IV.
Die Kunde, daß in der Weststraße an der alten, reichen, wunderlichen Frau Klingenmüller durch ihren eigenen Gärtner während des gestrigen Gewitters ein grausiger Mord begangen worden war, flog vor dem Polizeilieutenant her, verbreitete sich mit Windeseile durch die angrenzenden Straßen und gelangte durch einen Gymnasiasten, der einen Virgil zum Binden brachte, auch in die Werkstatt, wo Moritz Ladenburg mit einem Gesellen und einem Lehrling schon eifrig bei der Arbeit war.
Ladenburg war ein schmächtiges Männchen von sechs- bis achtunddreißig Jahren mit semmelblondem, kurz geschnittenem Haar, grellen blauen Augen, einer Stumpfnase, auffallend großen Ohren, schmalen Lippen und einem ziemlich ausdruckslosen Gesichte mit blühenden Farben, die aber bei der Erzählung seines jungen Kunden einer fahlen Blässe wichen. Mit einem Schrei des Entsetzens ließ er den Klassiker, den er von Jenem in Empfang genommen hatte, fallen, daß die losen Blätter umherflogen und rief:
„Was sagen Sie da? Frau Klingenmüller in der Weststraße soll ermordet sein?"
„Erwürgt durch ihren eigenen Gärtner." wiederholte der junge Mensch mit jenem eigentümlichen Behagen, mit dem das Bewußtsein erfüllt. der Träger einer erschütternden Neuigkeit zu sein.
Ladenburg rang die Hände und schien völlig die Sprache verloren zu haben, der Gesell nahm die Sache kaltblütiger. „Da haben wirs." sagte er, „es trifft richtig zu, alle Jahr wird hier bei uns eine alte Frau abgemuckst und niemals kommt es an den Tag, wer es gewesen ist."
Jetzt fuhr Ladenburg auf. „Diesmal bleibt die That nicht ungerochen, denn das Opfer war meine Freundin, meine Wohlthäterin!"
„Der Mörder ist ja auch bereits gefaßt," erwiderte der Gymnasiast mit einem Lächeln über die bombastische Ausdrucksweise des kleinen Buchbinders und entfernte sich, während Ladenburg fortfuhr, in überschwänglichen Worten das furchtbare Ende der Frau Klingenmüller zu beklagen. Er war seit Jahren ein eifriger Leser der Romane gewesen, welche ihm von dem Besitzer einer Leihbibliothek zum Binden überliefert wurden, und hatte sich nach denselben eine gezierte und verschnörkelte Sprache angewöhnt, die er für sehr gebildet hielt.
Diese kleine Schwäche hinderte Ladenburg jedoch nicht, ein geschickter Arbeiter und ein noch besserer Geschäftsmann zu sein, der über alle Bewegungen des Geldmarktes Bescheid wußte. Die letztere Eigenschaft hatte ihn denn auch be fähigt, die Verwaltung des Vermögens der Frau Klingenmüller zu besorgen.
Ladenburg warf sich jetzt sofort in die Kleider, ließ Arbeit und Werkstatt im Stiche und eilte hinaus nach der Weststraße, um sich an Ort und Stelle von dem wahren Sachverhalte zu überzeugen und sich Fräulein Albertine für etwaige Besorgungen zur Verfügung zu stellen. Er traf daselbst bereits die Kommission des Kriminalgerichtes, welche sich sofort nach dem Schauplatze des Verbrechens begeben hatte; und der Untersuchungsrichter, Kriminalrat Mörner, dem er von Ansehen bekannt war, rief ihm entgegen : „Sie kommen wie gerufen, Herr Ladenburg, ich wollte soeben nach Ihnen schicken."
Die Untersuchung der Gerichtskommission knüpfte an die des Polizeilieutenants und den von diesem darüber niedergeschriebenen Bericht an. ohne für den Augenblick wesentlich neue Momente zu Tage fördern zu können. Es hatte zu den Wunderlichkeiten der Frau Klingenmüller gehört, daß sie darauf bestand, allein zu schlafen und. wie die Nichte und die Dienerin einstimmig versicherten, durch keine Vorstellungen und Bitten zu bewegen gewesen war, zu erlauben, daß eine derselben sich in ihrer Nähe bettete. Die Entfernung der Schlafzimmer Beider von dem der Ermordeten war denn auch so groß, daß ein Schrei, besonders während eines Unwetters, wie es in der vergangenen Nacht gerast hatte, un- gehört verhallen mußte. Es war selbst fraglich, ob der Hilferuf, den die alte Katharina gehört zu
haben glaubte, wirklich von der unglücklichen ausgestoßen war.
Daß der Mörder vermittelst der Leiter, die so bequem gelegen, auf die Veranda gestiegen war und den äußeren Fenster-Riegel geöffnet hatte, darüber konnte kein Zweifel obwalten, dagegen vermochten die beiden einzigen Zeuginnen, welche überhaupt zu vernehmen waren, nicht mit Gewißheit anzugeben, ob der Riegel des inneren Fensters am Abend wirklich geschlossen worden war, ja, sie erklärten cS nicht für unmöglich, daß Frau Klingenmüller noch einmal aufgestanden sei und ihn zurückgeschoben habe, um durch das Oeffnen des inneren Fensters einen etwas frischeren Luftzug ins Zimmer zu lassen.
(Fortsetzung folgt.)
Es ist ein Glück für unsere Richter, daß Verhandlungen wie die am II. ds. nachmittags vor dem Schöffengericht Stuttgart stattgehabte zu de» Seltenheiten gehören. Der hier ansässige. aus Griechenland stammende Kaufmann und Schwammhändler Nikolaus Colettos hat eine von ihm mit dem Verkaufe von Waren betraute Frau eine Diebin und Betrügerin geheißen und war von dieser deshalb wegen Beleidigung verklagt worden. Alle Bemühungen des Vorsitzenden, einen Vergleich herbeizuführen, scheiterten an der Härtnäckigkeit des Beklagten, der in gebrochenem Deutsch, aber mit echt südländischer Lebhaftigkeit seine Sache führte und absolut nicht begreifen wollte, daß er zu seinem Schaden auch noch gestraft werden solle. Die Drolligkeit seiner Verteidigung und die Naivität seiner Ansichten riefen bei Richtern und Publikum vielfache Heiterkeil hervor. Die häufigen Ermahnungen zur Abbitte seitens des Vorsitzenden sowohl als seitens seines eigenen Verteidigers beantwortete er immer mit den Worten: „Ich bin bestohlen, ich bin betrogen! Verurteilen Sie mich, und wenn es tausend Mark kostet!" Das Urteil lautete auf eine Geldstrafe von 40 event. 8 Tage Gefängnis.
Berlin, 10. Febr. Ein Heiratsschwindel frechster Art ist, nne die „Post" berichtet, hier vor kurzem versucht worden. Eine junge Dame, Inhaberin eines gutgehenden Putzgeschäfts in der K.-Straße, ging eines Abends in ein Theater und lernte dort einen Herrn kennen, der sich als „reicher Amerikaner und Plantagenbesitzer" vorstellte. Er bat um die Erlaubnis, einen Besuch machen zu dürfen. Dieser wurde gewährt, und als er der Dame Herz und Hand antrug, wurde er freudig erhört. Der Bräutigam drang auf baldige Eheschließung, da er auf seine Plantage zurückmüsse. So wurde denn alles vorbereitet, das Geschäft verkauft u. s. w. Der Tag der Hochzeit kam, man ging zum Standesamt, um zu erfahren, daß die Ehe nicht geschlossen werden könne, da die Papiere des Bräutigams nicht in Ordnung seien. Der Bräutigam wußte jedoch einen Ausweg; sie wollten sich in England trauen lassen! Er setzte seinen Willen durch, und nachdem die schöne Aussteuer u. s. w. in Kisten und Kasten unter- gebracht war, dampfte man ab. Doch als man an die Schiffsstation kam, zeigte es sich, daß dem reichen Amerikaner das bare Geld ausgegangen war. Er halte gerade noch 30 in der Westentasche. Natürlich hatte er viele Wertpapiere bei sich; doch wenn er diese umwechseln müßte, würde er an Coursverlust und Wechsel gebühren u. s. w. eine ziemlich bedeutende Summe an die Banquiers verlieren. So ließ sich denn die Braut beschwatzen. von den 6000 Mark Bargeld, das sie bei sich führte, ihm 1600 Mk. einzuhändigen. In London angekommen, stieg das Paar in einem Hotel ab, das einem der Londoner Verhältnisse Kundigen schon wegen seiner Lage in einer übelberufenen Vorstadt bedenklich vorgekommen wäre, während die unkundige Dame ahnungslos blieb. Sie hat in London eine Tante wohnen, die natürlich vorher brieflich über alles unterrichtet war und die Vorbereitungen zur Hochzeit treffen sollte. Gleich nach ihrer Ankunft fuhr sie zu dieser; aber als sie ihr erzählte, wo sie abgestiegen sei, durchfuhr ein Schreck die alte Dame, die die
Nichte auffolderte, sofort mit ihr zurückzufahren, um zu retten, was noch zu retten war. Bei der Ankunft im Hotel überraschten sie den Gauner, als er gerade dabei war, die Sachen der Braut fortzuschaffen. Natürlich verschwand er blitzschnell. Die junge Dame kehrte dann um eine Lehre reicher und viel Lehrgeld ärmer nach Berlin zurück, wo sie wieder in ihr Geschäft als Teilhaberin eintrat.
Infolge einer Wette, welche dahin ging, daß es in Berlin Straßen gäbe, welche mehr Restaurationen, Schankwirtschaften u. dgl. aufweisen als Hausnummern, wurde von den Parteien festgestellt, daß die Friedrichstraße, die bekanntlich 251 Häuser umfaßt, nicht weniger als 257 konzessionierte Ausschankstätten zählt, also 6 mehr als nötig war, um die Wette zu gewinnen. Selbstverständlich haben die Wettenden diese Bierreise nur von außen zurückgelegt.
Die Erhöhung der Hundesteuer in Berlin hat es zu Wege gebracht, daß eine große Anzahl von Hundebesitzern, d. h. von Besitzern jener Köter, welche nur zur Belästigung der Menschen zu dienen scheinen, ihre kostbaren Gefährten ab- geschafft hat. Dies wurde in einer der letzten Magistratssitzung erwiesen bei Gelegenheit der Feststellung des Stadthaushaltetals. Schon als die ungefähre Berechnung der Ergebnisse der veränderten Hundesteuer in den Etat eingestellt worden, wurde vorausgesetzt, daß von den 36 000 bisher versteuerten Hunden etwa der dritte Teil entweder abgeschafft oder als steuerfrei angemcldet werden würde, und wurde daher die Zahl von 20000 Hunden und die Einnahme mit 400 000 ükL in Ansatz gebracht. Diese Berechnung hat nicht getäuscht — Berlin hat 12 000 Hunde weniger. Man weiß sich darüber zu trösten.
(Oefen zur Sägmehlheizung.) Nachdem die Heizungsmaterialien aus Holz und Kohlen im Preise wesentlich gestiegen sind, geht man auf dem Schwarzwalde mehr und mehr dazu über, die sogen. Sägespähne, auch Sägmehl genannt, zum Heizen zu verwerten. Hauptsächlich liefert die Eisengießerei von Lattermann u. Söhne in Morgenröhte (Sachsen) besondrrs zu diesem Zweck eingerichtete eiserne Oefen. Die Säg- spähne werden von oben in den Ofen eingelegt, das Feuer hält sich sehr lange Zeit, ohne daß viele Umstände nötig sind; der Ofen verbreitet eine nicht zu drückende Wärme, wie das beim Heizen wit Kohlen oft der Fall ist und die Kosten für Heizung eines solchen Ofens kommen täglich auf kaum 10—15 Pf. zu stehen. Aus den vielen Sägmühlen sind die Sägspähne bekanntlich sehr billig zu haben. Die Kosten für einen solchen eisernen Ofen belaufen sich je nach der Größe auf 60 bis 80
(Der Begriff „Billion".) Eine Billion Zeitungsblätter existiert wohl auf der ganzen Welt nicht, wenn man auch alle Zeitungsvorräte der großen und kleinen Blätter zusammennehmen wollte. Die großen Druckereien sind zwar zuweilen schon in der Lage gewesen, Aufträge auf eine Million Drucke auszuführen, aber sämtliche Druckereien der Welt zufammengenommen, würden wohl Jahre gebrauchen, ehe sie eine Billion Drucke unfertigen könnten. Seit Anbeginn der Welt ist noch keine Billion Sekunden vergangen, denn eine Billion Sekunden machen 31678 Jahre, einige überzählige Tage, Stunden, Minuten und Sekunden ungerechnet. Eine Billion Bogen dünnen Papiers, von denen 333 auf einen englischen Zoll gehen, zusammengelegt, würden, aufeinandergelegt, eine Papiersäule von .der respektablen Höhe von 37 348 engl. Meilen (ziemlich genau 8120 deutsche Meilen) ergeben! Sollte also eine Druckerei mit einem Billionen- auftrage erfreut werden, so müßte sie zunächst mit einer sehr respektablen Vergrößerung der Magazine und Lagerhäuser beginnen.
Auflösung des Bilderrätsels in Nr. 24.
Hungerleider sind manchmal die anspruchvollsten Leute.
Richtig gelöst von Wilhelm Pfrommer in Wasseralfingen.
Redaktion, Druck und Verlag von Chrn. Meeh in Neuenbürg.