Kronik.
Deutschland.
In einer politischen Uebersicht „Die innere Lage" sagt das F. I.: Vor allem tritt jetzt die soziale Frage hervor, welche den künftigen Reichstag in hervorragender Weise in Anspruch nehmen wird und ganz dazu angethan ist, dem Drängen der Arbeiterbewegung gegenüber den Kreis der staatserhaltenden Richtungen zu vergrößern uud zu festem Zusammenhalten zu bestimmen. Wird es gelingen, durch weitere nach und nach ins Leben tretende Verbesserungen in der Lage der Arbeiter dieselben zu einem nachhaltigen und dauernden Einfügen in die bestehende Staatsordnung zu bestimmen? Oder wird das Streben nach Mehr durch jede neue Konzession weiter genährt? Wird die Versuchung, auf eine völlige Umgestaltung des Staats und der Gesellschaft nach Marx'- schem Rezepte drängen, immer mächtiger werden und dann die schlimmsten Konflikte heraufbeschwören? Sehr zuverlässige Berichte aus den Bergbau- und Industrie- Bezirken lassen dort die Dinge nicht in rosigem Lichte erscheinen, wenn auch vorläufig der Ausstand verhütet zu sein scheint. Das ebenso übertriebene wie kurzsichtige fortwährende Hinaufschrauben der Kohlen- und Eisenpreise durch Produzenten und Händler — diese scheinen die Schuldigsten zu sein — bleibt bei den Arbeitern nicht unbemerkt und schon dämmert der Wunsch nach abermaliger, kräftiger Lohnerhöhung: „Der neue Preisaufschlag sei Gewinn, der den Arbeitern, nicht dem Kapitale gebühre." Das Ausland hilft nach. England wünscht die deutsche Kohle und das deutsche Eisen weniger konkurrenzfähig zu machen. und französische Blätter sehen schon den Aufmarsch der deutschen Armee gehindert, weil die Eisenbahnen an Kohlenmangel leiden. Die Achtstundenbewegung wird international zum Frühjahr vorbereitet. Es sind dies Symptome, welche nicht leicht genommen werden dürfen. Sie verraten einen Ernst der Lage, welcher nicht blos den Staatsmann und den Arbeitgeber, sondern die ganze gebildete Welt in Mitleidenschaft zieht und an die Besonnenheit, die Klugheit und die Kraft der Regierung und der Volksvertretung große Anforderungen stellen wird.
Eine schöne Weihnachtsfreude hat der Kaiser einem alten Veteranen bereitet. Am 13. ds. traf, wie die Biesenthaler P. mitteilt, in Biesenthal die K, Verfügung ein, daß dem dort wohnhaften Schleusen- mcister a. D. Friedrich Niephagen, als dem letzten Inhaber des eisernen Kreuzes 2. Kl. von 1813/15, ein Gnadengeschenk von 300 aus der schatule des Kaisers bewilligt worden sei. Gleichzeitig hat der Kaiser bestimmt, daß dem Veteran für seine fernere Lebensdauer alljährlich am 1. Dezember dasselbe Gnadengeschenk gewährt werde. Am Freitag sind dem alten Helden durch den Bürgermeister die 300 in angemessener Weise überreicht worden, wobei dem Greis Hellen Dankesthränen über die Wangen rollten.
Württemberg.
Neuhausen, 16. Dez. Die Gemeindeholzmacher waren diesen Morgen kaum eine halbe Stunde an die Arbeit gegangen, als einer derselben verunglückte und heimgeführt werden mußte. Mehrere Arbeiter wollten nämlich von einer gefällten Tanne einen Stamm wegsägen, wobei der untere Teil desselben auf die Seite schnellte und einem Holzmacher den Fuß abdrückte. Ein anderer Holzmacher verunglückte letzte Woche dadurch, daß er sich mit der Axt einen Daumen der Länge nach spaltete, ohne jedoch den Knochen zu treffen. Solche Unglücksfälle zeigen, wie notwendig es ist, daß die Krankenversicherung auch auf die Waldarbeiter ausgedehnt wurde, obwohl die meisten der letzteren anfangs damit gar nicht einverstanden waren.
V om Heu b e r g, 16. Dez. In vergangener Woche ließ der Ortsvorsteher in Budsheim durch den Polizeidiener öffentlich bekannt machen, „daß der Ignaz Heinemann vou dort wieder aus dem Arrest entlassen sei und deshalb die Leute ihr Eigentum schützen möchten."
Freudenstadt, 14. Dez. Wie gefährlich es ist, spitze Gegenstände unver- wahrt in der Tasche zu tragen, zeigt folgender Unglückssall. Ein Schüler in Wittendorf glitt, als er die Schule besuchen wollte, auf den Treppen des Schul- hauscs aus und stürzte auf dieselben nieder. Dabei bohrte sich ihm ein Bleistift, den er in der Tasche trug, 4—5 Centimeter tief in die linke Brustseite ein, zum Glück ohne eine edlen Teil zu verletzten. Nach Ausspruch des Arztes war das Herz und somit das Leben des Knaben in höchster Gefahr.
Miszellen.
(Ein wahres Heldenstück) hat dieser Tage eine verwittwete siebenzigjährige Bauernfrau geleistet, die allein einen großen Hof im Kirchspiel Hembergen in Westfalen bewirtschaftet. Die Frau hörte gegen Mitternacht unter dem Schlafstubenfenster ein eigentümliches Pochen und Knarren und sah, als sie, dem Geräusch nachgehend, in den Keller schlich, wie draußen zwei Kerle die durch Drahtgitter verwahrten Kellerfenster auszuheben versuchten. Außer der Greisin war nur ein zehnjähriger Knabe im Hause. Sie schickte diesen durch eine Hinterthüre zu den Nachbarn, holte von der Tenne eine mächtige Holzaxt und begab sich dann auf ihren Posten zurück. Eben wollte einer der Männer einsteigen. Die Alte sprang ihm mit wuchtig geschwungener Axt entgegen, und der Hieb würde dem Menschen den Schädel gespalten haben, wenn er nicht blitzschnell znrückgeflogen wäre. Nun versuchten die Strolche an einem anderen Fenster einzudringen, aber die blanke Axt der Allen trieb sie immer wieder fort. Inzwischen kamen die Nachbarn, überwältigten die Spitzbuben, zwei übelberüchtigte Landstreicher, und schafften sie geknebelt zum Orlsgefängnis.
(Die phonographische Uhr) ist Thomas Edisons neueste Erfindung, eine Uhr, welche,
statt durch Glockenschlag jede abgelaufene Stunde zu verkünden, dieselbe viertelstündlich mit lauter, klarer Stimme ausruft. Edison hat eine unerschöpfliche Reihe von Variationen für die Thätigkeit dieser Uhr vorbereitet. Als Weckeruhr rust sie den Schlafenden mit lauter Stimme beim Namen und gebietet ihm aufzustehen. Als Küchenuhr teilt sie der Köchin die Befehle der Hausfrau mit und erinnert an jede einzelne Arbeit zu der und der Stunde. Bei öffentlichen Versammlungen verkündet die Uhr die Programmnummern und mahnt die Redner etwa: „Dieser Redner hat jetzt eine halbe Stunde gesprochen und macht dem nächstkommenden Platz."
Vom Werngrunde, 14. Dez. Der
Jagdpächter L. in O.g hatte
beim Heimweg kurz vor dem Orte einen Hasen geschossen und denselben den ihm begegnenden Lehrer des Ortes als Geschenk verehrt. Vergnügt brachte der Lehrer denselben seiner Frau, die ihn bewunderte und einstweilen aus die Ofenbank legte. Da trat ein Kollege des Lehrers ein, dessen Hund an dem Hasen zerrte. Plötzlich sprang der totgeglaubte Meister Lampe auf, suhr durch die gerade geöffnete Zimmerthür ins Freie und obgleich alles sich zur Verfolgung aufmachte, gelang es doch nicht mehr, des Flüchtigen habhaft zu werden. Der gehoffte Braten war davongelaufen.
(Französische Bonbons.) Frankreich exportiert jedes Jahr für 2'/» Millionen Francs Bonbons. Die hauptsächlichsten Abnehmer sind England, Spanien, Rußland, die Türkei und die Vereinigten Staaten. Die säuerlichen Bonbons sind besonders in England beliebt, während man in Spanien vor allem die leicht auf der Zunge zergehenden haben will. Vier Fünftel der nach der Türkei und Egypten geschickten Bonbons werden von den Haremsdamen verkonsumiert.
Gemeinnütziges.
sEinen billigen und sehr anmutigen Schmuck für das Fensters kann man sich jetzt, wo Blumenstöcke sehr teuer sind, aus folgende Weise Herstellen : In einem flachen Glas- oder Porzellannapf werden Erbsen oder Linsen gelegt und etwas Wasser darauf gegossen, die Lücken werden mit Rübsamen ausgefüllt. Die kleine Aussaat muß immer etwas angefeuchtet werden, und schon nach acht Tagen keimt und sproßt es in üppiger Vegetation. Die Hülsensrüchte wachsen ungeheuer schnell, und schon nach drei bis vier Wochen ist die ganze Schale mit frischem Grün gefüllt. Noch hübscher sieht es aus, wenn schön geformte Schwämme mit Rübsamen und kleinen Hülsenfrüchten angefüllt und beständig befeuchtet werden: aus allen Poren keimt dann das frische Grün heraus, das so reich wuchert, daß von dem Schamm bald nichts mehr zu sehen ist.
sEin Mittel gegen den Schnupsen,j zwar schon veröffentlicht, aber wohl in jetziger Jahreszeit wertvoll, sei hier nochmals angegeben: Em Theelöffel voll Kampferpulver wird in ein mehr tiefes als weites Gesäß geschüttet und dieses zur Hälfte mit kochendem Wasser gefüllt, Heber dasselbe stülpt man eine dreieckige Papierdüte, deren Spitze man soweit abreißt, daß man die ganze Nase hineinstecken kann. Auf diese Weise atmet man die warmen, kampferhaltigen Wasserdämpfe 10 bis 1ö Minuten lang durch die Nase ein. Das Verfahren wird nach 4 bis 5 Stunden wiederholt und selbst der hartnäckigste Schnupfen leistet ihm nicht Widerstand, meistens verschwindet er schon nrch dreimaligem Einatmen.
Redaktion, Druck und Verlag von Jak. Meeh in Neuenbürg.