Ealmer WoißeiMtt.
Samstag Krttage M Mr. 95. 11. August 1900.
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Di- tz-i verteil.
Seeroman von Clark Rüssel.
(Fortsetzung.)
Miß Mansel trug noch immer ihren Schlafrock und dazu die weiße, runde Mütze aus Segeltuch, denn die Bemühungen des schneidernden Matrosen, ihr ein Kostüm anzufertigen, hatten in einem kläglichen Mißerfolg geendet. Boldock war in lautes Gelächter ausgebrochen, als die Dame, eingezwängt in einen leinen Schlauch mit Aermeln daran, die jede Bewegung unmöglich machten, vor ihm erschienen war. „Der Kerl muß nach Paris!" hatte er thränenden Auges gerufen. „Die Franzosen lieben ja wohl die Originalität des Zuschnittes. Der Damen- kleidermacher der Mellesley' wird dort sein Glück machen I" So war die arme Miß gezwungen gewesen, wieder ihre Zuflucht zu dem Schlafrock zu nehmen; es gelang ihr jedoch, aus dem verunglückten Kostüm wenigstens einige Untergacdarobe zu fertigen.
Der Kommandant beobachtete ihr Antlitz, um zu sehen, welchen Eindruck der Anblick der Bark auf sie Hervorbringen werde. Er konnte nicht umhin, dabei den Glauz ihrer Augen zu bewundern. Die Erregung hatte ihr« Wange» gerötet.
„Ist das die .Queen' ?" rief sie, das weiße Segel erspähend.
„Das ist die .Queen', Miß Mansel/ sagte Mr. Matthews.
Eine kleine Weile stand sie sprachlos, dann schaute sie den Kommandanten an.
„Was gedenken Sie nun zu thun?" fragte sie.
„Vorläufig können wir nur warten, bis der Wind einsetzt und diese schauderhafte See sich legt/ antwortet« Boldock.
„Wird es dann zu einem Kampfe kommen?"
„DaS wäre mir sehr erwünscht; allein, nach dem Aussehen der Bark zu urteilen, scheint mir ihr« Bemannung nicht sehr kampflustig gesonnen zu sein." Sie stellte noch eine Reihe von Fragen, dann geleitete der Kommandant sie wieder die Treppe hinab und achtet« sorglich darauf, daß sie ohne Fährlichkeit ihre Kammer erreichte.
J'tzt folgten einige Stunden fast unerträglicher Spannung und Erwartung. Am nachmittag begann der hohe Seegang merklich abzunehmen, und gegen vier Uhr machte sich auch eine östliche Brise auf. Sogleich ließ Boldock alle Segel setzen, das Geschütz wurde mit Kartätschen geladen, und die Brigg steuerte geraden Weges auf dir Bark los. .
Diese trieb noch auf derselben Stelle, wo sie den ganzm Tag gelegen hatte. Der Wind wehte die von der Gaffel hängenden Flagge aus, und Hardy erkannte bald durch das Teleskop, daß sie verkehrt, also als Notsignal, gehißt war. Es war nicht schwer, hieraus zu folgern, daß bewaffneter Widerstand nicht erwartet zu werden brauchte.
Die alte Brigg strich so stetig durch das ruhig gewordene Wasser, daß es nicht länger gefährlich war, sich an Deck frei zu bewegen; Miß Mansel war daher wieder erschienen uud hatte auf einem vorsorglich am Gangspill festgebundenen Stuhl Platz genommen. Neben ihr stand der Kommandant, das lange Teleskop unter dem Arm.
Ueber dem Heck der Bark wurden jetzt zwei Gestalten wahrnehmbar; Boldock musterte dieselben durch sein Glas.
Nach einer kleinen Weile drehte sich die steuerlos rollende Bark so, daß man den Namen an ihrem Stern zu lesen vermochte; .Queen — London' stand da in großen weißen Buchstaben.
„DaS ist Harry I" rief der Matrose Tom, der vorn auf der Back der Brigg stand.
„Und William!" fügte ein zweiter von den Leuten der .Queen' hinzu.
„Der .Wellesley' passierte langsam das Heck der Bark und ruderte im Lee derselben auf; während Mr. Hardy dies Manöver ausführen ließ, erhob der Kommandant seine dröhnende Stimme.
„Bark ahoy!" schallt« es wie ein Posaunenstoß über das Wasser.
„Hillo, Hills I" rief Harry antwortend zurück, indem er auf die Reeling sprang und winkend seine Kappe schwenkte. Da aber erblickte er Miß Mansel; der Ruf blieb ihm in der Kehl« stecken, er stand offenen Mundes, die Hände auf di« Kniee gestützt, und stierte starr und regungslos nach der Brigg hinüber.
„Sind noch welch« von den Banditen, die das Schiff gestohlen haben, an Bord bei euch?" fragte der Kommandant.
„Nein, Sir, Gott sei Dank!"
„Ihr beide seid also ganz allein?"
„Ganz allein," antwortet« Harry.
„Wie lang« treibt ihr schon so auf der See herum?"
„ES sind jetzt vier Tage, seit wir bei der Insel Halloran vom Anker gerissen wurden," berichtete der Matrose William.
Der Kommandant wendete sich an Mr. Matthews.
„Bringen Sie Ihr Boot zu Wasser," befahl er, „nehmen Sie Ihre fünf Leute mit und ergreifen Sie wieder Besitz von der Bark. Lasten Sie Segel setzen, berichten Sie mir, wie Sie dar Fahrzeug vorgefunden und halten Sie sich dann in Rufweite von der Brigg."
„Der Obersteuermann griff salutierend an seine Mütze.
„Zu Befehl, Euer Ehren," sagte er ernst und prompt und machte sich dann unverzüglich an die Ausführung der Ordre. Das Boot wurde ausgesetzt, und die fünf Matrosen sprangen hinein. Entblößten Hauptes drückt« Matthews des Kommandanten ihm zum Abschied dargebotene Rechte, wobei er «inen fragenden Blick auf Miß Mansel warf.
„Darf ich Mr. Matthews an Bord der .Queen' begleiten?" wendete diese sich an den Schiffer.
„Sobald die See ruhig geworden ist, werde ich Sie, mit Ihrer gütigen Erlaubnis, selber zur Bark begleiten," war die Antwort.
Sie verbeugte sich mit leichtem Erröten.
Matthews erreichte in wenigen Minuten sein altes Schiff, wo er vor allen Dingen das Boot binnenbords schaffen ließ, da eö das einzige war, das ihm zur Verfügung stand.
„Haben die Schuft« dar Gold geraubt?" fragt« er den Matrosen William, der mit Harry zu seinem Empfange herbeigekommen war.
„Bis auf die letzte Unze."
„Wohin sind sie damit?"
„An Land, Sir."
Nach einer kleinen Pause, während welcher er seine innere Erregung nirder- zwang, fuhr der Oberstsuermann fort: „Schon recht, Leute. Helft nun den andern das Schiff aufklaren; hernach sollt ihr mir alles ansführlich erzählen."
Damit begab er sich in den Salon. Hier glaubte er alles in wilder Verwüstung zu finden und war daher erstaunt, als er außer einigen amherliegenden Champagnerflaschen, etwas Stroh auf dem Teppich und einer leeren Weinkist« keinerlei Unordnung bemerkte. Sodann suchte er seine Kammer auf. Der erste Rundblick sagt« ihm, daß hier alles noch so war, wie er es verlassen hatte. Mit bebender Hand öffnete er den Wandschrank und nahm einen Lederbeutel mit Geld heraus. Er zählt« den Inhalt — zehn Banknoten und einige Goldstücke. „Sie haben mir keinen Heller genommen," murmelte er bewegt und freudig aufatmend. Auch seinen Sextanten und seine sonstige Habe fand er unberührt vor. „Im Grunde waren die Zehn doch Gentlemen," sagte er zu sich selber, während er kopfschüttelnd in Kapitän BensonS Kajüte trat. Auch hier sah alles aus wie vordem. In den Kammern der Storrs und der andern Paffagiere hingegen fand er deutliche Spuren der Räuber. Koffer und Reisetaschen waren geöffnet, und ihr Inhalt lag am Fußboden umher. ES hatte den Anschein, als hätten di« Zehn hier nach Kleidungsstücken gesucht, vielleicht auch nach Geld, und wieder regte sich in seinem Herzen das Dankgefühl dafür, daß sie ihm seine Ersparnisse gelassen hatten.
An Deck zurückgekommen, unterrichtete er sich von dem Zustand des Schiffes, dann stieg er zum Achterdeck empor und rief die Brigg an.
„Alles in Ordnung hier an Bord, Sir," meldete er dem Kommandanten.
„Haben die Kerle das Gold mitgenommen?" war BoldockS erste Frage.
Matthews berichtete, was er von den beiden Matrosen vernommen hatte.
„Wir dü.fen keine Zeit verlieren," rief Boldock zurück. „Ich werde Ihnen vier von meinen Leuten an Bord schicken; kaffen Sie dann Segel setzen, aber nicht zuviel, damit Sie mit unS gleiche Fahrt halten können."
„Sehr wohl, Sir!" antwortete Matthews.
Jetzt sah er, wie Miß Mansel einige Worte zu dem Kommandanten redete.
„Haben Sie in die Kammern hineingesehen?" fragte der letztere darauf.
„Jawohl, Sir."
„Wie fanden Sie die von Miß Mansel?"
„Meinem Urteil nach gänzlich unberührt."
Diese Kunde schien den braven Kommandanten ganz glücklich zu machen, die junge Dame aber winkte ihren Dank herüber. Sie befand sich in ähnlicher Lage, wie der Obersteuermann; di« Kammer barg ihren gesamten irdischen Besitz. Ihre Augen ruhten auf der Bark mit jenem gedankenvollen Ausdruck, den Mr. Masters so oft bewundert hatte. Und wieder stieg die Erinnerung an die schrecklichen Augenblicke, di« sie zu durchleben verurteilt gewesen, in ihr auf. Sie begann zu zittern; unwillkürlich flüchteten sich ihre Blicke auf da» große, rote, gute Antlitz ihre» Retters und Freundes, und nun wurde sie wieder ruhig.
(Fortsetzung folgt.)