Calmer Wilüenblaü.
Samstag
Keitage;u Ur. 116 .
29. September 1900.
I«uirr«tc»n.
Nachdruck vrrdoltU.
Iack's Brautwerbung.
Seeroman von Clark Russell.
(Fortsetzung.)
Der Raum, in welchem dasselbe angerichtet war, konnte bequem 70 bis 80 Personen fassen. Er nahm die ganze eine Seite des Unterstockes ein und wo mein Auge hinfiel, traf eS auf auserlesenen Luxus. Da die beiden Mädchen sich über Dinge unterhielten, über welche ich nicht recht milzusprechen vermochte, hing ich meinen Gedanken nach. Wie es kam weiß ich nicht, aber dieselben wurden recht unangenehmer Natur. Ich fand plötzlich, daß die Wünsche von Mr. Hawke betreffs seiner Tochter im Hinblick auf seinen Reichtum gar nicht so unnatürlich waren. Warum sollte er nicht versuchen —, wenn er doch nun einmal den Hang dazu hatte, — seine Tochter mit einem Man» von vornehmer Geburt zu verheiraten, und warum sollte sich nicht ein solcher finden, der, ausgestattet mit äußeren und inneren Vorzügen, das Herz der Tochter gewann? Er hatte ja die Auswahl unter vielen Kavalieren; vom Schlage eines Morecombe brauchten doch nicht alle zu sein. Ich fühlte mich auf einmal sehr unglücklich und haderte mit meinem Schicksal, welches mich nach Cliston geführt hatte. In dieser Stimmung nahm ich nur geringen Anteil an der Unterhaltung, die sich der Anwesenheit d«S Dieners wegen, nur auf gleichgiltige Dinge erstreckte. Als dieser aber nach dem Herumreichen deS Dessert das Zimmer verließ, nahm daS Gespräch eine andere Richtung. Amalie sagte nämlich plötzlich:
.Nun kommt dein Vater bald mit Mr. Morecombe an. Freust du dich auf den?"
Da sah Miß Hawke meine Cousine mit einem ganz sonderbaren Blick an: „Du weißt doch, daß ich mich keinen Strohhalm breit um ihn kümmere."
»Mr. Morecombe ist wohl ein Verwandter von Ihnen?" fragte ich mit der unschuldigsten Miene.
»Nein, durchaus nicht; er ist nur der Sohn eines Freundes meines Vater» und kommt zum Besuch. — Bitte reichen Sie mir noch einmal die Früchte."
Ein eigenes Lächeln huschte hierbei über ihr Gesicht. Was bedeutete daS? Ahnte sie, was in mir vorging?
»Was ist denn Mr. Morecombe, — wohl Offizier?" ließ ich mich nicht stören weiter zu fragen.
»Ach Gott," entgegnet« sie mit einem geringschätzigen Verziehen der Lippen, »er ist gar nichts, und wohl auch etwa» beschränkt."
»Und dabei noch eingebildet," gab Amalie ihr Teil dazu. »Ganz widerwärtig ist er mir aber, wenn er sein GlaS ins Auge klemmt, und so auf einen herabblickt, als wollte er sagen: ,so, bist du auch da, wie kommst du hierher?'
Sie näselte daS mit einem so gelungenen Ausdruck, daß wir in Helles Gelächter ausbrachen.
Dieser Mr. Morecombe war mir also nicht gefährlich. Meine Stimmung hob sich wieder. Mir fiel da» liebe Tier, die Flora, ein. Ich fragte nach ihr.
»Ach, di« macht mir viel Sorge," klagte Miß Florence, „sie ist krank. Die Haushälterin pflegt sie. Aber Sie haben dafür natürlich kein Mitgefühl. Ich habe e» recht gut gemerkt, daß Sie sie nicht leiden können, und deshalb hätte ich sie auch nicht mit hierher gebracht, wenn sie gesund gewesen wäre. Der Kutscher meint, sie könne nicht mehr lange leben, ihr Tod aber würde mich sehr betrüben, denn meine Mutter liebte sie so sehr."
Ich bedauerte natürlich, hoffte rc., kurz» sagte wa» man in solchen Fällen ungefähr immer sagt. Viel gescheites ist das ja nicht.
Der Diener erschien wieder, wahrscheinlich um zu sehen, ob wir noch immer nicht fertig wären. Meiner Cousine war dies wohl eine Mahnung zum Aufbruch, denn sie sagte, eL sei für uns die höchste Zeit an den Heimweg zu denken.
Miß Hawke bat zwar, nicht so zu eilen, und ich für meine Person hätte ihr nur zu gern gewillfahrt, aber ohne Amalie konnte ich doch nicht bleiben, und die ließ sich nicht halten. Sie holte sich ihren Hut, dann nahmen wir Abschied und schritten aus dem Hause in dem Glanze von drei Dienern, von denen einer uns die Thür öffnete, der andere sih verbeugte, und der dritte aus der Entfernung zusah.
»Das war wirklich ein genußreicher Morgen," begann ich, als wir einige Schritte gemacht hatten.
»ES freut mich, wenn du dich amüsiert hast. Wir möchten so gern, daß e» dir b-i uns gefällt."
»Das hat mir eure Aufnahme vom ersten Augenblick an gezeigt, und ich kan» dir nicht sagen, wie wohl ich mich bei euch fühl«. Nie lernte ich bis jetzt ein ähnliches Familienleben kennen. Erst j tzt sehe ich ein, wie recht dein Vater hatte, als er mir das Glück der Ehe pries und mir anriet, zu heiraten."
»Nun, würde dir daS so entsetzlich schwer fallen? Mir scheint, du bist auf dem besten Weg« dazu. Du brennst ja schon lichterloh."
»Kann man nicht jemand gerne haben, ohne gleich ans Heiraten zu denken?"
»Freilich kann man das, aber nicht, wenn man so sterblich verliebt ist wie du. Du kannst mich ruhig zu deiner Vertrauten machen. Vielleicht könnte ich dir helfen."
„Ach mir ist nicht zu helfen. — Ich wünschte, ich hätte Miß Hawke nie gesehen. Ich bin zu gering für sie. Was kann ich ihr bieten? Eine reine Verblendung von mir würde es sein, wollte ich ernstlich an eine Verbindung mit ihr denken. Nein, die Sache ist hoffnungslos für mich und doch, die Sehnsucht nach ihr wird mich verzehren. Es ist zum verzweifeln."
„WaS bist du aber für ein thörichter Mensch, Jack; hast du denn schon Grund, dir die Haare auszureißen? Ich glaube, sie ist nicht weit davon dich gern zu haben."
»Woraus schließt du dar?"
»Nun, wir sprachen auf ihrem Zimmer von dir und da meinte sie, ihr gefiele dein offenes Wesen, und neben dir zu sitze» wäre so gut wie «ine Reise machen. Sie fand auch, daß der Unterschied zwischen dir und Morecombe so groß wäre, wie der der schwülen Luft bei einer großen Abendgesellschaft und der einer frischen Brise auf der See. Nein, — da irre ich mich, — daS war ich, di« das sagte, aber der Vergleich erschien ihr so paffend, daß du ruhig denken kannst, sie hätte eS selbst gesagt."
»Was sagte sie denn noch?"
»Wart' mal —, was war'» doch gleich —, ja, sie sprach dann von ihrem Hunde. — Uebrigen», du rauchst so gern. Willst du dir nicht eine Zigarre anzünden ?"
»Mit großem Vergnügen. Der Gedanke war wirklich nett von dir. Bitte,
— einen Augenblick, — so —, nun können wir fortfahren, — mit etwas Dampf spricht es sich noch einmal so gut. Also, was ich sagen wollte: Ich begreife nicht, daß Mr. Hawke nicht in London lebt, wo er eS doch leichter haben würde als hier, seine Tochter oder vielmehr Töchter, er hat ja wohl zwei, in die Kreise zu bringen, wo er zur Genüg« das blaue Blut findet, welches er für sie sucht."
„Seine zweite Tochter, Emilie, wird wohl nie heiraten. Die Aermste ist total verwachsen. Warum Mr. Hawke nicht in London lebt, weiß ich nicht. Er mag wohl doch fürchten, in den aristokratischen Kreisen dort nicht Aufnahme zu finden. Zu Papa hat er gesagt, die Luft in Cliston thäte ihm wohl. Außerdem wenn ihm Mr. Morecombe als Schwiegersohn genügt und er sich diesen gesichert hat, da braucht er doch nicht London, um sich noch mehr Schwiegersöhne zu suchen, wir sind hier in Cliston doch keine Mormonen."
»Wenn er sich diesen gesichert hat, — was willst du damit sagen? Ist die Heirat schon fest beschlossen?"
»Von Mr. Hawke uno Mr. Morecombe ganz ohne Zweifel, aber Florence heiratet keinen Mann, den sie selbst lächerlich macht."
»DaS ist kein« Bürgschaft.' Großer Gott, wäre ich doch nie geboren! Vom Vater bedrängt, und von dem Sprößling eines alten AdelSgeschlechteS bestürmt, wird sie nicht standhalten. Ihre Sanftmut, ihre Herzensgüte wird ihr Verhängnis werden. Unter den Trümmern ihres eigenen Herzens wird sie begraben werden."
Ich hatte die» unwillkürlich mit etwas Pathos gesprochen und muß gestehen, ich empfand, trotz meines Kummers einen gewissen Stolz über meine Worte, besonders über die letzte». Meine Cousine schien aber dafür gar kein Gefühl zu haben, denn sie rief lachend: »Nun so laß dich unter den Trümmern ihre» Herzens nur gleich mit begraben. Nein, du bist noch nicht reif zum Heiraten. Dein Herz befindet sich in einem bedenklichen Zustand. Warte noch ein Weilchen."
»In welchem Zustand sich mein Herz deiner Ansicht nun auch befinden mag, ich habe eS dir eröffnet, du wirst die heiligen Geheimnisse, die du darin geschaut hast, achten."
»Ich werde sie achten," antworte sie, meine feierliche Sprache scherzhaft nachahmend.
DaS ärgerte mich, und in rauhem Tone fuhr ich deshalb fort: »Mit dir scheint man kein ernsthaftes Wort reden zu können, so versprich mir wenigstens das eine, daß du von unserm ganzen Gespräch keine Silbe weder deinem Papa noch deiner Mama, deiner Schwester, oder sonst jemanden verraten wirst."
„Keine Silbe. Fürchte nichts. Es giebt ja überhaupt gar nicht» zu verraten. Und nun sei mir nicht etwa böse. Du warst wirklich zu komisch."
Hiermit schloß unser vertrautes Gespräch, denn wir betraten jetzt den Garten meines Onkels.
5. Kapitel.
Mr. Also« so Kawke.
Es ist eine Thorheit, ein Mädchen um Verschwiegenheit zu bitte». DaS Weib verdient kein Vertrauen, am allerwenigsten aber, wenn es sich um LiebeL- geheimniff« anderer handelt.
Das erfuhr ich an Amalie. Sie hatte nichts Eiligeres zu thun, als ihrer Schwester brühwarm zu erzählen, ich hätte ihr gestanden, in Florence sterblich verliebt zu sein. Die Schwester teilte die Neuigkeit der Mutter mit und diese vertraute sie ihrem Mann an, — jeder dem andern natürlich unter dem Siegel der tiefsten Verschwiegenheit. Mein Onkel aber fühlt« sich dadurch nicht gebunden, denn als wir beide, nachdem die Damen zu Bett gegangen waren, uns noch gemütlich mit einer Zigarre zusammensetzten, begann er in der ihm eigenen zarten Weise:
»Also, mein Jung«, du bist, wie sie sagen, bis über die Ohren in dar hübsche Mädel, die Florence, verliebt."
»Wer sind die ,sie'?"
»Nun, natürlich die Riemen. Du bist doch ein komischer Kerl, mit uns Versteck spielen zu wollen. DaS hat wirklich keinen rechten Sin». Dem alte» Hawke gegenüber ist das freilich ein ander Ding. Da sage ich selbst: sei auf deiner Hut. Fängt dem einmal an etwas zu dämmern, da kannst du was erleben.
— Sog' aber, Menschenkind, wie ist es möglich, daß du dich gleich derart in ein Mädchen verliebst, welches du erst zweimal gesehen hast?"
»DaS kann ich dir nicht erklären; ich weiß es selbst nicht."
»Merkwürdig, ich brauchte, ehe ich zum Entschluß kam deine« Tante einen Antrag zu machen, volle acht Monate, freilich, wir leben jetzt im Zeitalter de» Dampfes."
„Ganz recht, und ich denke, du dampfest etwas staik voraus," entgegnete ich, sein Wort benutzend. „Gewiß heg« ich große Bewunderung für Miß Hawke, wie du ja selbst," — er nickte — »aber, wenn du sagst: ich wäre bi» über die Ohren verliebt, so leihst du meinem Gefühl einen Ausdruck, von dem ich nicht weiß, ob er jetzt schon am Platze ist."
(Fortsetzung folgt.)