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deutschen Kaufmann Giesecke in der Nähe von Tabora ermordete, wurde von dem stellvertretenden Reichskommissar in Ostafrika vor ein Kriegsgericht gestellt und nach erfolgter Verurteilung gestern mit dem Tode bestraft.
Zwischen der Schweiz und Italien steht ein Zollkrieg in Aussicht. Die italienische Regierung hat die Einfuhr von Vieh aus der Schweiz nach Italien vom 27. Juni ab verboten, infolgedessen in den schweizer leitenden Kreisen eine gereizte Stimmung gegen Italien herrscht. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß dieselbe die schweizerische Regierung zu Vergeltungsmaßregeln gegen den italienischen Nachbar veranlaßt.
MisMcn.
Der Schwänenritter.
Roman von E. von Martine;.
(Nachdruck verboten.)
(Fortsetzung.)
Sie erhoben sich und Elsbeth wollte sich verabschieden. Er aber blieb an ihrer Seite und half ihr über die Steine.
„Hier sehen Sie, das ist mein Heim," sie deutete nach dem altdeutschen Hause ihrer Mutter.
„Himmel! Wie reizend, köstlich! Man glaubt sich in eine andere Zeit zurückversetzt. — Ach, ich sehe Sie im Geiste mit lang herabhängenden Zöpfen im Erker beim Spinnrad sitzen, ein leibhaftiges Gleichen. —"
„Nein," sprach sie sehr ernst, „ich bin kein Gleichen und möchte auch keinem gleichen. — Nach meiner Auffassung ist das Gretchen kein echtes deutsches Mädchen. Will ein Dichter das treue Bild eines deutschen Mädchens wiedergeben, so muß es einen mehr natürlichen als überspannten Sinn haben. Der natürliche Instinkt müßte vorherrschend sein, selbst noch im Wahnsinn. Die Mutterliebe ist aber so groß im Weibe, daß sie Schmach und Schande geduldig auf sich nimmt und im Anblick ihres Kindes in der Ausübung ihrer heiligen Pflichten ihren Halt und ihre Kraft findet. Das ist ein Gesetz der Natur. Und nur ein Weib, welches mehr leidenschaftlich als natürlich ist, kann durch die gesellschaftlichen Gesetze, welche ein verführtes Mädchen ausstoßen, zur unnatürlichen Mörderin werden. Nein, für Gretchen schwärme ich nicht."
„Das ist eine ganz falsche Auffassung," sprach er, „Gretchen verübte die grause That im Wahnsinn. Sie war ihrer Sinne nicht mächtig, infolge dessen unschuldig an diesem Verbrechen.
„Ich bleibe dabei," erwiderte Elsbeth, „schon daß die Liebe sie wahnsinnig machte, ist unnatürlich. Die Liebe sollte nicht die Geisteskraft lähmen, sondern stählen. Wir müssen durch sie reiner werden und uns angetriebcn fühlen nach Höherem zu streben, aber nicht tiefer und tiefer zu sinken. Nein eine so große Liebe wie Gretchen gefühlt haben muß, daß sie darüber alles vergaß, macht edler, mag auch alle Schmach der Welt sie treffen. Die höchste Opferfähigkeit, die höchste Duldsamkeit wird ihr bleiben, wird ihren Verstand schärfer und klarer, aber nicht verwirrt machen. Doch
lassen wir das, denn es ist ein Gespräch, das nicht zwischen uns geführt werden sollte, aber mir ist als wären Sie mir so nahe bekannt, wie der Bruder seiner Schwester. Wir haben im Institut die Klassiker durchgenommen, das heißt in den letzten Jahren, ich gebe es zu, daß ich mir dabei ein eigenes Urteil bildete, das selten mit dem allgemeinen harmonierte, so gerne ich auch oft mein Urteil einem andern unterwerfen möchte."
Während sie so im höchsten Eifer sprach, hatte sich ihr Gesicht verändert, die Lieblichkeit und Milde war ganz verschwunden. Ein großer Ernst lag auf ihrer klaren Stirn und eine eiserne Strenge um den kleinen Mund. Beide hatten nicht bemerkt, daß dem Abend die Nacht gefolgt war und daß am Himmel jetzt der Mond stand. Die schlanke Mädchengestalt in dem grauen duftigen Gewand mit dem ernsten im Mondlicht bleich erscheinenden Gesicht übte einen eigentümlichen Eindruck auf den Mann neben ihr aus. Ihm war als träume er, dabei fühlte er ein unerklärliches Bangen, daß sie im nächsten Augenblick ihm entschwinde, ihn in einer trostlos peinlichen Oede zurücklassend.
„Leben Sie wohl," sagte sie und reichte ihm die Hand, „verzeihen Sie meine Worte, aber ich weiß selbst nicht, ist es der Zauber. den diese Ruine auf mich ausübt, daß ich meine geheimsten Gedanken so unwillkürlich einem mir gänzlich fremden Menschen preisgab. Mag sein wie es wolle, jedenfalls ist es die Wahrheit; diese zu sagen ist mir immer Bedürfnis, ich glaube nicht, daß ich je in eine Lage kommen könnte, sie zu verschweigen. Die Feigheit der heiligen Elisabeth habe ich nie begreifen können, die ihre Schürze voll Brot für die Armen hatte und ihrem Gemahl sagte, es seien Rosen. Wahrheit ist Brot, ist Nahrung für den Geist, darum hätte ich sicherlich laut geschrieen : Brot habe ich."
„Sie sind erregt, mein Fräulein, lassen Sie mich mit Ihnen gehen, ich führe Sie den Berg, der ohne Weg und Steg ist, hinab bis an Ihr Haus."
Und ihre Hand fest in der seinigen haltend, geleitete er sie behutsam und stets sorgend, daß ihr Fuß eine sichere Stelle hatte, hinunter. Vor dem Gitter ihres Gartens bückte er sich und drückte einen langen Kuß auf ihre Hand. Es war der erste Kuß von Männerlippen, der sie berührte und ein nie empfundener Schauer durchflutete dabei ihren Körper.
* -r- -
Ein köstlicher Rosengeruch verbreitete sich in der thaufrischen Morgenluft. Annette stand mitten in ihrem Garten und ließ mit Wohlgefallen ihr Auge auf den reichen Blumenschmuck fallen. Ein Herr kam auf sie zu, zog seinen Hut und bat um Entschuldigung, daß er es gewagt, den Garten zu betreten, allein das Haus gefalle ihm so ungemein wohl, daß er dem Drange nicht hätte wiederstehen können, es näher zu betrachten und sich tief verneigend fuhr er fort:
„Erlauben Sie mir, daß ich mich vorstelle, Graf Emmerich Kalenberg."
Annette staunte die imposante Erscheinung an, seine freie stolze Stirn und die lebhaften blauen Augen, die kühn und
siegesgewiß blickten, gefielen ihr ungemein gut. Sie besah musternd die offenen und klaren Gesichtszüge und dachte bei sich, daß sie noch nie so viel Adel und männliche Würde gesehen habe. Unwillkürlich verneigte sie sich tiefer, als es sonst ihre Gewohnheit war und erbot sich artig, beinahe freundlich, ihm Haus und Garten zu zeigen. Und so schritten sie neben einander durch die sauber gehaltenen Kieswege, während er bewundernd die schönen Rosen betrachtete und den starken Duft der zahlreich blühenden Nelken einsog.
„Wahrhaftig ein Paradies," rief er mit Enthusiasmus und ließ sein Auge entzückt über das reizende Haus schweifen. „Welch ein feiner Geschmack, meine Gnädige!"
Annette schüttelte stolz den Kopf: „Ich bin keine Gnädige," erwiderte sie, „ich heiße Frau Alsenhorn und dieses Haus baute nicht ich, sondern meine Tochter, ich ließ nur vier Mauern mit einer gleichmäßigen Fensterreihe und einem flachen Dache aufführen, meine Tochter aber setzte jene Gibel und Thürmchen auf. Wenn es Ihnen Vergnügen macht, können Sie auch das Innere besehen."
Die Ausrufe „ach wie traut! ach wie heimlich" des Grafen nahmen kein Ende, als er von Stube zu Stube schritt, zuletzt betraten sie ein großes mit Holz ansgetäfeltes Gemach. Eine tiefe Röte bedeckte seine Stirn, als er im Erker beim geöffneten Fenster Elsbeth im grauen Kleid vor dem Spinnrad sitzen sah. Auch si^L errötete, erhob sich rasch und sagte zu ihrer^ Mutter:
„Das ist der Schwanenritter, von dem ich Dir gestern erzählte."
„Der Schwanenritter?" wiederholte er fragend und belustigt.
„Ja, denn die Ruine heißt die Schwanen- burg und da sie gestern gerade so wie der Ritter im Märchen unter dem Thor standen, wüßte ich wirklich keinen Namen, der besser als dieser für Sie paßt."
„Und ich wiederhole Ihnen," lächelte er, auf das Spinnrad deutend, „daß ich wieder an das Gretchen denken mußte, als ich in dieses reizende Gemach eintrat."
„Ihr Blick ist nicht so richtig wie der meinitze," erwiderte Elsbeth. „Die Rosen- villä gefällt Ihnen also? Unser Häuschen ist nämlich so von der Nachbarschaft getauft worden."
„Ja," rief er. „es ist ein so Harmonisches, wie ich es selten noch gesehen habe. Ueberhaupt entzückt mich der See und die ganze Gegend."
Weilen Sie schon lange hier?" fragte Annette.
„Nein, ich wollte einen Studiengenossen in Tauber besuchen, hörte aber, daß er vor einem halben Jahr sein Haus verkauft und nach Elsaß gezogen sei, woher seine Frau ist, die er während der Kriegsjahre dort kennen lernte."
Das Gespräch kam nun auf Elsaß und Lothringen, auf Preußen und Frankreich, und Annette, die gewöhnlich schweigsam und zurückhaltend war, mischte sich doch lebhaft hinein und empfand, da sie ganz mit den Ansichten des Grafen übercinstimmte, immer mehr Zuneigung zu ihm.
(Fortsetzung folgt.,
Für die Redaktion verantwortlich: Chrn. Me eh; Druck und Verlag von Jak. Meeh in Neuenbürg.