430
UQ<1 8ctin6l1(lLiA.pker
von
HÄ6I1
LE
IWLb« ^«s^W-kt srÄrsitt: ^
I^sLss, ^6rt6-rbrL-'^/.
Aus Stadt, Bezirk und Umgebung.
Das ii. Gaufest des Enz-Nagold- Gau-Sängerbundes.
I.
I-. k'. Neuenbürg, 27. Juni. Wenn man es nicht schon aus dem „Enzthäler" und seit Wochen von allen Seilen her erfahren hätte, aus verschiedenen fremdartigen Erscheinungen im alltäglichen Bild unseres ländlich-idyllischen Daseins hätte man schließen müssen, daß etwas Ungewöhnliches sich vorbereite. Dem einsamen Wanderer, der in abendlicher Stunde eine der umliegenden Ortschaften berührte, klangen schon von weitem ernste, feierliche Accorde oder lieblich bewegte Melodien entgegen, die aus den Schulzimmern, wo sich „die Talente in der Stille" übten in die Ferne drangen. Um die Mitte der letzten Woche fuhren schwer beladene Wagen durch die Straßen unserer Stadt, um vor ^ jedem Haus vorsorglich einige Büschel ^ Tannenreis niederzulegen; am Ausgang der Straßen erhoben sich kräftige Tannen, die von kunstsinnigen Händen zu Ehrenpforten gestaltet wurden. Allerorten regten sich fleißige Hände im Dienste des -schönen. Und wie mannigfaltig waren die Formen, in denen sich das Bestreben der Einzelnen zum Gelingen des Ganzen beizutragen, be- lhätigte, von plötzlich blühendem Oleandergebüsch bis zu den sinnreichen Inschriften und Gedichten, die verrieten, wie manches Talent bisherunerkannt unter uns gewandelt hat! Als dann am Abend die Ausschmückung der Häuser vollendet war und auch unser Pflaster gemäs stadt- und hauspolizeilicher Verordnung in sonntäglicher Reinheit prangte; als dann die Menge wie instinktiv dem Bahnhof zu sich bewegte und bald darauf mit wunderbar militärischem Marschschritt über den Marktplatz zog, bald da bald dort das mutige Schmettern der Trompete und das dumpfe „Humba! Humba!" der großen Paucke ertönte und an den Abhängen unseres schönen Thales wiederhallte, da konnte man sicher sein, daß man sich am Vorabend eines bedeutenden Festes befinde. Und so war es auch in der Thal. Draußen auf dem Maienplatz hatten sich seit einer Woche fleißige Männer im Schweiß ihres Angesichts bemüht, eine würdige Arena für den bevorstehenden Sängerkrieg zu zimmern und solide Sitzplätze für die sangeskundigen Scharen herzustellen, andere waren fleißig ab- und zugegangen, um mit besorgten
Blicken nach dem Rechten zu sehen. Wenn nur auch der Himmel ein Einsehen und morgen einmal ausnahmsweise keinen Wolkenbruch schicken wollte! — Das war an diesem Abend wohl der allgemeine Wunsch all der vielen Sänger draußen im Enz-Nagoldgau, der Bewohner der festlich geputzten Feststadt und namentlich der Geschäftsleute, die sich reichlich mit Speis und Trank für die erwarteten Gäste versehen hatten.
Müllik.
Deutschland.
Anläßlich des bevorstehenden Besuches Kaiser Wilhelms in England hat der Herzog von Cambridge, der General- lissimus des englischen Heeres, einen Armeebefehl erlassen, wonach zu Ehren des kaiserlichen Gastes am 11. Juli eine Truppenschau zu Wimbledon statltfinden soll. An derselben werden 20 000 Mann aller Truppengattungen und ein großer Teil der Londoner Freiwilligen teilnehmen, so daß sich das angekündigte militärische Schauspiel wohl zu einer der größten Hceresschauen gestalten dürfte, die je auf englischem Boden abgehaltcn worden sind. Wie dem Armeebefehle des Herzogs von Cambridge weiter zu entnehmen ist, würde zu der Truppenschau von Wimbledon auch die Königin in Begleitung des Prinzen von Wales und der übrigen Mitglieder der königlichen Familie erscheinen.
Das Oberlandesgericht in Breslau, als höchste Instanz, entschied heute, unter Verwerfung des gegenteiligen früheren Urteils, daß das Jmpfgesetz ein Zwangsgesetz sei. Dies Urteil steht im Widerspruch mit denjenigen verschiedener anderer Oberlandesgerichre.
Glogau, 25. Juni. Eine entsetzliche Blutthat hat, wie die „Schles. Ztg." mitteilt. gestern früh das Dörfchen Schrien in die größte Aufregung versetzt. Der herrschaftliche Kutscher Tast hatte aus Verzweiflung darüber, daß er seinen Dienst verlieren sollte, beschlossen, seine Familie und sich selbst ums Leben zu bringen. Mit einem fünflüufigen Revolver erschoß er zunächst drei seiner Kinder, die im Bett lagen, einen vierten Schuß gab er auf seine Frau ab, derselbe streifte jedoch nur die Wange der Frau. Das vierte Kind wurde gar nicht getroffen. Im Glauben, stine ganze Familie umgebracht zu haben, begab sich der Mörder nach dem Boden> des ihm zur Wohnung angewiesenen Hauses!
und erhängte sich. Der verwundeten Frau wurde sofort ärztliche Hilfe zu teil.
Rosheim, 23 Juni. Ein Landstreicher mit dem schönen Namen Leber- wurst stand heute vor den Schranken des hiesigen Schöffengerichts. Es wurde ihm ein recht artiges Sündenregister vorgehalten, denn seit dem Jahre 1882, in welchem er sein Wanderleben begann, hat er sich nicht weniger als 29 Strafen zugezogen , welche von den Gerichten der Verschiedensten Gauen Deutschlands ausgesprochen worden sind. Er hatte Arbeit als Schieferdecker genommen, jedoch die meiste Zeit in den Wirtschaften zugebracht und als ihn sein Arbeitgeber deswegen zur Rede stellte, den letzteren mit offenen Messer bedroht. Das Schöffengericht verurteilte ihn zu sechs Wochen Gefängnis. Die Miene, mit welcher der Angeklagte das Urteil aufnahm, zeigte deutlich, daß er seinen appetitlichen Namen verdient, denn sie schien zu sagen: „Mir ist alles Wurst!"
Württemberg.
Stuttgurt, 28. Juni. Seit den frühesten Morgenstunden ist der Personen- Verkehr auf dem hiesigen Bahnhof geradezu kolossal. Beinahe endlose Züge müssen zusammengestellt und viele Voraus- beziv. Nachzüge eingelegt werden, um die Massen der Ausflügler zu befördern. Auch die hier eintreffenden Vormittagszüge waren stark besetzt. — Leider ereignete sich bei Einfahrt des Zuges Nr. 200 von Hesscn- thal—Backnang, ankommend in Stuttgart 7 Uhr 57 Min. vormittags, ein schweres Unglück. Trotz des bestehenden Verbotes sprang der Ankuppler Brixner, solange der Zug noch in Bewegung war, auf den kleinen Tritt hinter dem Tender, um die Pfeifleine auseinanderzuhaken. Er glitt aus, fiel auf die Schienen und wurde von den Rädern der nachfolgenden Wagen zu einer blutigen Fleischmasse zusammengerollt. Die Leiche wurde in das Bürgerspital verbracht.
Stuttgart, 28. Juni. Ein junger Mann ist schon längere Zeit mit einem von ihm selbst gelenkten Mietfuhrwerke von hier abwesend. Einmal telegraphierte er von Tübingen, er werde einen Tag länger ausbleiben. Nachdem wieder etliche Tage ohne Nachricht oder Rückkunft verflossen, bleibt nunmehr dem Besitzer des Fuhrwerks nichts anderes übrig, als ernstlich die Hilfe der Polizei und der Behörden in Anspruch zu nehmen, um die Sache aufzuklären.
In der Guttenbergstraße in Stuttgart sprang der wertvolle Jagdhund eines Jagdliebhabers vier Stockwerke hoch auf die Straße hinab. Als der Besitzer die Treppe hinabeilte, um seinen zerschmetterten Liebling aufzulesen, kam ihm dieser freudig wedelnd und laut bellend, ohne nennenswerten Schaden genommen zu haben, entgegen.
S ch w e i ?.
In der Schweiz gilt die Tagesdiskussion noch immer der Mönchensteiner Eifenbahukatastrophe, auch wird letztere noch zu parlamentarischen Erörterungen führen. So ist im Nationalrat eine Interpellation eingebracht worden, wonach der