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irgend einem Feste teil zu nehmen, sie scheute vor jeder Berührung mit der Außenwelt zurück und suchte die Einsamkeit, um die Wunde ihres Herzens vor allen beobachtenden Blicken zu verbergen. Sie hätte es nicht vermocht, bei rauschenden Festlichkeiten fröhlich zu sein mit den Fröhlichen, auch war ihr der Gedanke, bei einer solchen Gelegenheit vielleicht Konrad Overstolz zu begegnen, Höcht peinlich: diese Furcht war jedoch, wie sie bald erfuhr, durchaus unbegründet, denn gleich ihr selbst hielt er sich fern von allen geselligen Vergnügungen. Hildegard empfand bei dieser Wahrnehmung eine gewisse Genugthuung, zuerst, weil sie darin, daß er jedes Zusammentreffen mit Maria vermied, einen Beweis seines ernsten Willens, den Frieden und die Ehre ihres Vaters heilig zu halten, zu finden meinte, dann aber auch, weil sie an der sichtbaren Verstimmung, mit der ihre Stiefmutter von jedem Feste heimkehrte, ermaß, wie empfindlich sich jene durch Kon- rads auffallendes Fernhalten gekränkt fühlte. So sehr sich das junge Mädchen auch bemühte, die Liebe zu dem einstigen Verlobten zu überwinden und ihn zu vergessen, es gelang ihr doch nicht, sein Bild aus ihrem Herzen zu reißen, und die Vorstellung, daß er, wenn ihres Vaters Augen sich schließen würden, Marias Gatte werden könnte, erfüllte sie immer von neuem wieder mit heißem Schmerz und eifersüchtigem Weh. Während Hildegard so im stillen litt, und kein Hoffnungsschimmer ihr den trüben Blick in die einsame, liebeleere Zukunft erhellte, gestaltete sich die Lage der Geschlechter in Köln von Tag zu Tag unerträglicher, denn der Uebermut der mächtigen Webergilde, welche das Regiment der Stadt ganz an sich gerissen hatte, kannte keine Grenzen mehr.
Immer sorgenvoller kam Matthias Weise aus den Ratssitzungen nach Hause, und die finstern Wolken ans seiner Stirn, sowie die häufigen Zusammenkünfte, die er mit Daniel Jude, Peter Overstolz, Kaspar Freund und andern Häuptern der angesehensten Geschlechterfamilien hatte, ließen Hildegard den ganzen Ernst der Lage ahnen. Und ernst war dieselbe allerdings in den letzten Tagen im höchsten Maße geworden, denn es handelte sich einfach darum, ob noch Recht und Gesetz in der Stadt gelten oder alle Bande der Zucht und Ordnung als gelöst betrachtet werden sollten. Es hatten nämlich zwei zur Webergilde gehörige Raufbolde auf der Landstraße einen reichen Krämer überfallen und ausgeplündert und dann noch, zum Hohn der öffentlichen Gerechtigkeit, ihren Raub am Hellen Tage zum Thor hereingcbracht und sich laut ihrer That gerühmt. Die Empörung ob solcher Frechheit war allgemein, und als nun die Schöffen des engern Rates die Verbrecher gefänglich einziehen ließen, und trotz der drohenden Haltung der Weber, die ihre Zunftgenossen nicht von Herren aus den Geschlechtern richten lassen wollten, zum Tode verurteilten, billigten die andern Zünfte diesen Spruch. Die Aufregung in der Stadt war sehr groß, vor den Häusern standen allenthalben Gruppen
von Menschen, in den Werkstätten der Schmiede herrschte reges Leben, da wurden Waffen geschärft und geputzt, Pferde frisch beschlagen, Harnische ausgebeffcrt, es war, als ob jeder Bürger sich für einen nahen Kampf vorbereite. Das Todesurteil an den beiden Straßenräubern sollte laut Bekanntmachung des engern Rates früh am nächsten Morgen vollstreckt werden, und plötzlich verbreitete sich das Gerücht, die Weber hätten beschlossen, dies mit Gewalt zu hindern, worauf sich die Häupter der Geschlechter zu einer Beratung versammelten, die bis spät in die Nacht dauerte, und in welcher man übereinkam, zu den Waffen zu greifen und die Friedensstörer mit blutigen Köpfen heimzuschicken, im Fall sie es wirklich wagen sollten, sich der Hinrichtung der Missethäter zu widersetzen.
(Fortsetzung folgte
Sonnenfinsternisgeschichten.
Nachdem alles erwartungsvoll der seltenen Naturerscheinung entgegengesehen hatte, welche am 19. August früh morgens eintreffen sollte, dürfte es wohl am Platze sein, ein paar lustige Geschichten von der Sonnenfinsternis zu erzählen. Es hat ja alles Außergewöhnliche auf der Erde seinen Humor, so auch das kuriose Zusammentreffen, daß der Mond gerade zwischen Erde und Sonne steht. Daß der schwarze Schatten auf der Sonne die Unmündigen jeder Zeit in Angst und Schrecken versetzen muß, ist begreiflich. So manches alte Mütterchen sieht hente noch ein Himmelszeichen darin und unsere biederen Urahnen zu der Zeit, als sie noch in grenzenlosen Eichenwäldern Pferdefleisch aßen und Meth tranken, glaubten gar, es komme irgend ein Untier mit aufgesperrtem Rachen, um unser liebes Tagesgestirn mit Haut und Haar zu verschlingen. Die vorsorgliche Mama ferner ist ja wohl bekannt, welche ihrem Karlchen die Erlaubnis zur Besichtigung des Naturereignisses unter der Bedingung erteilte, daß er — nicht zu nahe hingehe. Die Wilden in Zentral-Afrika haben auch große Angst, es ginge der Sonne bei sochen Gelegenheiten an den Kragen, und suchen dann durch einen Höllenspektakel das Ungethüm zu bannen — und richtig, nach einer halben Stunde zieht's ab. Andere unzivilisierte Volksstämme schießen mit Pfeilen oder auch Flinten hinauf zu demselben Zweck.
Es ist übrigens nicht gar so lange her, daß man im zivilisierten Europa zu einer Zeit, wo man das Eintreffen dieser Naturerscheinung schon recht wohl im Voraus berechnen konnte, dennoch einen heillosen Respekt vor derselben hatte. So wird von einem wahren Jrokesenlärm berichtet, welcher 1664 sich in Nürnberg gelegentlich einer Sonnenfinsternis erhob. Noch im Jahre 1699 erließ Landgraf Friedrich II. von Homburg anläßlich einer im September jenes Jahres stattgcfundenen Sonnenfinsternis folgende Verordnung: „Demnach Se. Hochfürstl. Durchlaucht berichtet worden, daß am negstkünftigen Mitwochen wird sein der 13./23. Septemb, Vmb 10 Uhr eine gahr gefährliche finsternus sein soll, alß haben Se. Hochfürstl. Dl. als ein rechter Landesvater auch für ihre Unter-
thanen hierin sorgen vnd ihnen andeuten laßen wollen, daß Sie ihr Vieh den tag zu Vor, vnd etliche tage hernach zu Hause halten, vnd deßfalls das nöthig futter an- schaffen, vnd den Ställen thür vnd finster wohl schließen, die brunnen wohl bedecken, die keller vnd kornböden Wohl versorgen sollen, damit vmb diese Zeit die böse Luft nicht einlogiere und eine böse inkoetiou anhaffte, weil solch große finsternus vnd aspaetuva stichhusten, schweren flössen, schlag, jähenfällen, graßirende giftig Fieber, ja pestilentzische Seuchen vnd ganz unbekannte Krankheiten vnd dergleichen droht, wonach sich dan ein jeder wird zu richten wissen. Sigl. Homburg, den 7. September 1699. mutatis inutuuäis ahn Hofprediger Uiciitar u H Ober Pfarrer Winter."
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Dann sei endlich noch ein schnurriges Geschichtchen erzählt, das zwar nicht verbürgt und wohl nicht auch ganz neu ist, aber immerhin lustig bleibt und hier seinen Platz verdient.
Diktiert da der Adjutant eines Ulanen- regimenls den Herrn Wachtmeistern eines schönen Tages folgenden Regimentsbefehl:
„Die morgen früh eintretende Sonnenfinsternis wolle den Herren Eskadrons- Chefs Veranlassung bieten, ihre unterhabende Mannschaften im Kasernenhofe über diese seltene Naturerscheinung zu belehren. Da das Phänomen in hiesiger Gegend in der Zeit von 5^ Minuten bis 5" Minuten sichtbar sein wird, so wird der Trompeter der Kasernenwache zur geeigneten Zeit das vorgeschriebene Signal zum Füttern geben. Sollte bei ungünstiger Witterung das Phänomen nicht sichtbar sein, so beginnt der Frühstall zur gewöhnlichen Stunde."
Beim Mittag-Appell aber verliest der Wachtmeister Fesselscheerer nach genommener Rücksprache mit seinem Rittmeister der 5. Eskadron folgenden
Eskadrons-Befehl:
„Auf Befehl des königl. Regiments- Kcnnmando's findet morgen früh unmittelbar vor dem Frühstall totale Sonnenfinsternis statt. Die Mannschaft wird hiezu um 4^/i Uhr im Drillichanzug Front gegen die Stallbaracke III. ausgestellt und erwartet dort den Herrn Rittmeister, welcher die Sonnenfinsternis persönlich leiten wird; die übrigen Herrn Offiziere der Eskadron brauchen bei der Uebung nicht anwesend sein. Sobald der Trompeter das Zeichen zum Aufhören der Finsternis gegeben hat, beginnt der Frühstall; im Falle ungünstiger Witterung cessiert die Sonnenfinsternis und beginnt dann der Frühstall zur gewöhnlichen Stunde. (M. N. N.)
(Gegen Trunkenheit.) Ein gutes Mittel, die Arrestlokale nicht mit Betrunkenen anzufüllen und die Angehörigen der Angst zu entheben, daß ein Mitglied die ganze Nacht ausbleibt, hat das dänische Folkething erfunden. Der Gesetzesartikel lautet: „In Zukunft werden völlig Betrunkene mit einem Wagen nach ihrer Wohnung gebracht. Die daherigen Kosten hat derjenige Getränkeverkäufer zu bestreiten, bei welchem der Betrunkene den letzten Schluck getrunken.
Redaktion, Druck und Verlag von Jak. Meeh in Neuenbürg.