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Indessen werden bei der übergroßen Zahl der aufgestellt gewesenen Kandidaturen sich vermutlich sehr viele Stichwahlen nötig gemacht haben, die am nächsten Sonntag den 29. September entschieden werden müssen und erst alsdann dürfte sich ein umfassender Ueberblick über die Ergebnisse der französischen Wahlen ermöglichen lassen.

Rom, 20. Sept. Am heutigen Jahres­tage des Einmarsches der italienischen Truppen in Rom ist die Stadt festlich geflaggt. Um 11 Uhr ertönte zur Er­innerung an die Stunde, wo vor 19 Jahre der Einzug erfolgte, die große Glocke des Kapitols. Der Bürgermeister, der Vorstand des Veteranenbundes und Menotti-Garibaldi hatten patriotische Auf­rufe an die Bevölkerung erlassen.

Ueber die Hitze in Spanien wird derFr. Ztg." aus dem Escorial vom 14. ds. geschrieben: Seit Wochen lagern dichte Rauchwolken bei Tage, schwebt lichter Feuerschein bei Nacht über den Ebenen und Bergen Ncu-Castiliens. Der unge­wöhnlich trockene heiße Hochsommer hat Feld und Wald, vor allem das niedere Strauchwerk und Farrengebüsch, welches hier Meilen auf Meilen den felsigen wasser­armen Boden bedeckt, derart ausgedörrt, daß ein leichtsinnig oder mutwillig fort­geworfenes Streichholz, ein Funken aus der Lokomotive, ja oft die durch einen glitzernden Stein aufgefangenen und zu­rückgeworfenen Strahlen der Sonne ge­nügen, einen Brand zu entzünden, der in wenigen MinutenQuadratmeter, in wenigen Stunden ganze Geviertmeilen überspringt. Auch die menschlichen Wohnungen, Hütten wie Paläste, sind derart ausgedörrt, daß große und kleine Schadenfeuer in Städten und Dörfern zu den täglichen Vorkomm­nissen gehören.

Sansibar, 21. Sept. Durch ei» gestern publiziertes Dekret des Sultans werden alle Sklaven für frei erklärt, welche nach dem 1. November in den Besitzungen des Sultans eingeführt werden sollten. Gleichzeitig wird den deutschen und den englischen Kriegsschiffen das Recht erteilt, alle unter arabischer Flagge fahrenden Dhaus in den Gewässern von Sansibar nach Sklaven zu durchsuchen und eventuell aufzubringen. (F. I.)

Miszellen.

Jer Mord bei Marville.

Kriminal-Roman von Paul Labarritzre.

Deutsch von Emil Neumann.

(Fortsetzung, s

II.

Im Eifer seines Selbstgesprächs be­schleunigte Jean Trescou seine Schritte unwillkürlich immer mehr, und langte schon nach kurzer Zeit am Thore von Marville an. Zu so früher Morgen­stunde herrschte noch wenig Leben in dem ohnehin sehr stillen Stäbchen, das hinter hohen Wällen verborgen lag, über welche nur der Turm einer altertümlichen Kirche hmwegragte; während sich seitwärts eine plumpe Citadelle erhob.

Ein holpriger Steindamm führte zu einem langen, finsteren Bodengang, dessen feuchte Kälte Jean bei seinem Eintritt durchschauerte. Sodann überschritt er eine

Zugbrücke, und gelangte durch einen zweiten gewölbten Gang, in welchem eine noch größere Kälte herrschte als im ersten, endlich in die Stadt und auf einen runden Platz, der von düsteren alten Häusern rings umgeben war. Die hohen, ge­schnitzten Hausthüren aus Eichenholz, die buntverzierten Fahnden und die mit Schnörkeleien versehenen eisernen Balkons gaben dem ganzen Platz ein eigentüm­liches, aristokratisches Ansehen. Zwischen den Pflastersteinen wuchs üppiges Gras, und man atmete beim Betreten des Platzes, der einem Klosterhofe nicht unähnlich sah. eine schwere, drückende Luft ein.

Am Ende des Platzes erhob sich eine altertümliche Kathedrale, an deren Mauern sich rechts und links zwei schmale Straßen anschlossen, die fast schnurgerade in das Innere der Stadt hinunterführten.

Eine Magd, die einen Korb am Arm über den sonst ganz einsamen Platz huschte, befragte Jean nach dem Wohnhause des Advokaten Hektar Lau- ziore.

Dort, jenes Haus, mit der großen grünen Thür!" erwiderte das Mädchen; und da in demselben Augenblicke sich die bezeichnte Haustür öffnete, aus welcher eine schwarzgekleide alte Dame hervortrat, so fügte das Mädchen in achtungsvollem Tone hinzu:

Da kommt eben Madame Lauziere, die Mutter des Herrn Advokaten!"

Dann setzte sie ihren Weg eilig fort und begrüßte im Vorübergehen die alte Dame sehr höflich.

Jean folgte mit den Augen der Mutter seines Freundes bis zur Kirche, in welche sie sich begab. Trotz ihrer Trauerkleidung hatte die Dame eine sehr hochmütige Miene, die ihm wenig gefiel. War das wirklich die Frau, deren Hochherzigkeit und unerschöpfliche Güte Hektar so oft seinem Freunde gegenüber gepriesen hatte? In diesem Augenblick machte sie auf Jean den Eindruck einer alten Betschwester, die unter dem Mantel der Frömmigkeit ihren selbstsüchtigen Stolz verbirgt. Er war überzeugt, daß ihr Einfluß das Wesen ihres Sohnes gänzlich umgestaltet haben würde im Laufe der letzten drei Jahre, welche Mutter und Sohn in steter Ge­meinschaft verlebten.

Ueberzeugt, daß ihm hier die zweite Enttäuschung bevorstehe, trat Jean in das ihm bezeichnete Haus. Ein Diener, der auf dem Hofe damit beschäftigt war, ein völlig mit Schweiß bedecktes Reitpferd abzuschirren, teilte ihm auf Befragen mit, daß Herr Lauziore soeben von seinem täglichen Morgenspazierritt zurückgekommen sei und in wenigen Minuten zu sprechen sein werde.

MEi ei!" dachte Jean bei sich, indem er dem Diener seine Karte gab,sollte er der unsichtbare Reiter im Walde ge­wesen sein?" . . .

Man führte ihn in ein großes, dunkel tapeziertes Gemach, dessen Polstermöbel durch leinene Bezüge verhüllt waren. Rings an den Wänden hiengen, in eigens dazu hergerichteten Feldern, die Bilder der männlichen Vorfahren der Lauzieres, sämtlich in schwarzen oder roten Roben des Richterstandes, dem von Alters her

alle männlichen Mitglieder dieser Familie angehörten, mit Ausnahme von HMs Großvater, Jaques Andre Lauziere, der als Waffengefährte Murats ein berühmter Reiter-General gewesen war.

Das Bild dieses schmucken Soldaten nahm sich zwischen den Portraits der vielen bürgerlichen Gestalten gar sonder­bar aus, und erregte die Aufmerkjamleit Jeans um so mehr, als er in den sreund- lichen, offenen und doch so energischen Zügen des Großvaters eine große Aehn- lichkeit mit denen des Enkels erkannte. Während er noch das meisterhaft ausge- sührte Gemälde betrachtete, öffnete sich eine Seitenthür und Hektar trat herein. Einen Augenblick sahen die beiden jungen Männer sich forschend an, dann stürzten sie sich mit freudigen Ausrufen in die Arme.

Diese Umarmung war die Neubestätig­ung der Freundschaft, die sie in früher Jugend zusammengeführt und die sich während eines zehnjährigen Zusammen­lebens immer inniger gestaltet hatte, j» daß Beide sich völlig Eins wußten ii ihren Gewohnheiten, Gedanken und Host nnngen, obgleich ihre Charaktere keines­wegs die gleichen waren.

Hektar war ernster als Jean, der stets zur Heiterkeit neigte. Beide widmeten sich dem Rechtsstudium; aber während Hektar sich in seine Bücher vertiefte, unterhielt Jean sich damit, seine Kollegien­hefte durch Frauenköpfe zu illustrieren, für deren Zeichnung er ein auffallendes Talent hatte.

Bald gab er denn auch seine juristische Laufbahn auf und wandte sich der Maler­kunst zu, in welcher er sich nach kurz« Zeit einen sehr vorteilhaften Ruf erwart. Begünstigt durch das Glück und bevor­zugt durch das Wohlwollen der Kunst­kritiker, zählte er schon in dem jugend­lichen Alter von dreißig Jahren zu den berühmtesten und gesuchtesten Malern weiblicher Portraits.

Hektor dagegen hatte seine Rechts­studien vollendet und alle Prüfungen mit Auszeichnung bestanden. Er widmete sich der Advokatur und lenkte gleich anfangs die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich, durch seine Thätigkcit in einigen wichtigen Prozessen, so daß ihm in Paris eine große Zukunft in Aussicht stand. Indessen rief ihn der Tod seines Vaters in die Heimat, wo er dann auch verblieb, um seinen auf­blühenden Ruhm in dem beschränkten Wirkungskreise eines Advokaten am Ge­richtshöfe zu Marville zu begraben. (Fortsetzung folgt.)

(Der Bonapartist.) In Versailles lebt ein Kutscher, der eine stille Schwärmerei für das Kaisertum hegt. Gern bekennt er seinen Fahrgästen seine heimliche Liebe. Aber wie kommen Sie denn dazu?" fragt ihn eines Tages ein Insasse seines Ge­fährts,was gehen Sie denn die Na- poleoniden an?" --O, mein Herr, ich habe sogar ein Andenken an den großen Kaiser!" -So?" -Ja hier!" - und er zeigt ein Zehnsousstück »da» stammt von einem Zwanzigfrancsstück, das Napoleon einst meinem Großvater ge­schenkt hat!"

Redaktion, Druck und Verlag von Jak. Meeh in Neuenbürg.