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Miszellen.
Lin Schwanengesang
von L. Rode.
(Fortsetzung.)
Indessen verging die Zeit; der Schnee schmolz, und mit dem Schmee schmolz auch die Eiskruste, die um die Herzen der Kinder lagerte. Ich merkte, daß sic, erst so stumpf und teilnahmlos wie möglich, allmählich aufwachten; die Aufmerksamkeit Muchs, Fortschritte wurden sichtbar, ja hin und wieder empfing ich sogar Beweise persönlicher Zuneigung, die meinem Herzen sehr wohlthaten.
Und wie nun erst der Frühling über die Berge kam, da konnte ich meinen Einzug in das Schulhaus halten. Die Gemeinde, obgleich arm, hatte das Gebäude, an welchem freilich nicht viel zu verbessern war, wenigstens etwas würdiger hergerichtet; aus der Stadt traf ein Wagen, mit Möbeln und meinem Klavier beladen, ein; genug, ich fing nunmehr an, mich als wohlbestallter Schulmeister von Sorgeleben zu fühlen, der ich inzwischen durch ausdrückliche Berufung seitens der Behörde auch wirklich geworden war.
„Und jetzt fehlt nur noch Eins", sagte der Ortsrichter, nachdem er meine Einrichtung besichtigt hatte.
„Das wäre?"
„Eine Frau!" war die Antwort.
„Ei was!" meinte der Vater, der gerade aus Besuch bei mir war, — „redet dem jungen Herrn nichts vor von Heiraten, Mann! — Was weiß der davon? — Har noch lange Zeit!"
„Jung gefreit, hat noch keinen gereut!" entgegnete der Richter noch unter der Hausthür.
Und ich? — ich hatte mich seitwärts gewandt, um eine plötzliche Verlegenheit zu verbergen. Das aber hatte seinen guten Grund.
Schon während des Winters, als die Wege einigermaßen passierbar waren, hatte ich jenes Forsthaus ausgesucht, das mir bereits bei meinem ersten Kommen ausgefallen war. Der Förster war mir von allen Seiten, außer von Grollmann, als ein höchst achtbarer, braver, nicht ungebildeter Mann geschildert worden, dessen Umgang mir gewiß angenehm sein würde; auch habe derselbe, hieß es, den Wunsch ausgesprochen, seine jüngsten Kinder, zwei Knaben von sechs und acht Jahren, privatim bei mir unterrichten zu lassen, falls ich dazu bereit sei. So machte ich mich denn an einem klaren Wintertage auf den Weg.
Ich fand mehr, als ich erwartet hatte. Mit der größten Treuherzigkeit kam Förster Ewald mir entgegen, wünschte mir viel Glück zu meinem sauren Amte, und freute sich nicht wenig, als ich mich bereit erklärte, täglich auf eine Stunde hernber- zukommen und seine Knaben in die Lehre zu nehmen. Er erzählte mir, wie durch den vor zwei Jahren erfolgten Tod seiner Frau sein Leben ein ziemlich einsames geworden sei, wie jetzt seine Tochter, obgleich erst siebzehn Jahre alt, dem Hause vorstehe und ihm eine wahre Stütze, den
jüngeren Brüdern eine fürsorgliche Mutter sei.
Während er noch redete, öffnete sich leise die Thür, und die, von der geredet, trat ins Zimmer.
„Mein Röschen", rief der Vater ihr zu, „kommst du endlich? — Sieh, das ist Herr Wilhelm Friedheim, der neue Lehrer in Sorgeleben und unser zukünftiger Hausgenosse, der dem Georg und dem Bruno den Tempel der Weisheit aufschließen und nebenher auch vielleicht so freundlich sein wird, dir beim Musizieren behilflich zu sein "
Ueberrascht von dem lieblichen Anblick, der sich mir darbot, war ich keines Wortes mächtig und habe wohl nie in meinem Leben eine so ungeschickte Verbeugung gemacht, wie in jenem Augenblick. In der That, ein so frisches, reizendes Mädchenbild hatte ich noch nicht gesehen. Hoch und schlank, wie eine Tanne, stand sie da, die roten Wangen strahlten von Gesundheit, reiche goldblonde Hacire umgaben in dicken Flechten die glänzende Stirn, und zwei dunkelblaue Augen sahen mich so ernst und so forschend an, als wollten sic die Gedanken ablescn, die ans dem innersten Grunde meiner Seele schlummerten. Die ganze kräftige, so edel gebaute Gestalt war in ein einfaches Wollenkleid gehüllt. Ohne Ziererei trat sie auf mich zu, reichte mir die Hand und sprach: „Willkommen!" — Dann trug sie einen Imbiß auf, holte sich eine Handarbeit, setzte sich an die Seite ihres Vaters und nahm in schlichter, bescheidener Weise an unserem Gespräche teil.
Von nun an kam ich täglich ins Forsthaus; selbst das ärgste Unwetter war nicht imstande, mich zurückzuhalten. Aus Fräulein Thusneldens Naserümpfen und Spötteleien machte ich mir erst recht nichts. Die beiden aufgeweckten Jungen lernten rasch, so daß cs eine Freude war, ihre Fortschritte zu beobachten, und der Vater nicht wußte, was er mehr bewundern sollte, den Eifer des Lehrers oder die Gelehrigkeit der Schüler.
Die schönsten Stunden waren mir die, in denen ich mit Röschen musizieren durfte, was gewöhnlich zweimal in der Woche geschah. Ich entdeckte in ihr eine ebenso gewandte wie begabte Klavierspielerin, mit welcher ich die herrlichen Werke unserer Meister durchgehen konnte. Ihre Mutter, eines Kapellmeisters Tochter, hatte schon früh Lust und Liebe zur edlen Musika in ihr geweckt.
Am allerliebsten war mir's, wenn ich Röschen bewegen konnte zu singen. Mit ihrer vollen und doch Weichen Altstimme sang sie mir ins Herz hinein, und über dem Zuhören vergaß ich oft das Begleiten.
Ja, was soll ich's länger verhehlen? — Das holde Waldröslein hatte es mir angethan, und noch ehe der Frühling ins Land kam, war in meinem Herzen ein weit schönerer Frühling erwacht; ich liebte — zum erstenmale — und fühlte, daß es auch zum letztenmale sein würde.
Ob ich Gegenliebe fand? — Ich konnte anfangs nicht klar werden darüber. Röschen kam mir stets mit gleicher Freundlichkeit entgegen. Beim Kommen wie beim Gehen durfte ich ihre Hand drücken; nur wenn ich letztere vielleicht zu lange für
einen einfachen Gruß in der meinigen behielt und ihr dabei wie fragend in die blauen Augen schaute, flog eine flüchtige Pupurröte über ihre Wangen. War das Unwille über meine Dreistigkeit? War es eine Ahnung dessen, was in mir vorging?
Einmal, — ich kam Wohl früher als ich erwartet worden war, — fand ich sie in Thränen, die sie rasch zu trocknen sich bemühte.
„Fräulein Röschen, was ist Ihnen?" fragte ich. „Hat sie jemand gekränkt? Haben Sie Kummer?"
Sie schüttelte das Köpfchen.
„Habe ich Ihnen wehe gethan?"
„Herr Friedheim", flüsterte sie, „wie können Sie glauben —"
„Darf ich nicht wissen, was Ihnen fehlt?" fragte ich weiter.
„Es ist nichts", erwiderte sie ruhiger. — „Einfältige Müdchengedanken, — die Erinnerung an die Mutter, — das Gefühl, allein zu sein, — dem Vater die teure Verstorbene doch nicht ersetzen zu können —"
Sie redete nicht aus, sie verließ das Zimmer.
Ein anderes mal saß ich nach der Unterrichtsstunde mit den Kindern plaudernd in der Wohnstube. Der Förster war im Walde. Röschen, die, wenn es ihre häuslichen Arbeiten gestatteten, gern dem Unterrichte beiwohnte, saß am Fenster und nähte.
„Herr Friedheim", fragte plötzlich Georg, „ist es wahr, daß Sie nun bald in das garstige Schulhaus einziehen?"
„Wie kannst Du vom garstigen Schulhaus reden? Es wird ja so schön gemacht wie möglich", erwiderte ich.
„Aber fürchten Sie sich den» nicht, so allein in dem großen Hause zu sein? fragte der kleine Bruno.
„Fürchten? — Und das fragt ein Försterssohn, der gar nicht wissen darf, was Furcht ist?"
Bruno schwieg.
„Ich möchte aber doch nicht immer allein sein", meinte er nhch einer Weile.
„Wenn ich Herr Friedheim wäre", sagte Georg mit besonders pfiffiger Miene, — „ich wüßte wohl, was ich thäte!"
„Was denn, mein kluger Mann?"
„Ei, ich nähme mir eine Frau!"
„Aber denkst du denn, die Frauen wachsen im Walde, wie die Tannen? — Woher soll ich denn eine nehmen?" — fragte ich lachend.
„Gerade wachsen sie im Walde", entgegnete er wie schmollend. „Röschen ist auch im Walde aufgewachsen. Warum nehmen Sie Röschen nicht zur Frau?"
Ich glaube, ich wurde bei dieser Wendung des Gesprächs bleich vor Schrecken; mein Herz schlug hörbar; kaum wagte ich nach Röschens Platz hinzublicken. Und als ich es doch that, konnte ich nur wahrnehmen, wie sie mit beiden Händen das glühend rote Gesicht bedeckte und — hinauslief.
An dem ganzen Tag sah ich sie nicht wieder.
(Fortsetzung folgt.)
Für die Redaktion verantwortlich: Chrn. Meeh; Druck und Verlag von Jak. Meeh in Neuenbürg.