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Zur Deichstagswahl.
(Eingesandt.) Ein „Eingesandt" in der letzten Nummer Ihres Blattes giebt sich der Erwartung hin, daß der im Gang befindliche Wahlkampf ohne persönliche Angriffe und sachlich, lediglich nach der politischen Ueberzeugung geführt werde. Auch wir, offenbar auf anderem politischen Boden stehend wie der Verfasser jenes Eingesandt, hegen denselben Wunsch, denn unseres Erachtens handelt es sich bei einer Rcichstagswahl — bei einer Wahl zum Landtag mögen immerhin andere Gesichtspunkte noch mit in's Spiel kommen — weniger um die Persönlichkeit (Unwürdige kommen doch wohl nie in Betracht), als um den politischen Standpunkt der betr. Kandidaten; hat es sich doch oft genug gezeigt, daß volltönende Phrasen, welche bei Wahlversammlungen allerdings manchmal verfangen, bei der ernsten Arbeit des Reichstags lediglich keinen, oft einen recht kläglichen Eindruck hervorzubringen imstande sind. — Es wird daher der „denkende" Wähler sich von den persönlichen Eindrücken, welche er von den Kandidaten erhalten hat, nicht allein leiten lassen, sondern er wird vorzugsweise in Betracht ziehen, welche Stellung die Partei, zu welcher der betreffende Kandidat sich bekennt, seither in den hauptsächlichsten Fragen eingenommen hat. — Da sehen wir nun aber, daß die sogen. Bolkspartei fast gegen alles, was im Deutschen Reiche Großes und Gutes zustande kam, gearbeitet und gestimmt hat; daß sie, die sich als die einzige Hüterin der „Freiheit des Volkes" ausgiebt, wiederholt nicht gescheut hat, in engster Bundesgenoffenschaft mit den wahrer Volksfreiheit feindlichen Elementen die nationalen Kandidaten zu bekämpfen und jenen Elementen znm Siege zu verhelfen und daß sie überhaupt bei den Abstimmungen im Reichstag im trauten Verein mit Welfen, Polen, Ultramontanen, Elsässern re. rc. zu finden war. Wahrhaft fortschrittlich und freiheitlich können wir solches Gebühren nicht finden. — Nicht an den Worten, an den Thaten sollt ihr sie erkennen. — Die Thütigkeit
der Reichsregierung, welche auf dem Gebiete der sozialen Gesetzgebung ganz neue Bahnen beschritten hat. welche nun andere Nationen veranlassen, sich nach diesen Vorbildern zu richten, erscheinen z B. dagegen als ein Fortschreiten im wahren Sinne des Wortes und bewirken die Befreiung weiter Schichten des Volkes aus drückenden Verhältnissen, und uns erscheint cs geboten, der Reichsregierung zur Mitarbeit an ihren Aufgaben solche Männer in den Reichstag zu senden, welche dazu ein freudiges Herz, offenen Sinn und unabhängige Denkungsart mitbringen, keine Mitglieder der Partei der ewigen Nörgler. — Das Eingesandt, welches den Anlaß zu unseren Ausführungen gab, nennt den Einen der beiden Kandidaten einen Oppositionsmann, den Anderen einen Regierungskandidaten. Sollte aber in letzterer Bezeichnung etwa dem betr. Kandidaten der Makel angefügt werden wollen, daß er als Staatsbediensteter nicht ganz unabhängig nach oben dastehe, so muß daran erinnert werden, daß Herr von Gültlingen als deutscher Richter einem Stande angehört, der ebenso unabhängig ist, wie derjenige seines Gegenkandidaten, denn Angehörige des Richterstandes waren noch in allen deutschen Parlamenten auch auf den Bänken der Opposition zu finden. — Eine Regierung aber, an deren Spitze unser Kaiser mit seinem Reichskanzler steht, deren unausgesetzte Fürsorge darin gipfelt, das noch junge deutsche Reich vor den Gefahren, welche ihm noch immer von Innen und von Außen drohen, zu bewahren, uns den so teuren Frieden zu sichern, und in der steten Weiterentwickelung und dem Ausbau der Reichseinricht- ungcn zum Wohle Aller keinen Stillstand eintreten zu lassen, wollen wir gerne unterstützen und ihr Opposition machen, nicht aus Prinzip, sondern nur wenn es not thut, und dazu ist Herr v. Gültlingen vollkommen der Mann.
Nachdem der Kandidat der freisinnigen Partei, Rechtsanwalt Schickler aus Stuttgart, am Donnerstag abend in Calmbach sich den Wählern vorgestellt hatte, entwickelte derselbe Freitag abend in der Wählerversammlung im Stern in Wildbad sein Programm.
Beide Versammlungen waren gut besucht und fanden die Ausführungen des Redners vielfach Zustimmung.