden. Die Verwendung des Korps soll im allgemeinen auf den Ordonanzdienst beschränkt bleiben.
Unterhaltender Heil.
Ein seltsamer Fall.
Kriminalgeschichte von F. Arnefeldt.
<89. Fortsetzung.)
Der Polizeiagent, ein dem Staatsanwalt durch seine Tüchtigkeit vorteilhaft bekannter Mann, ward hereingerufen und machte seine Aussage. Der Staatsanwalt verfügte daraus sofort die Verhaftung Peter Bartels.
„Und Ladenburg?" fragte Werden.
„Es liegen bis jetzt noch keine Beweise gegen ihn vor, die eine Verhaftung rechtfertigten, wir bedürfen dazu erst des Eingeständnisses von
Bartel oder seiner Frau," versetzte der Staatsanwalt.
„Wenn der Buchbinder die Verhaftung seines Spießgesellen erfährt, wird er sich aus dem Staube machen," versetzte Sievekiny bedenklich.
„Wenn der Herr Staatsanwalt mich mit der Verhaftung betrauen will, soll sie so aus- gesührt werden, daß Niemand erfährt, um was es sich handelt," sagte der Agent, der sich noch im Zimmer befand.
Der Staatsanwalt nahm das Anerbieten an, erteilte dem Agenten die Vollmacht, und dieser entfernte sich, um sich die nötige Unterstützung zu holen.
„Der Buchbinder Ladenburg, wie Albertine Wenzel blieben übrigens von diesem Zeitpunkte an unter strenger Beobachtung," versicherte der Staatsanwalt, „Sie können ruhig sein."
„Aber was wird aus Herrn Hardheim?"
„Die Schuld der Andern ist noch nicht erwiesen; ist dies geschehen, bleibt das gegen ihn gefällte Urteil in Kraft," entgegnete Chop.
„Und während dessen schmachtet er in der Delinquentenzelle, das Schaffst vor Augen, das Richtbeil über dem Haupte, o mein Gott, mein Gott, er kann ja diese Schrecknisse nicht überleben !" klagte Jmhilde.
„Er hat sie bis jetzt überlebt und wird die kurze Zeit, welche er jetzt noch zu leiden hat, auch üderstehen," tröstete sie der Rechtsanwalt.
„Und wenn die Entscheidung noch lange auf sich warten läßt? Wer sagt Ihnen, daß der Mörder so gleich gesteht?"
„Meine Erfahrung aus dem Gebiete der Kriminalistik," entgegnete Sieveking.
„Und die Geschicklichkeit des Untersuchungsrichters, der mit der Vernehmung beauftragt werden soll," fügte der Staatsanwalt hinzu. „Sollte sich die Sache aber wider Vermuten in die Länge ziehen, so bleibt immer noch der Ausweg, daß Herr Sieveking in seiner Eigenschaft als Verteidiger Zutritt zu Hardheim verlangt und ihm ein Wort der Hoffnung zuflüstert."
Der Rechtsanwalt lächelte still vor sich hin. Der Staatsanwalt machte mit diesem Vorschläge ein Zugeständnis, das mehr als es Worte gekonnt hätten, verriet, wie tief er sich durch das eben Vernommene erschüttert fühlte.
„Hoffnung, Hoffnung!" seufzte Jmhilde, „ich fürchte, es ist ihm keine mehr zu geben." —
Einige Stunden vor dieser Unterredung war im Groß'schen Hause in der Vorstadt große Aufregung. Frau Braun hatte, als sie mit ihren Kindern von ihrem Spaziergange heimkehrte, daselbst eine Nachricht vorgefunden, die sie zur schleunigen Abreise zwang. Eine halbe Stunde später waren ihre geringen Habseligkeiten zusammengepackt und sie fuhr in einer Droschke, welche Herr Groß ihr herbeiholte, nach dem Bahnhofe. Traurig hing Frau Groß den Mietszettel wieder in das Fenster der „guten Stube". War sie auch durch die Zahlung einer vollen Monatsmiete entschädigt worden, so bekam sie doch, wie sie zu Frau Bartel sagte, eine solche Mieterin nicht wieder.
Der letzteren stand noch eine bittere Erfahrung bevor.
Frau Bartel wartete in der Nacht viele Stunden vergeblich auf die Heimkehr ihres Mannes, und als sie sich endlich gegen Morgen aufmachen wollte, um ihn zu suchen, erschien bei ihr ein Polizist mit der Meldung, man habe in der Nacht einen Mann, welcher sinnlos betrunken gewesen, wegen groben Unfugs aufgegriffen und ins Polizeigewahrsam gebracht. Er nenne sich Peter Bartel und habe angegeben, hier zu wohnen, sie möge mitkommen, um ihn zu recognoscieren.
An allen Gliedern vor Schreck und Angst zitternd, folgte die Frau dem Polizisten und erfuhr erst im Polizeigebäude, daß auch sie eine Gefangene sei und das man für vorläufige Unterbringung ihrer Kinder bereits Sorge getragen habe.
„Es war gelungen, das Ehepaar zu verhaften, ohne daß eine Kunde davon zu Ladenburg dringen konnte.
XIV.
Peter Bartel hatte, veranlaßt durch einen Unbekannten, der sich im Wirtshause zu ihm gesellte, noch mehr als sonst getrunken und getobt, so daß er völlig seiner Sinne beraubt von seinem neuen Freunde nach Hause geleitet werden mußte. Als er endlich seinen Rausch ausge- geschlafen hatte und sich in dem Gemache, in das man ihn gebracht hatte, umsah. konnte er sich absolut nicht besinnen, wo er sich befinde und wie er hierher gelangt sei. Er ries nach seiner Frau, schalt und fluchte, daß sie nicht kam, mußte sich aber endlich klar werden, daß alles Rufen vergeblich sei, da er sich nicht in seiner Behausung befinde. Nun stand er im Halbdunkel auf, tappte sich nach der Thür und erhob, da er sie verschlossen fand, mit Rütteln und Schreien einen gewaltigen Spektakel. Ein herzukommendcr Aufseher verwies ihn zur Ruhe, bedeutete ihn, er sei betrunken auf der Straße aufgegriffen worden und man werde ihn schon herauslassen, wenn es vollends Tag geworden sei und man sich ihn erst einmal angesehen habe.
Brummend und scheltend fügte sich Peter in sein Schicksal und glaubte auch noch, als er dem Richter vorgeführt wurde, es handle sich für ihn um eine über ihn zu verhängende Polizeistrafe. In aller Harmlosigkeit gab er daher sein Nationale an und blieb auch noch ruhig, als der Richter wie beiläufig fragte:
„Sind Sie derselbe Peter Bartel, der in der Schwurgerichtsverhandlung wegen des Mordes an der Frau Klingenmüller genannt worden ist?"
„Der bin ich, Herr Rat, der bin ich," erwiderte Peter, sich in die Brust werfend, „Sie dürfen es wirklich nicht so genau mit mir nehmen, wenn ich mir mal einen Rausch antrinke, die Geschichte hat mich so rabiat gemacht, ich muß sie immer noch hinunterspülen."
„Wie war die Sache eigentlich?" fuhr der Untersuchungsrichter in einem ganz gemütlichen Tone fort, „erzählen Sie mir sie doch."
Peter Bartel war damit in seinem Fahrwasser, wie am Schnürchen erzählte er, wie die Geliebte des Mörders ihn beschuldigt und wie er sein Alibi glänzend nachgewiesen hatte.
„Die Lügnerin mußte mit langer Nase abziehen," fügte Bartel nach einer Pause hinzu, „ich konnte doch nicht zu gleicher Zeit vor meinem Hause und in der Weststraße sein."
„Je nun, das Gewitter hat lange ausgehalten," erwiderte der Untersuchungsrichter wie scherzend, „es wäre doch nicht unmöglich."
Peter Bartel ward etwas verlegen. „Unmöglich?" fragte er verwirrt. „Wie so?"
„Nehmen wir einmal an," fuhr der Richter gelassen fort, „Sie wären die Leiter hinabgestiegen, der Blumentopf wäre Ihnen auf den Kopf gefallen, ein guter Freund hätte Sie unten erwartet, hätte Sie nach Hause gebracht und dort mit Ihnen die Komödie mit dem Ziegel aufgeführt."
Bartel war kreideweiß geworden und zitterte.
„Aber Mann, so erschrecken Sie doch nicht so, wenn man einen Scherz mit Ihnen macht," lachte der Untersuchungsrichter. „Die Sache ist ja lange vorbei. Wer hat Ihnen denn Ihr schadhaftes Dach ausgebessert?"
Peter besann sich einen Augenblick. „Ich selbst," sagte er dann.
„Trotz des verwundeten Kopfes?"
„So viel konnte ich schon noch thun."
„Mit neuen Ziegeln?"
„Gewiß."
„An dem Dache Ihres Hauses ist aber kein neuer Ziegel sichtbar," sagte der Untersuchungsrichter plötzlich sehr ernst und streng, „es ist Ihnen kein Ziegel, sondern ein Blumentopf auf den Kopf gefallen, Sie sind der Mörder der Frau Klingenmüller und der gute Freund, der Sie nach Hause gebracht und die Komödie in Szene gesetzt hat, ist der Buchbinder Ladenburg." (Fortsetzung folgt.)
(Im Luftkurort.) Wirt (beim Vermieten einer Sommerwohnung, zu seiner Frau): „Alte, mach' die Fenster auf, damit dasKlima für die Herrschaften herein kann!"
Redaktion, Druck und Verlag von Chrn. Meeh in Neuenbürg.