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und führte trübes Wasser. Die Totenliste verzeichnet 71 , die Vermißtenliste 64 Nummern. — In den Vormittagspredigten aller Kirchen wurde heute des Eisenbahnunglücks und der Verunglückten in passender Weise gedacht. Die Kirchen waren wie an hohen Festlagen von Andächtigen stark besucht, viele Zuhörer brachen in heftiges Schluchzen aus; die israel. Gemeinde hielt eine Trauerfeier am Samstag. Während des Vorm, wurden die Kirchhöfe sehr zahlreich besucht; Gesangvereine sangen ihren so unverhofft entrissenen Mitgliedern noch ein Abschiedslied. — Etwa 600 Italiener zogen um II Uhr auf die Gräber ihrer Kollegen, denen sie am Werktag das letzte Geleite nicht geben konnten. — Abends um 7 Uhr fand im Münster eine Totenfeier für die Verunglückten statt. Das Volk strömte aus allen Stadtteilen herbei, so daß die Kirche sich als viel zu klein erwies. Viele Hundert Andächtiger umstanden die Kirche, und drinnen herrschte ein Drängen und Stoßen, daß viele Personen von Ohnmachtsanfällen befallen wurden. Die Feier nahm im klebrigen einen tiefernsten Verlauf.
Basel, 22. Juni. Die Zahl der vermißt Angemeldeten ist von 53 auf 31 zurückgegangen und dürfte nach Ansicht der Polizeidirektion Baselland sich noch bedeutend weiter vermindern, indem die meisten irrig seien. Die Wagenteile sind jetzt sämtlich gehoben; das Gerücht, es liege noch ein Waggon mit Italienern in der Birs, ist grundlos. — In einer Zuschrift an den Vicepräsidenten des Bundesrats Welti erklären die Professoren Ritter und Tittmaier. es sei zur Zeit fraglich, ob es möglich sein werde, die Ursachen der Mönchenstciner Katastrophe bestimmt anzugeben. Weder der Konstruclionsart der Brücke, noch der Qualität des Eisens könne bis jetzt eine Schuld an dem Unglücke zugeschrieben werden. Auch lasse sich noch nicht mit Sicherheit feststellen, ob eine Entgleisung stattgefunden und dadurch der Einsturz der Brücke bewirkt worden sei.
Ausland.
London, 23. Juni. Die meisten Blätter erklären, während der Anwesenheit des Kaisers Wilhelm werde end- giltig das Verhältnis Englands zum Dreibunde geregelt.
London, 20. Juni. Ein großes Feuer in Regentstreet zerstörte fast gänzlich das berühmte Wachsfiguren - Kabinet Louis Tissand. Die dem Lord Salisbury gehörige Nürnberger Folterwerkzeug-Sammlung wurde gerettet.
London, 22. Juni. Ein Militärzug stieß in der Nähe von Londonderry (Irland) mit einem andern zusammen. Der Lokomotivführer und der Heizer wurde getötet, zwanzig Soldaten schwer verwundet.
Der „Held von Tscherkeskjö", der Näuberhauplmann Athanas, erfreut sich noch immer der goldenen Freiheit, das Gerücht von seiner angeblichen Gefangennahme hat sich nicht bestätigt. Es scheint nicht einmal einer seiner Genossen beim Ueberfall von Tscherkeskjö den verfolgen
den Soldaten in die Hände gefallen zu sein, obwohl die Verfolgung mit großer Energie vor sich geht. Möglicherweise haben sich die Banditen unter dem Schuhe einer harmlosen Verkleidung schon längst außerhalb der türkischen Grenze in Sicherheit gebracht, um dann nach einiger Zeit sich auf türkischem Boden zu einem neuen kecken Streich zusammenzufinden.
Miszttlkn.
Ein Verbrecher.
Erzählung von Feodor Bern.
(Fortsetzung.)
Frau von Friesen schwieg. Dieser Antrag kam ihr nicht ganz unerwartet, dennoch bewegte er ihr Herz.
Sie drückte leise Buchens Hand. „Lassen Sie mir Zeit," sprach sie — „lassen Sie mir Zeit — nur heute nicht!"
„Doch — heute — jetzt!" rief Buchen mit Ungestüm. Sie können nicht so grausam sein und mich noch länger in der Pein der Ungewißheit und des Zweifels lassen. — Kläre, wenn Sie mich lieben, dann müssen Sie es ja heute, in diesem Augenblicke so gut wissen wie morgen und später. Fragen Sie ihr Herz und hören Sie nur darauf! Die Stimme des Herzens lügt nicht! Geben Sie mir diese Hand. Sprechen Sie — wollen Sie?"
„Muß ich nicht Sie - Ungestümer!" erwiderte sie leise — errötend.
„Kläre — mein — mein!" rief Buchen fast aufjubelnd und schloß Sie ungestüm in seine Arme.
Sie hatten keine Lauscher gehabt. Als sie aber vereint in den Saal zurückkehrten, erriet ein jeder aus Buchens leuchtenden Augen und den erhitzten Wangen der jungen Frau, was zwischen ihnen vorgegangen war.
Ein Freund gratulierte Buchen im stillen zu seiner Verlobung, zu seinem Glück.
Dieser lehnte den Glückwunsch ab, aber mit einem Lächeln, welches nur zu deutlich sprach, wie wenig ernst diese Ablehnung gemeint war.
Die Gesellschaft schied erst spät von diesem Gut. In dem Dorf, durch welches die Wagen fuhren, lag alles im tiefen Schlaf. Nur in der Schenke war noch ein Licht und laute Stimmen erschallten daraus.
Der Waldhüter mit zwei Freunden saß in dem niedrigen rauchigen Zimmer. Sie hatten schon viel getrunken und der Waldhüter am meisten. Sobald seine Begleiter fortgehen wollten, hielt er sic zu rück, um noch ein Glas Branntwein zusammen zu trinken.
„Bleibt und trinkt!" rief er zuletzt. „Ich bezahle für Euch." Frische Gläser wurden bestellt. Der Wirt schien wenig Neigung zu haben, das Bestellte zu bringen.
„Nun" rief Steingruber. wirds bald! Ich bezahle alles!" —
„Ihr habt schon genug für Euch allein zu zahlen," entgegnete der Wirt. „Seht, das ist Eure Zeche," und er zeigte auf eine Anzahl Kreidestriche an der Thür.
„Ha! glaubt Ihr, ich könnte nicht bezahlen?" rief Steingruber aufgebracht.
„Es wäre nicht das erste Mal. daß Euer Name wochenlang hier auf der Thür steht!"
„Zum Kuckuck! bringt Branntwein!" rief der Waldhüter noch aufgebrachter.
„Ich sage, ich bezahle Euch und wenn wir den letzten Tropfen austrinken, den Ihr im Hause habt. Hier — hier seht!"
Er griff in die Tasche und warf eine beträchtliche Banknote aus den Tisch.
Neugierig und prüfend hob derselbe den Schein aus und betrachtete ihn. Einen flüchtigen Blick warf er dann dem Waldhüter hinüber.
„Ein solches Stück habe ich auch noch nicht bei Euch gesehen."
„Haha!" rief Steingruber lachend. „Habe ich Euch vielleicht schon in meine Tasche blicken lassen!"
„Nun — nun," warf der Wirt ein: „solche Scheine werdet Ihr sicher selten darin haben. Wie seid Ihr denn dazu gekommen?"
Der Waldhüter wurde durch diese offene Frage in Verlegenheit gesetzt. Er wollte sie verbergen; es gelang ihm indes nicht.
„Nun, gemacht habe ich ihn nicht, erwiderte er — und — und gestohlen habe ich ihn auch nicht."
„Daran wird auch niemand gedacht haben." erwiderte der Wirt. „Doch, was geht es mich an, woher Ihr das Geld habt. Wenn's Euch recht ist, wechsle ich ihn Euch und ziehe die Zeche sogleich ab."
„Ja. thut das — thut das!" rief der Waldhüter hastig, als ob es ihm lieb wäre, daß der Wirt das Gespräch abgebrochen hätte.
Seine beiden Gefährten fragten nicht nach dem Geld; es kümmerte sie auch nicht. Hätte der Waldhüter es auf unehrliche Weise erworben, so würde er es ihnen doch nicht erzählen. Für sie war es am klügsten, ganz davon zu schweigen, und in Ruhe noch einige Glas auf seine Rechnung zu trinken und dies befolgten sie auch.
Schon ziemlich früh am Morgen des folgenden Tages wurde die Ruhe des sonst so stillen Dorfes gestört. Ein Jägerbursch kam zum Dorfschulzen gelaufen, um ihm zu melden, daß er einen erschlagenen Mann im Walde aufgefunden habe. So eilig er es auch zu haben schien, hatte er doch Zeit genug gehabt, dieselbe Nachricht mehreren ihm Begegnenden mitzuteilen. Den Erschlagenen selbst kannte er nicht.
(Fortsetzung folgt.)
(Ein vornehmes Dorf.) Aus Thüringen wird der „Frks. Ztg." geschrieben: Der Flecken Steinbach-Hallenberg im Kreise Schmalkalden ist in der glücklichen Lage einen „Kaiser" als Totengräber, einen „König" als Nachtwächter, einen „Herzog" als Ziegenhirten und einen „Markgrafen" als Gänsehirten zu besitzen.
(Glückliches Einvernehmen.) „Lebst Du denn jetzt glücklicher mit deinem Mann?" — „O, jetzt sind wir ein Herz und eine Seele." — „Hat er sich denn das viele Biertrinken abgewöhnt, worüber du immer so unglücklich warst?,, — „Nein — er hats mir angewöhnt?"
Redaktion, Druck und Verlag von Chrn. Meeh in Neuenbürg.