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Dir dann einen Aristokraten, einen Herrn von Habenichts, zu erobern."
Zur bestimmten Stunde waren die Schwestern in geschmackvollster Toilett, um die Besuche zu empfangen, welche von Seraphine mit Interesse gemustert wurden. Die beiden Offiziere Rittmeister Brem und Oberst Pürner waren hübsche Männer mit vornehmem Aeußern und feinen Manieren. Dorau dagegen war klein, unscheinbar, aufgedunsen und hatte einen hochmütigen Ausdruck im Gesicht. Seine mit großen Brillanten geschmückte Hand spielte unablässig mit der schweren goldenen Uhrkette, die auf seiner weißen Weste prunkte. Er lächelte spöttisch, als er bemerkte, welch einen Eindruck Seraphinens Schönheit auf die beiden Offiziere machte. Auf der Hausfrau Wunsch blieb er bei Tisch. Lilli, die dachte im Sinne der Schwester zu handeln, staunte, wie kalt und stolz sich diese gegen Dorau benahm.
„Der Mensch ist mir zuwider," sagte Seraphine denselben Abend.
„Du würdest ihn also nicht nehmen, wenn er Dir seine Hand anböte?"
„Das weiß ich wahrhaftig noch nicht, jedenfalls aber werde ich alles thun um ihn so weit zu bringen, daß er mir einen Antrag macht. Ich kann dann doch wenigstens sagen, daß ich einen Millionär abgewiesen habe."
Die junge Frau lachte laut, „O. Närrin! Du wirst, wenn Dorau Dich heiraten will, ebenso handeln wie ich, Millionäre kommen nicht alle Tage und wir beide, Du und ich sind nicht nach dem Modell einer Elsbeth."
„Das glaube ich wohl, sie hat Millionen," unterbrach sie Seraphine, „laß sie so arm sein wie mich, dann handelt sie ebenso."
„Und wenn sie das ärmste Geschöpf auf der ganzen Welt wäre," erwiderte Lilli, würde sie sich nicht um des Geldes willen verheiraten, ich kenne sie, ihr Kopf ist voll idealer Gedanken,"
„Und dennoch war sie Deine Freundin," spöttelte die Schwester, „und Du bist doch so prosaisch."
„Wenn ich länger bei ihr gewesen wäre, würde ich mich nach ihr gebildet haben, glaube ich," sagte leise Lilli, „jetzt ist alles vorbei, — pah das sind Mondscheingedanken, die nicht für diese Welt passen."
(Fortsetzung folgt.)
(Anonyme Briefe.) Seit fast einem Jahrhundert wurden in Kreuznach friedliebende Eheleute, Brautleute und andere harmlose Menschenkinder durch anonyme Briefe erschreckt. Dem Ehemanne wurden Schreckensgeschichten von seiner jungen Frau, Ehebruchsdramen ä lu Dumas erzählt; stand irgend eine Verlobung in Aussicht, so erhielten sowohl der Bräutigam als auch die Braut anonyme Briefe, welche die unflätigsten Verläumdungen enthielten. Da die anonymen Verläumdungen immer gehässiger wurden, verfolgten die am härtesten dadurch Betroffenen einen aufkeimenden Verdacht und brachten, nachdem anscheinend hinreichende Beweise gesammelt waren, ein älteres Fräulein als die Urheberin der anonymen Schreiben zur Anzeige. Aus den Akten der angestrengten
Zivilklage glaubte die Staatsanwaltschaft genügendes Material entnehmen zu können, um gegen die Briefschreiberin strafrechtlich vorzugehen. Die Vorerhebungen und Voruntersuchungen beanspruchten fast zwei Jahre; endlich ist es, wie die „Germania" berichtet, nun vor der Strafkammer zum Hauptverfahren gekommen. Die Angeklagte hat bis zum letzten Augenblicke jede Schuld geleugnet; die Indizienbeweise und die Gutachten der Schreibsachverständigen waren jedoch so überwältigend, daß der Gerichtshof zum Schuldspruch gelangen mußte. Vier Monate Gefängnis wurden als Sühne für die gesetzwidrigen Handlungen für angemessen gehalten.
(Der berüchtigste Taschendieb Berlins), der Schneider August Doepke, wurde gestern der zweiten Strafkammer des Landgerichts I. vorgeführt. Die Verlesung der Vorstrafen des Angeklagten nahm längere Zeit in Anspruch; Doepke, der jetzt 52 Jahre alt ist, hat außer vielen Gefängnisstrafen nicht weniger als 27 Jahre Zuchthaus hinter sich. Kaum in die Freiheit gesetzt, hat er stets sofort wieder sein gemeingefährliches Gewerbe ausgenommen. Die letzte Strafe hatte er am 12. März verbüßt und jetzt stand er wiederum unter der Anklage zweier vollendeter und 12 versuchter Taschendiebstähle. Die Kriminalbeamten Wendt und Hilbrecht, welche mit der Beobachtung des gefährlichen Menschen beauftragt waren, bekundeten, daß der Angeklagte sein Opfer nur unter den Damen suchte, weil dieselben ersahrungsmäßig ihr Portemonnaie in unvorsichtiger Weise in ihren Kleidertaschcn aufzubewahren pflegen. Im Verhandlungstermine legte sich D. aufs Leugnen. Der Gerichtshof gewann aber mit dem Staatsanwalt die Ueber- zeugung von seiner Schuld und verurteilte ihn nach dem Anträge zu einer Zuchthausstrafe von zehn Jahren.
Daß ein Mann dreimal dieselbe Frau heiratet), kommt wohl auch nicht zu häufig vor. Herr August Uoung in Selma (Californienff kann sich aber rühmen, dies vollbracht zu haben. Bor etwa 20 Jahren ließ er sich in Illinois mit der damals erst vierzehnjährigen Emma Ensign in die Fesseln der Ehe schmieden und siedelte bald darauf mit seiner Gattin nach Fresco in Kalifornien über, >vo er mit gutem Erfolg ein Schuhgeschäft betrieb. Nach Verlauf von etwa drei Jahren trat zwischen den Ehegatten eine Entfremdung ein, und Emma erwirkte von ihrem Gatten, den sie der Trunksucht beschuldigte, eine Scheidung. Fünf Monate lang lebte nun die Geschiedene mit einem andern Mann zusammen, dann kam sie nach Fresco zurück, versöhnte sich mit ihrem ersten und heiratete ihn wieder, aber nur um sich nach einigen Monaten aus demselben Grunde wie das erste Mal, von ihm scheiden zu lassen. Zugleich sorgte sie auch dafür, daß sie einen beträchtlichen Teil des Vermögens ihres vormaligen Ehemanns erhielt; dann zog sie wieder jahrelang mit anderen Männern im Lande herum und kehrte vor etwa einer Woche wieder zu Noung, der inzwischen nach Selma gezogen war, zurück, bat ihn um Verzeihung, und dieser alte Narr war dumm genug, sie zum drittenmal zu heiraten.
Als den originellsten aller Passionsspieler in Oberammergau bezeichnet der Feuilletonist Wyl im Berliner Tageblatt den Gockelhahn, der krähen muß, wenn Petrus seinen Meister verleugnet und entwirft folgende amüsante Schilderung dieses Akteurs. Bei den ersten Aufführungen dieser Saison gab es keinen Hahnenschrei, und es sah kurios aus, als Petrus plötzlich sein Gesicht bedeckte und zu schluchzen anfing, ohne daß der Schrei erklungen war. Das kam aber daher, weil der Schnitzler Thomas Schaller, der im Jahre 1880 Gockelhahn gewesen war, nach Linderhof verzogen ist. Nun war guter Rat teuer. Niemand im Dorfe konnte den Hahnenschrei machen. Plötzlich aber, bei der dritten Aufführung des Spieles, erklang er wieder frisch und klar, der mahnende Ruf, der dem Petrus wie ein Stich in die Seele fährt. Ich erkundigte mich
I nach dem talentvollen Vogel und erfuhr, daß er ' ein junger Schreiner sei, der ganz in meiner Nähe wohne. Ich ließ ihn kommen und erfuhr von ihm, Laß er „Der Lutzerhans" heiße oder Johann Lutz. Dieser große Künstler ist erst 20 Jahre alt, hat also als Passionsgockelhahn noch eine große Zukunft vor sich. Der Souffleur habe ihm erzählt, berichtete er mir, daß sie keinen Hahn hätten, und habe er sich anaebotcn. Seine Stichworte seien: „Ich kenne den Menschen nicht!" und „Gott sei mein Zeuge!" Er spielt nn Passionsorchester als Flötist mit. Wenn nachmittags um Uhr herum die Szene mit dem Petrus kommt, geht er auf die Bühne, kräht zweimal hinter den Kulissen und dann setzt er sich wieder an seinen Platz im Orchester. Er machte mir den Schrei zweimal vor. Es ging famos. Es muß schon eine sehr kluge, sehr skeptische Henne sein, die dieser Schrei nicht täuschen würde.
(Schmeichelhafte Auslegung.) Ein Engländer prahlt einem Negerhäuptling gegenüber mit der Macht und Größe Englands und ruft aus: „Die Sonne geht nicht unter in unserem Reich; sie scheint ewig auf englischem Boden!" „O," entgegnet der ungebildete Schwarze, wahrscheinlich will guter Gott Engländer nicht im Finstern lassen, weil — er ihm nicht traut!"
Gemeinnütziges.
(Schädlichkeit des frischen Heues für Pferde.) Eine französische Kommission wollte in der Benutzung von frischem Heu keine besondere Gefahr erblicken, wie man es sonst annimmt. In vielen Fällen glaubt man die Schwerverdaulichkeit in der geringen Kaubarkeit des frischen Heues suchen zu müssen. Wie gefährlich abgewelktes Grün- sutter, halbtrockenes Heu, werden kann, dürfte indes bekannt sein. Besonders ungesund zeigte sich frisches Heu in folgendem Falle. In der Nacht vom 24. Juli v. I. stellten sich bei den Pferden des Circus Lorch in Luzern Plötzlich ganz eigentümliche Krankheitserscheinungen ein, die sich in totaler Rötung der Augen, heftigem Fieber und höchst unregelmäßigem Herzschlage äußerten. Die tierärztliche Diagnose lautet aus das Vorhandensein eines „Herzgiftes". Böswilligkeit war ausgeschlossen, die Trinkwasser- und Bodenanalyse zeigte nichts Abnormes, das Blut war frei von Bakterien ver Hafer war rein und die Sektionen ergaben absolut keinen Anhaltspunkt für die Anwesenheit eines Giftes. Der Verdacht fiel auf das junge Heu, in welchem durch Gährung giftige Amidbasen entstanden sein konnten, und wurden deshalb Fütterungsversuche mit Anatomiepserden in Zürich gemacht. Das Resultat war ein positives. Es dürfte hiermit die Schädlichkeit der Fütterung mit noch nicht ausgegorenem Heu eine neue Illustration erhalten haben. Von circa dreißig erkrankten Pferden gingen neun, und zwar die edelsten und bestdressierten des Circus, zu Grunde.
(Zum Nachweis von Tuberkelbacillen in der Kuhmilch.) Dr. Schmidt-Mühlheim berichtete in der Generalversammlung des Vereins Rheinpreußischer Tierärzte im August 1889 über diesen Gegenstand aus Grund seiner Beobachtungen und Versuche; das Wesentlichste des Referats ist in der „Tiermedizinischen Rundschau" vom 1. Februar d. I. enthalten. Der Redner hob hervor, daß die Milch nicht nur von Eutertuberkulose kranken Kühen, sondern auch vielfach beim Sitz der Tuberkulose an anderen Stellen ansteckend sei. Als zuverlässige Methode der Feststellung Tuberkulosebacillen enthaltender Milch im ansteckungsfähigen Grade empfiehlt Schmidt die Impfung von Kaninchen mit der betreffenden Milch. Er spricht sich dahin aus, daß absolute Sicherheit für die Milch in Milchkuranstalten und dergl. nur dann gegeben sei, wenn die Milch aller neu eingestellten Kühe sofort und anderen alle 3 Monate wiederholt zu den genannten Jmpsversuchen benutzt würde.
(Kleine Milchztg.)
(Die wirksamsten Hausmittel) gegen chronische Katarrhe der Respirationsorgane sind solche Mineralwasser, welche, wie Emser-oder Selterswasser, schleimlösende Salze enthalten. Man trinkt solche Mineralwasser am besten mit einem Zusatz von heißer Milch.
Für die Redaktion verantwortlich: Chrn. Meeh; Druck und Verlag von Jak. Meeh in Neuenbürg.