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Deutschland.

Berlin, 6. Dez. Der Reichskanzler v. Caprivi hat, wie dieKöln. Ztg." hört, in der Sitzung des Bundesrats vom 4. Dezember einen sehr eingehenden Vor­trag über die Ziele nnd Absichten seiner Kolonialpolitik gehalten. Es werve ange­nommen, daß der Reichskanzler bei Be­ratung des Kolonialetats auch nn Reichs­tage das Wort ergreifen werde.

Die Einfachheit des neuen Exerzier­reglements macht sich bei der Ausbildung der Rekruten in der vorteilhaftesten Weise geltend, so daß die jungen Soldaten jetzt nach vierwöchiger Anwesenheit in der Kaserne schon ziemlich weit vorgeschritten sind. Namentlich jetzt, wo die Leute das Gewehr bekommen, ist der Fortfall der vielen Griffe von dem günstigen Einfluß auf die kriegsmäßige Ausbildung.

Der Berliner Stadthaushalt ist der drittgrößte des Reiches, nur das bayerische und das preußische Staatsbudget ist höher, das von Sachsen, Württemberg und Baden niedriger.

Durch die Unsitte des Hut ei nt rei­ben s ist am gestrigen Abend der Hand­lungsgehilfe Eugen G. um ein Auge ge­kommen. Er hatte ein in der Jnvaliden- straße belegenes Konzertlokal verlassen, als ihm ein guter Freund entgegentrat und ihm den Hut mit solcher Gewalt über den Kopf trieb, daß die Brille zersplitterte und deren Glasteile tief in das rechte Auge drangen. Mit einem Aufschrei brach der Unglückliche zusammen. In der nächst­gelegenen Sanitätswache vermochten der dienstthuende Arzt wohl einige Splitter zu entfernen, aber das Auge selbst erwies sich als völlig zerstört. Die Verzweiflung des Thäters, der seinem Jugendfreunde im Scherz ein derartiges Leid zugefügt hat, spottet jeder Beschreibung. So gehts: die Seufzer und die Thränen, die kommen hintennach.

Nach den vorläufigen Ergebnissen der Volkszählung war die Bevölkerungs­zunahme am bedeutendsten in München (29), Magdeburg (25), Berlin (19 pCt.).

Die Zunahme Helgolands in den letzten 10 Jahren beträgt 85 Personen. Jetzt zählt die Insel 2086 Einwohner, 953 männliche und 1133 weibliche.

Gotha, 8. Dezbr. Die verbreitete Petition gegen die Aufhebung des Jesuiten­gesetzes ist mit 7000 Unterschriften bedeckt an den Reichstag abgeschickt worden.

Augsburg, 9. Dezbr. Eine große Versammlung von Katholiken und Pro­testanten beschloß eine Protestadresse gegen die Zulassung der Jesuiten. (Str. P.)

Württemberg.

Ulm, 7. Dezbr. Die heute hier in der Tuchhalle abgehaltene allgemeine öffentliche Versammlung in Sachen der Jesuitenfrage, war von etwa 1500 Per­sonen besucht. Präsident v. Schab hatte den Vorsitz und sagte in seiner Eröffnungs­rede unter anderem: Kein Protestanten­tag, kein Antikatholikentag sei beabsichtigt. Die schönen Worte des Landtagsabgeord­neten Untersee, mit welchen uns die Bruderhand zum gemeinschaftlichen Kampf

gegen die Sozialdemokratie geboten, haben bei den Evangelischen freudigen Wiederhall gefunden. Sie schlagen ein mit Freude und bestem Gewissen. Aber wenn man von den Evangelischen verlange, daß sie gemeinsam mit den Jesuiten kämpfen sollen, deren beschworener Beruf die Verfolgung und womöglich die Vernichtung der evan­gelischen Kirche sei, so frage es sich, ob sie es vor ihrem Gewissen verantworten können, einen solchen Preis zu bezahlen und damit ihre Ehre, d. h. sich selbst auf­zugeben. Pfarrer Eisele aus Neipperg charakterisierte sodann in längerer Rede den Jesuitenorden als den Todfeind des Protestantismus, der evangelischen Kirche und unserer auf protestantischen Grund­sätzen beruhenden Staatsordnung. Ein­gehend setzte er sich mit den Gründen auseinander, die man katholischerseits für die Rückberufung der Jesuiten geltend macht, und untersuchte. ob die Jesuiten wirklich die Mittel besitzen, dem Zerfall der Religion, der guten Sitte und des Familienlebens, kurz dem Sozialismus Einhalt zu thun. Das Ergebnis könne nur ein verneinendes sein. Die Ausführung des Redners gipfelte in dem Satze: Der jesuitische Zukunftsstaat wäre um kein Haar besser als der sozialistische. Redner berief sich noch auf vernichtende Urteile über den Jesuitenorden von Hefele, Möhler und Wessenberg und schloß mit den Worten: Wir schlagen gerne ein in die dargereichte Friedenshand. Aber im Interesse der Selbstachtung und Selbsterhaltung müssen wir Protestanten die Bedingung stellen: Verzichtet auf die Jesuiten, wenn es euch aufrichtigen Herzens um den Frieden zu thun ist!" Der zweite Redner, Pfarrer Dr. Weit brecht von Mähringen, gab eine Geschichte des Jesuitenordens, seiner unheilvollen, friedenstörenden, jedes natio­nale Leben untergrabenden Thätigkeit. weshalb derselbe auch schon etliche 40mal selbst aus katholischen Ländern ausgewiesen wurde. Beide Vorträge wurden von der zahlreichen Versammlung mit dem lebhaftesten Beifall ausgenommen und nach einem kräftigen Schlußwort des Vorsitzenden fand die Petition an den Reichstag gegen die Aufhebung des Jesuitengesetzes viele hundert Unterschriften. (Südd.C.-B.)

Calw, 8. Dez. Das Lutherfestspiel von Dr. Hans Herrig hat auf seinem Rundgang durch Deutschland auch seinen Einzug in hiesiger Stadt gehalten. In einer Reihe von Städten gelangte dieses kirchliche Festspiel zur Aufführung und überall, wohin es kam, hat es die Herzen gewonnen. Die Vergangenheit feiert man ja am besten, wenn mau sie zur Gegen­wart werden läßt und in unsern durch religiöse und konfessionelle Fragen stark erregten Tagen ist es notwendig, daß das Volk sich selber schaut, und zwar nicht im Gewände des Alltages, sondern in den Gestalten seiner großen Männer und im Spiegel der denkwürdigen Ereignisse jener Zeit der Reformation. Wir sehen in dem Festspiel den deutschen Reformator Luther gleichsam lebendig in seinem Werke vor uns, wir werden versetzt in seine Zeit und 'n die Bewegungen, welche er in ihr her­vorrief, und freudig erhebt sich das Herz bei dem Anblick, wie Luther sich durch

nichts hat bewegen lassen, von der einmal betretenen Bahn abzuweichen und wie er vor dem versammelten Reichstag zu Worms mit festem Mut seinen Glauben bekannt und zum Schluß noch hinzugesügt hat: Hier stehe ich, ich kann nicht anders, helfe Gott mir, Amen! Die Sprache des Fest­spiels ist edel, einfach, kräftig und volks­tümlich, die Dichtung sehr gut gelungen. Das Stück zerfällt in 6 Scene», welche einzelne Ereignisse aus dem Lebe» Luthers (Klosterleben, Ablaß, Verbrennung der päpstlichen Bulle, Reichstag zu Worms, Wartburg, Bauernkrieg, resp. die Bilder­stürmer) darstellen. Aufgeführt wurde das Spiel in Kostümen durch die Mit­glieder des ev. Jünglingsvereins. Die­selben gaben sich alle Mühe, der ihnen gewordenen Aufgabe gerecht zu werden, so daß wir der Darstellung im Allge­meinen volle Anerkennung zollen. Der Besuch des Festspiels war ein überaus zahlreicher; der Saal des Bereinshauses war bis auf den letzten Platz besetzt. Das Stück soll noch mehrmals wiederholt wer­den und können wir den Besuch desselben nur dringend empfehlen.

Maulbronn. Dem nationalliberalen KandidatenHrn.SchultheißKälber wurde neuestens in der Person des Hrn. Gem.- Rat W. Plag ein demokratischer Gegen­kandidat gegenübergestellt.

O e st e r r e i ch.

In Wien wurde der 54 Jahre alte Gras Franz von Sickingen wegen Betrugs verhaftet. Er hatte einer Stickerin des Hof-Operntheaters 15 000 fl. abgeschwin­delt unter der Vorspiegelung, er werde im Auslande eine hohe Staatsanstellung erhalten, ;a vielleicht sogar Fürst von Bulgarien werden. Der Verhaftete leugnet die Absicht der Schädigung; er behauptet, wertvolle Antiquitäten als Pfand gegeben zu haben.

Wien, 5. Dezbr. Gestern ist hier ein Postillon mit Wagen und Pferden in den Donaukanal gestürzt; der Wagen war vermutlich an einem Schneehaufen abgeglittten. Wagen und Pferdeleichen konnten nach einer Stunde herausgeschafft werden. Die Leiche des Postillons hat man noch nicht gefunden.

Ausland.

Paris. 8. Dezbr. Auf Befehl des Kriegsministers hat der kommandierende General des XIX. Armeekorps in Rennes seine Anordnung zurückgenommen, welche den Soldaten das Tragen wollener Unter­kleider verbot um sie abzuhärten. Das Schwurgericht verurteilte heute das Anarch­istenblattPore Veinard" wegen Aufreiz­ung zu Mord, Plünderung und Brand­stiftung und wegen der Aufstachelung von Soldaten zum Ungehorsam zu 2 Jahren Gefängnis und 3000 Fr. Geldbuß.

London, 6. Dezbr. Als ein Frucht­händler in Eastbourne dieser Tage ein Faß amerikanischer Aepfel aufschlug, fand er einen Prachtapfel, an dem der folgende Zettel befestigt war:Sollte eine junge heiratslustige Dame diesen Apfel essen, so wende sie sich nur getrost an Hartley Marshall, Falkland Ridge, Annapolis Co., Nova Scotia, welcher eine Frau sucht." Dem Manne kann geholfen werden.

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Redaktion, Druck und Verlag von Chrn. Meeh in Neuenbürg.