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Köhler's

Deutscher Kaiserkalender

für das Jahr 18S1

ist a 50 ^ zu haben bei

C. Meeh.

Kronik.

Deutschland.

Berlin, 5. Dezbr. Der württem- bergische Generallieutenant v. Falken­ste in war gestern abend vom Kaiser zum Souper geladen.

Die Konferenz für Fragen des höheren Schulwesens wurde in Gegenwart des Kaisers durch den Kultus­minister Dr. v. Goßler mit dem Hin­weis auf die Fürsorge der Hohenzollern eröffnet. Der Minister betonte, daß die Konferenz volle Freiheit der Diskussion habe. Der Kaiser erwiderte, niemand sei geeigneter zur Leitung der Konferenz als sein tapferer Kultusminister. Bei Be­ginn der Verhandlungen legte der Kaiser feine Ansichten dar und erklärte, nicht um politische, sondern um mechanisch-pädagog­ische Fragen handle es sich. Der Kaiser weist darauf hin, die Schule hätte das Gefecht gegen die Sozialdemokratie über­nehmen müssen. Seit der Reichseinheit, seit Elsaß Lothringen wiedergewonnen, sei sie aber stehen geblieben. Jetzt müsse sie die Jugend anfeuern zur Erhaltung des neuen Staatswesens. Die nationale Basis dürfe nicht fehlen! Nicht Römer und Griechen, sondern junge Deutsche seien zu erziehen! Der Kaiser betont die Ueber- produktion der Gymnasien, welche Hunger­kandidaten und brüchige Existenzen erzeuge. Er, sagte er, werde ohne Nachweis der Exstenzberechtigung kein Gymnasium ge­nehmigen. Er halte dafür, daß es klassische Gymnasien und Schulen mit Realbildung, aber keine Realgymnasien gebe.

Der neue Reichshaushalt enthält auch Geldforderungen, welche den berittenen Offizieren nichtberittener Truppen eine Er­leichterung der Pferdebeschaffung gewähren sollen. Die sämtlichen Offiziere, Sanitäts­offiziere und Beamten, welche auf Rationen Anspruch haben, sollen zur Beschaffung ihrer Pferde, Pferdegelder erhalten.

Die Fraktionen des Reichstags. er­scheinen nach der Vertagung in folgender Stärke: Deutsch-Konservative 70, Reichs­partei 19, Zentrum 113, Polen 16, Nationalliberale 41, Deutschfreisinnige 65, Bolkspartei 10, Sozialdemokraten 35, Fraktionslose 27.

Dem Mitarbeiter Prof. Kochs, Dr. Arnold Lib bertz, ist der Titel Sanitäts­rat verliehen worden.

Die Zahl der Bewerbungen um den Ko ch'schen Impfstoff ist so groß, daß zur Abholung der an Hrm Dr. Libbertz, dem Eingeweihten Robert Kochs, einlaufenden Postsachen Soldaten kommandiert sind, welche die Briefe rc. in Waschkörben an den Adressaten befördern.

Darkehmen, 1. Dezbr. Auf dem Militärschießplatze wurde ein postenstehen- der Soldat von einem Unteroffizier er­schossen, weil dieser den Posten für das Scheibenziel hielt.

Die Einfuhr von italienischem Rind­vieh in die Schlachthäuser der größeren Städte des Reichslandes ist wieder ge­stattet.

Karlsruhe, 4. Dezbr. Nach vor­läufiger Feststellung der Ergebnisse der letzten Volkszählung zählt Karlsruhe jetzt 73 413 Einwohner, das heißt 12 258 mehr als im Jahr 1885. Die Anziehungskraft unserer städtischen Verhältnisse tritt damit in das hellste Licht.

Württemberg

Der Landtag tritt Anfang Januar zusammen, wird voraussichlich Ende Januar mit der Verwaltungsreform zu Ende kommen und dann nach einmonatlicher Pause an die Beratung des Etats pro 1891/93 gehen, der binnen kurzem im Druck erscheinen wird. Man hört, daß die Session bis in den Juni dauern wird.

Stuttgart, 5. Dezbr. Das Hof­lager Seiner königl. Hoheit des Prinzen Wilhelm ist heute von der Villa Marien­wahl (Ludwigsburg) in den hiesigen Wil­helmspalast in der Neckarstraße verlegt werden. Prinz Wilhelm wird voraussicht­lich heute Nacht von den Leichenfeierlich­keiten in Haag bezw. Delft hieher zurück­kehren. Am nächsten Montag den 8.d. M. findet bei Ditzingen eine große Hofjagd auf Hasen statt, an welcher Prinz Wilhelm, Prinz Hermann zu Sachsen-Weimar und eine große Anzahl geladener Hofkavaliere und Offiziere der Stuttgarter und Lud­wigsburger Garnison teilnehmen werden.

Stuttgart, 4. Dez. Ende voriger Woche erschien bei der Familie des ver­hafteten Cannstatter Arztes ein junger Mann mit einem Schreiben auf amtlichem Papier mit gedrucktem Kopf, daß der be­treffende Arzt gegen eine Kaution von 25 000 vlL auf freien Fuß gesetzt werden würde, das Geld solle der Ueberbringer des Briefes mit der Frau des Arztes nach Stuttgart bringen, da der betreffende Unter­suchungsrichter nicht wolle, daß die Sache an die große Glocke komme. Sofort wur­den die nötigen Schritte gethan, um das Gelb zu beschaffen. Einem Verwandten kam die Sache aber nicht recht geheuer vor; er wandte sich an den Verteidiger des Inhaftierten, welcher von der ganzen Sache nichts mußte. Es ist gelungen, den Betrüger in der Person eines Cannstatter Wirtssohnes trotz seines Leuqnens zu ver­haften. Das betreffende amtliche Papier hatte er einem auf dem hiesigen Gericht angestellten Verwandten entwendet.

Sonntag den 7. Dezember wird Herr Eduard Elben aus Stuttgart in dem Gasthaf zumStern" in Alten steig einen Bortrag halten über die Aufhebung und Wiederherstellung des Jesuitenordens und die gegenwärtige Jesuitenfrage, wobei eine zahlreiche Teilnahme erwartet wird.

Weil im Dorf, 4. Dezbr. Heute wurde auf der Feldmarknng zwischen hier und Ditzingen große Hofjagd gehalten, wobei sich 28 Jäger und 80 Treiber be­teiligten. Die Gesamtstrecke ergab 170 Hasen.

Aus Gültlingen AO. Nagold wird geschrieben, daß der dortige Gemeinderat Frdr. Ernst ein großes Geschäft nach Amerika betreibt. Derselbe sandte vorige

Woche 116 000 Stück 2 jährige Obstbäume, in Kisten ü 1 odw verpackt, nach Mann­heim, von wo aus solche nach Amerika verladen werden sollen.

O e st e r r e i ch.

Wien, 4. Dezbr. Das Finanzmini­sterium hat die zollfreie Einfuhr der Koch- schen Lymphe gestattet.

S ch w e i z.

Bern, 4. Dez. Die Doktoren Lutz (Basel) und Schmid (Bern) wurden vom Bundesrat abgeordnet, um in Berlin an zuständiger Stelle alles zu thun, um der Schweiz die Wohlthaten der Koch'schen Entdeckung möglichst zu sichern.

Ausland.

Haag, 4. Dezember. Anläßlich der heutigen Leichenfeier des Königs entstand wiederholt ein derartiges Gedränge, daß zahlreiche Personen verletzt wurden. Mehrere Pferde des Leichenzuges scheuten. Einzelne Reiter wurden aus dem Sattel gehoen.

Die Haltung der Bevölkerung in Holland ist im allgemeinen eine wunder­wolle, die Stimmung eine der Königin« Regentin Emma und der Königin Wil­helmine günstige. Doch werden auch feind­liche, antimonarchische Kundgebungen be­merkt. So fand die Polizei in Rotterdam, im Haag, in Haarlem, Enschede, Beeren­veen und Sittard an vielen Häusern auf­hetzende Zettel, alle gleichlautend:Pre­diger 10, Vers 16: Weh dem Lande, dessen König ein Kind ist! Es lebe die Re­publik! Haag, 2. Dez."

London, 4. Dez. Die britische Süd- Afrika-Gesellschaft veröffentlicht Depeschen, wonach im Maschonaland nahe beim Um- fuli-Fluß reiche Goldlager entdeckt worden seien. 17 afrikanische Minen-- Konsortien sandten Agenten dorthin.

M wollen.

Etwas spät. Eine 75 Jahre alte Frau in Berlin hat wider ihren 83 jähr. Ehegatten, laut öffentlichen Aushanges im Landgerichtsgebäude I., wegen böswilligen Verlassens die Ehescheidungsklage ange­strengt.

(Malitiös.) Junger arroganter Mensch:Ich habe heute mit Professor Müller meine Gedanken ausgetaujcht!" Bekannter (spöttisch):Na, da konnten Sie nur profitieren!"

(Aus der Jnstruktionsstunde.) Ser­geant:.. . Kriegslist ist nämlich: daß Jhr's niemals den Feind merken laßt, wenn ihr keine Patronen mehr habt sondern immer weiter schießt!"

Gemeinnütziges.

sSauerkraut mild zu erhalten.) In Rußland, wo bekanntlich das Sauerkraut ein Nationge­richt ist, legt man dasselbe in Fässern von Birkenholz em oder stekt in Ermangelung des­selben einen Stab von ungeschältem Birkenholz in das Sauerkraut. Diese Holzart erhält das Kraut mild und verhütet das Uebersäuren der­selben während es in den Gesäßen aus Eichen­holz schneller und stärker säuert, als in Tonnen aus anderem Holz.

Redaktion, Druck und Verlag von Chrn. Meeh in Neuenbürg.