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in Schwaben bei Kirchweihen, bei Hochzeiten, da werde er stets getrunken. Ihn so teuer zu besteuern sei ein Skandal. (Erneutes Gelächter.) Weite Kreise der Landwirtschaft würden davon betroffen. Seine Partei lehne die Vorlage rundweg ab. Abg. Pach- nicke (freis. Ver.) findet es begreiflich, daß die Interessenten diesem Gesetz widersprechen, aber dieselben würden sich später sicher darüber beruhigen, wenn sie sähen, daß die Verhältnisse sich nicht so schlimm entwickelten, wie sie dies jetzt befürchteten. Weniger begreiflich sei ihm die Stellung der Sozialdemokraten. Er, Redner, halte es allerdings für nötig, daß die Control-Vorschriften weniger belästigend gestaltet würden. Abg. Schrempf (kons.) hält den Sozialdemokraten vor, wie diese wohl schreien würden, wenn die konservativen sich gegen eine Luxussteuer so ablehnend verhielten, wie dies jetzt die Sozialdemokraten thäten. (Rufe rechts: Sehr gut.) Die Schlegel'schen Ausführungen über Volksgetränke könne er nur als faustdicke Uebertreibung bezeichnen. Abg. Fitz (natl.) stimmt als Weingutsbesitzer der Vorlage zu, da die Steuer eine Luxussteucr sei, macht aber auf die Schädigungen aufmerksam, die damit für die Schaumwein-Industrie und die Winzer verknüpft sein würden. Abg. Baron de Schmit (sractionsloS) weist auf die große Mißstimmung hin, welche die Vorlage in Elsaß-Lothringen hervorgerusen habe. Zum Mindesten solle man die Steuersätze herabsetzen. Abg. Lucke (Bund der Landw.) wünscht für die Winzer einen besseren Schutz in der Vorlage. Die Fabrikanten könnten die Steuer ganz gut tragen. Abg. Eickhoff (freis. Volksp.) legt Verwahrung dagegen ein, daß die Freisinnigen die Schaumweinstener früher einmal gefordert hätten. Ihre damalige Resolution habe nur bezweckt, andere und schlimmere Steuern zu verhindern. Was die Ausführungen des Abgeordneten Wintermeyer anlange, so solle man nicht übersehen, daß derselbe nur für seine Person gesprochen habe. Sollten, so führt Redner weiter aus, in der Kommission die verschiedenen Härten bckeitigt werden, so werde die große Mehrheit seiner Freunde gegen das Gesetz nichts einzuwenden haben. Die Vorlage geht an eine Commission.
Berlin, 8. Febr. Nach einem Telegramm des Berliner Tageblattes aus London hat Lord Roberts den Schwarzen Adlerordcn thalsächlich erhalten und trug ihn bereits, als er sich zur Abreise Kaiser Wilhelms auf dem Bahnhofe einfand.
Berlin, 8. Febr. Wie dem Berliner Tageblatt aus Paris gemeldet wird, erhalten sich dort seit einigen Tagen Gerüchte über eine bevorstehende Einlenkung Englands in der Transvaalfrage. Aus London nach Paris gelangte Meldungen prophezeien den baldigen Sturz ChamberlainS und Milners. Der Temps veröffentlicht eine offenbar inspirierte Londoner Meldung, wonach England sich auf der Seite der Telagoa-Bai schadlos zu halten gedenke. Verhandlungen in diesem Sinne hätten während der Anwesenheit Kaiser Wilhelms in London stattgefunden.
Haag, 8. Febr. Präsident Krüger ließ der Königin Wilhelmina gestern Morgen über 300 Glückwunsch-Briefe von Buren über
reichen. Die Königin war durch diese unerwartete Kundgebung angenehm überrascht und beauftragte den Präsidenten, den Kapländern in ihrem Namen herzlich zu danken. — Anläßlich der Trauungs- Feierlichkeiten ist hier eine Verteuerung sämtlicher Lebensmittel eingetreten, welche an die Tage der Krönungs-Feierlichkeiten erinnert. — Der Einzug des jungen Paares in Amsterdam findet am 5. März statt. Die Stadt veranstaltet aus diesem Anlaß großartige Festlichkeiten.
London, 9. Febr. Laffans Bureau berichtet aus Peking: Ein kaiserliches Decret bestimmt die Enthauptung des Prinzen Tu an. Auch ist dessen Sohne die Eigenschaft als Thronerbe entzogen worden. Man glaube, daß die Mächte eine Herabsetzung der Strafe vornehmen werden.
Nom kaiserl. Hof in Singanfu.
Ueber das Leben deS kaiserlichen Hofes in Singanfu, wo derselbe am 26. Oktober nach zweimonatiger Flucht aus Peking anlangte, giebt der „Temps" aus dem Munde des Lazaristenpaters Maurice interessante Mitteilungen. Der Pater, der dort 10 Jahre lang für die Ausbreitung deS Christentums gewirkt, ist in Shanghai angekommen, um Mittel zur Linderung der im Innern wütenden Hungersnot aufzutreiben. Singanfu liegt 10 km südlich vom Weiho, fast am Fuß der langen Kette des Tsingling, ist von riesigen Lehmmäucrn im Rechteck mit vier mächtigen Thoren umschlossen. Die Einwohnerzahl wird auf 400000 Köpfe geschätzt, Chinesen,si Tataren und Muselmanen. Die Stadt, schon in gewöhnlichen Zeiten reich an einer zerlumpten Menge, ist jetzt davon überfüllt; denn alle Bauern aus der Provinz strömen herbei, um den Kaiser zu sehen. Die Menschenmenge wogt auf dem Schmutzpflaster auf und ab, hält vor den niedrigen Mauern der Paläste, drückt sich an den Thoren herum. Aber das ersehnte Bild bleibt verschleiert: die Kaiserin hält sich in ihren mit gelber Seide ausgeschlagenen Gemächern, nur selten geht sie aus, dann aber zeigt sie sich gleich einem Götzenbild auf den Schultern ihrer Träger. Dann erscheint sie klein, dürr, eine Mumie mit lebhaften, sehr Hellem von einem Elfenbeinoval eingeschlossenen Angen. Zuweilen neigt sie sich langsani vorwärts, streckt ihre Hand aus der Sänftethür und wirft unter die Menge heraldische Trachenmünzen, um die sich dann das Volk balgt. Tann setzt sich der Spaziergang fort, feierlich, achtunggebietend, aber zugleich ärmlich und possierlich. Die tatarische Leibwache voran, in ihrer alten Uniform, mit schmutzigen Bannern, bewaffnet mit verrosteten Flinten, die um die Schultern an aneinandergestückelten Seilen hängen; dann der düstere Kaiser Kwangsü, stets schweigsam unter dem scharfen Auge seiner Tante. Kwangsü, der seine Pfeife raucht, gelangweilt, vertiert, abgemagert, blutlos, alles anglotzend, ohne zu sehen, in seinem Innern irgend einem Traum nachhängend, bei deni er von Zeit zu Zeit seinen Mund aufsperrt und seine Zähne zeigt. Niemals verrät er irgend einen Wunsch, niemals erinnert er sich, daß er Kaiser ist, oder wenn er sich dessen erinnert, wagt er nicht, es zu sagen. Gleichgiltig, gefühllos, fast tot, gleitet er vorüber. Mit Ausnahme Tu ans, der degra
diert und vorläufig seiner Titel beraubt seine Verbannung in der Mandschurei bei einem tatarischen Marschall verbringt, sind sämtliche Prinzen dem Hofe gefolgt. Sie lagern mitten in der Stadt, umgeben von ihren Militärbegleitern und Dienern, haben sie die Gasthöfe und öffentlichen Gebäude mit Beschlag belegt. Abends werden zu ihren Ehren die Speisehäuser und Ladengeschäfte an den Straßen entlang erleuchtet. Die Theater sind überfüllt, man hört Gongs, Flöten, einsaitige Violinen und Guitarren in schauerlichen Mißtönen durcheinander klingen. Bricht der Abend.herein und ist die Kaiserin mitsamt Kwangsü in ihren Palast zurückgekehrt, dann stellen sich eine Menge hoher Mandarine bei ihr ein; fette, volle Gesichter auf dicken, fcttgepolsterten Leibern steigen von den Tragbahren herab und verschwinden nach drei tiefen Kniebeugen im Thore. Dann kommen die Kouriere an, ihren Stiefel stets im Bügel; dre Depeschenträger, die Steuereinnehmer, die Bonzen und Eunuchen. Die Soldaten bleiben auf dem Pflasterboden der Gasthöfe, in den Straßen und in den offenen Pagoden. Sie zählen 10000 Mann, 20 Regimenter, unter dem Befehl Tungfuhsiangs, der sein Hauptquartier in Lintung, einige Kilometer nordöstlich von Singanfu eingerichtet hat. Tungfuhsiang ist stark zusammengcschrumpft, fast verfallen. Dieser Koloß, der bei jeder Mahlzeit 5 Pfund Fleiß aß, ist jetzt so heruntergekommen, daß er sich schon verschiedene Male die Kehle durchschneiden wollte. Tie Kaiserin wäre darob nicht sehr traurig gewesen, denn sie mißtraut diesem Tataren; sie fürchtet sich vor ihren eigenen Soldaten, die zumeist Muselmanen sind; sie fürchtet sich außerdem vor dieser Provinz, deren Befehlshaber aus Kansu, dem Herde beständiger Empörungen, stamnst. Die Lage der Christen war vor dem Einzug des Hofes furchtbar. Schon seit zwei Jahren wurden sie beständig mit dem Tod bedroht. Der Bischof Pannuci wies sie daher an, sich mitWaffeu zu versorgen, aber mit welchen Waffen! Alten Lanzen, die wie Flinten aussahen, oder Flinten, die aus dem ersten Kaiserreich stammten. Aber die Not macht erfinderisch. Man beschmierte die Gesichter der kleinen Mädchen des Waisenhauses mit chinesischer Tinte, worauf der Feind, der sich Teufelchen gegenüber glaubte, spornstreichs entwischte. Oder man häufte Tonnen übereinander, so daß sie wie Kanonen aussahen; und vor diesen Krupp-Kanonen verblieben die Feinde in achtungsvoller Entfernung. Endlich gelang es dem Vizekönig Tuan- fung, sich des Rädelsführers der Empörung zu bemächtigen und ihn 'auszuknüpfen. Aber unterdessen sollte eine Depesche der Kaiserin mit dem Befehl eines allgemeinen Blutbades angelangt sein; thatsächlich wurden zwei Bischöfe, Grasst und Fogolla, zwei Priester, sieben Nonnen und 160 Eingeborene enthauptet. Und schon machten sich die Missionare auf den Eintritt der Henker gefaßt; sie flüchteten in die beiden Kirchen, aber Tuansung mischte sich ein uud rettete sie auf die Gefahr seines eigenen Hauptes. Seitdem waren sie gesichert; am 20. Okt. längte die Nachricht an, daß alle Angriffe gegen die Missionare bei Todesstrafe eingestellt werden sollten; und so konnten die Missionare eine Woche später, hinter den Bambus-Verschlägen ihres Seminars, den kaiserlichen Zug ansehen, ohne für ihre Köpfe zu fürchten.
Interesses zwischen Florence und mir. Sie hatte jedenfalls beschlossen, je nach Befund meiner Verhältnisse, hindernd zwischen uns zu treten, oder zu erlauben, daß ich an Morecombes Stelle träte.
Die Erkenntnis, daß sie mich für einen Bewerber um ihre Nichte ansah, bestimmte mich, mir doppelte Mühe zu geben, ihre Zuneigung zu gewinnen. Sehr geschickt ließ ich in unsere weitere Unterhaltung einige hübsche Komplimente einfließen, die ihr offenbar schmeichelten und sie schließlich sogar sentimental und wehmütig werden ließen. Das kam nämlich so: einer der Stewards goß aus Versehen der jungen Mrs. Mortimer etwas Wein in den Nacken. Infolge dieses plötzlichen kalten Uebergusses schrie sie auf und ihr Gemahl geriet dadurch in eine unbeschreibliche Aufregung. Wäre der Wein ein Eimer kochenden Wassers gewesen und seine Frau aufs schrecklichste verbrüht worden, so hätte Marmaduke seine Besinnung nicht in höherem Grade verlieren können. Er drückte sie, er streichelte sie und flehte sie an ihm zu sagen, wo es weh thäte, beschwor sie, ihn nicht so zu ängstigen rc. und endete damit, daß er in seiner Unruhe eine Flasche Wein, seinen Becher und Messer und Gabel vom Tisch herab warf.
Als wieder Ruhe eingetreten war, bemerkte ich sarkastisch zu Tante Damaris: „Wie rührend ist doch die Liebe eines jungen Ehemanns!"
Natürlich dachte ich, sie würde auf meinen Spott eingehen, zu meiner Uebcrraschung aber war dieses grimmige alte Mädchen plötzlich ganz gefühlvoll geworden und seufzte herzbrechend: „Ja, solche Liebe ist sehr ergreifend; sie ist wie ein Traum, der bald entschwindet und dies ist, was sie so ergreifend macht. Bei vielen von uns ruft ihr Anblick Bilder vor die Seele, die in ihren Farben nie verbleichen, weil die Erinnerung fortlebt."
„Hallo!" dachte ich, „wär's möglich, kann sie je verliebt gewesen sein?" und sah mir das alte, eckige, harte Gesicht mit den Pfropfenzieherlocken ganz
von der Seite an, indem ich überlegte, wie ich auf ihre Stimmung eingehen könnte. Mir war zwar mehr zum Lachen zu Mute, trotzdem aber sagte ich in einem Tone, als wenn ihre Worte auch bei mir alte Erinnerungen geweckt hätten: „Ich glaube. Miß Hawke, es ist uns Menschen bestimmt, daß wir alle eine Zeit schwerer Prüfung durchmachen müssen. Aber der Himmel ist gnädig und lehrt uns vergessen, was wir gelitten haben."
„Sie irren, mein junger Freund," entgegnete sie traurig sanft, „es giebt Naturen, die nie vergeffen können; — es giebt Narben, die wir mit ins Grab nehmen, weil die Wunden zu tief und grausam waren."
„Sie sprechen mit zu tiefem Gefühl, um nicht an eigen Erlebtes zu denken," sagte ich mitleidsvoll, dachte aber dabei: „I, du Satan, du weißt was Liebe ist, scheutest dich aber nicht deiner eigenen Nichte einen Erzlump aufdrängen zu wollen."
„Ja, Sie folgern richtig, ich spreche aus eigener Erfahrung. Ach, wenn Sie alles wüßten!" lispelte sie rnit einer Stimme, die vor Erregung zitterte. Die Welt spöttelt über alte Mädchen, ich aber kenne nichts, was thörichter und ungerechter wäre. — Es giebt auch Ehen im Himmel, Mr. Egerton."
„Ohne Zweifel," stimmte ich empfindsam bei. „Ich habe schon davon gehört, doch konnte ich nie ganz verstehen . . >"
„Ja, Mr. Egerton, auch ich bin im Himmel verheiratet," unterbrach sie mich, indem sie ihre grünlichen Augen durchdringend auf mich richtete. „Ein geliebter Jüngling starb, das Grab schloß sich über ihm, er ruht in Sydney und seit dreißig Jahren habe ich nie versäumt, einmal in jedem Monat seinen Ruheplatz aufzusuchen. Im Leben waren wir verlobt, sein Tod verband uns. Kein Geistlicher hätte uns fester vereinen können, und ich weiß," fuhr sie fort, ihre Augen vergeistigt zum Oberlicht aufschlagend, „wenn meine Zeit kommt, so wird das erste-." (Fortsetzung folgt.)