Kronik.

Deutschland.

Ueber die bisherigen Ergebnisse der Forschungen Robert Kochs über die Heilung der Schwindsucht berichtet die Nat. Z. ausführlich: An hen Unter­suchungen und Krankenbeobachtungen, die noch weiter fortgesetzt werden, sind 4Aerztc beteiligt. Nachdem Koch die Versuche, die er in der Charite auf der Abteilung des Prof. Senator unternommen, anfangs September eingestellt hatte, setzte er sich unmittelbar mit vr. Levy in Verbindung, welcher eine chirurgische Privatklinik unter­hält und als Gewerksarzt über ein viel­seitiges Krankenmaterial verfügt. In aller Stille wurde eine Anzahl geeigneter Kranker in diese Klinik ausgenommen und die Heilversuche daselbst sowohl an Lungen­kranken wie an Patienten, die an tuberku­lösen Erkrankungen andererOragane leiden, angestellt. Mit welcher Vorsicht behufs Geheimhaltung die Auswahl und Auf­nahme der Kranken erfolgte, erhellt daraus, daß die Kranken sowohl wie die sie über­weisenden Aerzte verpflichtet wurden, zu niemanden über Ort und Art der Behand­lung zu sprechen, daß während der Be­handlung von den Anghörigen der Kranken nur einer bestimmten, gehörig legitimierten Person der Zutritt in die Klinik gestattet wurde und dergl. mehr. Ueber die Natur und die Bestandteile des Koch'schen Heil­stoffes herrscht noch immer tiefes Dunkel. Koch stellt den Stoff eigenhändig her, den er zu den Versuchen liefert, und ge­denkt sein Geheimnis nicht vor der authent­ischen Veröffentlichung preiszugeben. Was wir daher über diesen Punkt erwähnen können, sind nur Vermutungen, die uns aus ärztlichen Kreisen mitgeteilt wurden, indessen einige Wahrscheinlichkeit für sich haben. Dieser Stoff ist flüssig und wird vermittels der Pravaz'schen Spritze (ähnlich wie Morphium) den Kranken unter die Haut eingespritzt und so den Blutbahnen des Organismus direkt zugeführt. Bei Lungenleidenden wird die Einspritzung an dem Rücken vorgenommen, bei tuberkulösen Prozessen anderer Organe (wie z. B. des Knie- oder Hüftgelenks, des Kehlkopfes) in der nächsten Umgebung der Erkrankungs­stelle. Nicht in allen Fällen, aber doch oft, tritt bei den Kranken in den nächsten Tagen nach der Einspritzung Fieber auf, indessen wird dasselbe in allen Fällen überwunden und der Körper erträgt die ganze Behandlung, ohne einen Schaden davonzutragen. Es ist in dieser Welse, wie gesagt, bereits eine Anzahl glücklicher Kuren erzielt worden, die sich sowohl auf ältere, wie auf jüngere Personen mit teil­weise fortgeschrittenen Stadien der Schwind­sucht, auch auf Kinder erstrecken. In den nächsten Tagen soll eine besondere Privar- klinik zur Aufnahme und Spezialbehand­lung Lungenleidender nach Kochschem Ver­fahren eingerichtet werden. (S. M.)

München, 10. Nov. Ein vierzig­jähriges Stammgastjubiläum schreibt dasBayr. Vaterland" beging in diesen Tagen unsere bayerische Finanz­exzellenz Dr. Freiherr v. Riedel. Der gegenwärtige Minister besuchte schon vor

40 Jahren regelmäßig einen kleinen Kreis von Freunden und Studiengenossen, welche allwöchentlich einmal an einem Tisch des altbekannten Münchener Stammlokals des Franziskanerkellers zusammenkamen. Die­sem Kreis ist Riedel auch, als er zum Minister cmporstieg, treu geblieben. Zum vierzigjährigen Jubiläum des Bestehens dieses kleinen Kreises überreichte der Besitzer des Franziskanerkellers, Gabriel Sedlmayer. seinem treuen Stammgast einen fein aus- geführtcn Stammkrug, welches Geschenk der Minister mit Freude entgegennahm.

Offen b ur g , 8. November. Zu der öffentlich ausgeschriebenen Stelle eines Bürgermeisters unserer Stadt hat sich kein Bewerber gemeldet, obgleich der Posten mit 5000 ^ nebst freier Wohnung dotiert ist. Heute lief die in dem Ausschreiben gestellte Frist ab; ob man es erneuern wird, ist fraglich.

Württemberg.

N a g o l d, 10. Nov. Im Gewerbe­verein hielt Herrn vr. Fränkel aus Weimar einen überaus belehrenden und anregenden Bortrag überdie Mittel z ur Erha l tu ng d es Mi ttelstan des." Viele, so führte der Redner etwa aus, wollen diesem Stande sein gänzliches Auf­hören für die Zukunft sicher prophezeien. In Folge der Ausbildung von Maschinen­technik und kapitalistischer Großindustrie werde es bald nur noch wenigeMilliar­däre" und durch eine unendliche Kluft von diesen geschieden, die Massen der un­selbständigen Arbeiter geben. Dann sei nach dem Zukunftstraum der Sozialdemo­kraten nur noch das Letzte zu thun. es erübrige nur noch, dieseExpropriateure zu expropriieren." den Wenigen das Viele auch noch abzunehmen, was diese selbst ihren Mitmenschen zuvor abgenommen haben. Das goldene Zeitalter der allge­meinen Gleichheit. ob auch Brüderlich­keit ? könne dann beginnen! Redner erklärte, daß er nicht zu denjenigen ge­höre, welche den Mittelstand so pessimistisch als einen totkranken Mann ansehen, zu­mal in Deutschland nicht, wo im Gegen­satz zu dem ganz modernen Nordamerika, gerade dieser Stand seine guten, festen Wurzeln im Laufe der Jahrhunderte weithin durchs ganze Volksleben gezogen habe. Es wäre auch ein schweres Unglück, wenn die Mittelstufen zwischen der kleinen Spitze und derbreiten Grundlage derPyramide" abbröckeln würden, wenn kein lebenskräftiges Mittelglied mehr die Höchsten mit den Niedern und Niedersten verbinden würde, wenn der Stand absterben sollte, in welchem d'e politische Freiheit und die sittlichen Kräfte eines häuslichen Familienlebens bisher vorwiegend ihren Hort und ihre Stütze gefunden haben. Hoffnungslos aber brauchen wir noch lange nicht zu sein. Wohl arbeite die Maschine im all­gemeinen schneller und billiger als die menschliche Arbeitskraft. Niemals aber werde es der toten Naturkraft gelingen, die menschliche Hand zu ersetzen, die im Dienste des Geistes und eines freien Willens stehe bei Fertigung aller der Dinge, die nicht blos praktisch und nützlich, sondern auch geschmackvoll sein sollen. Auf die so gar verschiedenen und so rasch

wechselnden Richtungen des Geschmacks der Zeit einzugehen. sei die Aufgabe des Handwerks, das somit mehr und mehr Kunsthandwerk werden müsse. Gewerbe­vereine sollen den strebsamen Handwerkern gute und praktische Musterzeichnungen zu­gänglich machen. Schon die Ausbild­ung der Lehrlinge sollte deshalb den Formensinn viel mehr wecken und pflegen, als dies meist geschehe. Der Unterricht im Zeichnen sei unerläßlich und nicht hoch genug anzuschlagen. Der Besuch der Fortbildungsschule sollte dem Zwange unterliegen. In Sachsen habe man gerade damit die allerbesten Erfahrungen gemacht. Lehrlingsprüfungen würden wohl am besten nicht von der Fachzunft vorgenommen werden, sondern von einer gemischten Prüfungskommission der Handwerker- und Gewerbevereine. Im allgemeinen wünschte Redner keineswegs die Wiederbelebung des alten Jnnungs- und Zunft-Wesens mit all dem Bann und Zwang, den diese kor­porativen Einrichtungen des Mittelalters ausübten. Heute ist gottlob jeder, der überhaupt arbeitet, im Besitze seiner vollen bürgerlichen Rechte und er ist den Quäler­eien einer zünftigen, oft sehr beschränkten und selbstsüchtigen Genossenschaft für immer enthoben. Innungen auf dem Grundsatz der Freiwilligkeit aber seien mit Freuden zu begrüßen. Ueberhaupt verspricht sich der Redner das Beste für den darnieder- lingenden Handwerkerstand davon, daß das von Schultze-Delitzsch eingeführte Ge­nossenschaftswesen mehr und mehr ausge- bildct werde: gemeinschaftlicher Einkauf, gemeinschaftliche Verkaufs- und Ausstel­lungsräume, wie solche die hiesigen Kunst­schreiner planen und hoffentlich mit Unter­stützung von verschiedenen Seiten bald auszuführen im stände sein werden, ja schließlich gar Arbeiterprotduktivgenoffen- schasten: dieser Weg der Selbsthilfe, des freiwilligen Zusammenschlusses sei der Weg der Zukunft. Das sei der berechtigte und der ausführbare Kern des Sozialismus. Freilich müsse hiezu, abgesehen von der heiklen Frage des Kredits, viel mehr Ge­meinsinn und Selbstbescheidung bei den Arbeitern vorausgesetzt werden, als sich bis jetzt dort meist finde. Endlich machte Redner auch darauf noch aufmerksam, daß die Fortschritte der Elektrotechnik nicht unwahrscheinlich in absehbarer Zeit auch den mittleren und kleineren Handwerkern den elektrischen Strom als voll genügende und spottbillige Arbeitskraft in seine Werk- stälte leiten werden. Dann könne er um so mehr Zeit und Kraft und Geist ver­wenden auf die feinere und künstlerische Ausarbeitung, wenn die mechanische Arbeit ihm durch die kleine Maschine abgenom­men sei. (Ges.)

Ludwigsburg, 12. Nov. Inner­halb der letzten 8 Tage sind hier 3 Ge- meinderäte gestorben. Dem vor einer Woche dahingeschiedenen Gem.R. A. Mack sind gestern die Gemeinderäte Huß und Schreiber im Alter von 67 und 71 Jahren, der erstere nach längeren Leiden, der letztere nach ganz kurzer Krankheit, im Tode nach­gefolgt.

Redaktion, Druck und Verlag von Chrn. Meeh in Neuenbürg.