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Samstag Ketta-e r« Nr. 83. 14. Zuli 1900.
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Die 1-iverten.
Seeroman von Clark Rüssel.
(Fortsetzung)
„Nicht mehr, als sechs Knoten höchstens,* sagte der Bootsmann kopfschüttelnd, „und dabei macht der alt« Kasten ein Wesen, als wäre er ein Linienschiff!*
Der Wind frischte immer mehr auf, der Ozean bedeckte sich mit schaumge- kcönten Wogen. Die alte.Brigg that nach Kräften ihre Schuldigkeit und brauste durch die Flut mit schlanker Fahrt.
Der Kommandant aber zuckte-die Achseln.
„Was kann solch ein alter Mage» ausrichten im Kielwasser eines der schnellsten Ki pper, die jemals von der Helling liefen?* sagte er zu dem um acht Uhr an Deck gekommenen Steuermann. „Wir machen bei dieser Brise sechs Knoten, die ,Queen' aber zwölf. Wir haben nur eine Aussicht und zwar keine ganz unwahrscheinliche, nämlich die, daß ein erbitterter Kampf an Bord der Bark statt- gesunden hat und wir sie in vollster Konfusion, mit backschlagenden Segeln und steuerlos irgendwo antreffen.
Viermal schritt er von Reeling zu Reeling, um den ganzen Gesichtskreis auf das genau ste zu mustern, dann rief er den Ausguckmann im Vorbramsaling an, und als auch dieser nichts zu melden wußte, ging er unter Deck zum Frühstück.
Gegen elf Uhr ward den Matrosen des .Wellesl'y' ein ungewöhnliches Schauspiel. Zuerst kam Mr. Hardy mit. einem ölten, großen Klappstuhl die Kajütstreppe herauf. Er klappte denselben auf und stellte ihn in den Schatten des Brigg- segels an Deck; darauf schritt er zum Kajü!sob:rlicht, durch welches ihm einige Kopsk ss-n heraufgereicht wurden; diese legte er auf den Stuhl, wobei er sie sorglich klopfte und glatt strich. Einige Minuten später zeigte sich die Gestalt des Schiffers auf der Treppe, diesmal mit dem breiten Rück n voran; langsam und Stufe für Stufe hrraufstrigenl)'half er der jungen Dam« an D^ck. Miß Mansel war noch schwach und konnte die Stütze seiner starken und doch so sanften Hand nicht entbehren.
Ganz geblendet trat sie aus dem dämmernden Raum hinaus in den Sonnenschein und frischen Wind. Die Matrosen standen und starrten diese Erscheinung an; sie hatten sie aus dem Meere ziehen sehen, einen leblosen, triefenden Körper — jetzt erblickten sie sie zum zweitenmal, ein junges Weib von graziöser, prächtiger G stalt, gekleidet in ein dunk-lrotes Gewand, das durch einen seidenen Gurt um die schlank- Mitte zusammeng-halten wurde. Ihr reiches, dunkles, geschmackvoll geordnetes Haar war nur MM Teil von einer runden, weißen Kappe bedeckt, die ihr allerliebst stand und ihren großen wunderschönen Augen einen neuen, bestrickenden Ausdruck zu verleihen schien.
Trotzdem aber sah das arm« Mädchen recht bleich aus; man erkannte auf den ersten Bl ck, daß sie soeben erst eine große Gefahr, eine starke körperliche und geistige Erschütterung, überstanden hatte.
Boldock ließ ihre Hand erst los, als sie festen Fuß an Deck gefaßt hatte.
„Jetzt erst fühle ich in Wahrheit, daß ich noch am Leben bin,* sagte sie lächelnd und an der Kajütrkappe einen Halt suchend. Sie überblickte das Schiff und die Segel und schaute dann freundlich den Schiffer an.
„Das ist aber auch ein rechtes Damenwelt»,* sagte dieser liebenswürdig. „Erlauben Sie, daß ich Sie zu ihrem Sitz geleite.*
Er führte sie zu dem Stuhl, in welchem sie Platz nahm. Mr. Hardy breitete eine Decke über ihre Kniee. Sie nickt« lächelnd beiden Männern ihren Dank zu.
„Nach der,Queen' erscheint dieses Schiff mir nur klein,* sagte sie. „Wohin bringt uns dieser Wind?*
„Zunächst nach einer Gegend, woselbst eine Reihe von Klippen und Bänken zu vermessen und in die Karten einzutragen sind,* antwortete Boldock. „Sodann zu einigen Inseln, mit denen dasselbe geschieht. Hernach zurück nach Sydney. Gegenwärtig liegen wir noch auf dem Kurse.*
„Ich fürchte mich, nach Sydney zurückzukehren,* versetzte Miß Mansel. „Ich habe keinen Heller Geld. DaS wenige, was mir gebliebm war, befind-t sich in einem Kästchen an Bord der ,Queen'. Ebenso meine sonstige Habe an Kleidern, Büchern, Andenken und dergleichen, alles ist auf jenem Schiffe und für mich wohl auf immer verloren.*
„Wir wollen uns heute mit solchen Gedanken nicht dar Herz beschweren,* erwiderte der Kommandant, freundliche Ermutigung in Ton und Blick; „ist der Tag nicht so schön. Miß? Und sind wir nicht so voll von Dank gegen Gott für Ihre wunderbare Errettung?*
Sie senkte den Kopf und ihre Augen füllten sich mit Thränen, was der brave Schiffer jedoch, zum Glück für sein empfindliches Herz, nicht bemerkte. Sein Blick irrte forschend über di« See.
„ES wäre von größter Wichtigkeit für uns, wenn Sie sich den Namen der
Insel ins Gedächtnis zurückrufen könnten. War's vielleicht —* hier zählte er eine ganze Reihe von Inseln der Polynesischen Gruppe auf.
Sie schüttelte den Kopf.
„Es wird mir aber noch einfallen,* sagt« sie.
„So müssen wir uns denn gedulden, und die« giebt mir den willkommensten Vorwand, Sie an Bord der Brigg zu behalten und nicht, wie es anfangs mein Vorsatz war, dem ersten Australienfahrer, dem wir begegneten, anzuvertrauen.*
Er sagte dies mit einer leichten Verbeugung und mit jener feinen, freien Achterdickshöflichkeit, die Männern seiner Art so gut steht.
Miß Mansel blickt« erst auf ihren Schlafrock und dann in Verwirrung zur Seite. Dem feinfühligen Schiffer entging dies nicht.
„Sehen Sie,* plauderte er, in geringer Entfernung hin und her gehend, „wenn wir erst den Namen der Insel wissen, wo die Hallunken sich mit der Brigantine ein Rendezvous zu geben beabsichtigen, dann ist e« sehr wahrscheinlich, daß wir dort auch die ,Queen' finden. Dadurch kämen Sie au« aller Verlegenheit.*
„Wenn jene zehn Männer sich d«S Schiffes bemächtigten, was würde dann auS den Paffagieren?* fragte sie.
„Hm,* machte Boldock. „Nach der Behandlung zu urteilen, di« man Ihnen angedeihen ließ, müßten die armen Leut« sich auf das schlimmste gefaßt machen.*
„Um Gottes willen l* rief das Mädchen schaudernd. „Sie glauben doch nicht —-?"
Sie wagte den Gedanken nicht auszusprechen.
„Ich glaube,* ergänzte der Kommandant lächelnd, „daß Sie schließlich von allen Seiten am besten daran sind.*
„Da sind aber noch mehrere Damen —*
„Sie sind ebenfalls eine Dam«; hat Ihnen die» etwa» geholfen?"
„O, die Schändlichkeiten! WaS ba«» ich ihn«» z» l»,i» gelyna r „Beruhige» Sie sich. Miß Mansel. ES giebt noch eine Vergeltung und ^zwar oft schon hier auf Erden, oder besser, hier auf See! Ich hoff« inständigst, daß Sie sich jene» Namen» recht bald erinnern, oder daß wir der .Queen' begegnen.*
Er schaute gedankenvoll zur Heck der Großraa empor, als träfe er im Geiste bereits Vorbereitungen für das Hängen der Seeräuber. Da kam ein Ruf aus dem Vorbramsaling.
.Segel hol*
„Wo hinaus?* rief Mr. Hardy und rannte nach vorn.
„Drei Strich im Lee!*
Boldock hob das große Teleskop aus den Klampen und legte r» auf die Reeling im Lee.
„Ein Schiff ist's nicht,* sagte er, „aber ein Boot mit einem dreieckigen Segel — «ins der Boote der .Queen' darauf möchte ich wetten.*
Er gab das Teleskop an den Steuermann ab. Das Boot war ungefähr drei Seemeilen entfernt. Das Ruder der Brigg wurde steuerbord gelegt, Großsegel, Bram- und Oberbramsegel aufgegeiet; langsam trieben die Fahrzeug» auf einander zu, wobei einer der Bootsinsassen «in weißes Tuch an einem Reem schwenkte.
Die Brigg legt« sich in den Wind, das Boot vierte sein Segel nieder und schoß mit geschickter Schwenkung langseit, während in seinem Buge ein Mann die Hände nach der Leine ausstreckte, die ihm von der Back der Brigg zugeworfen wurde. M,ß Mansel, die sich erhoben hatte, stieß «inen Schrei auS.
„Das ist Mr. Matthews,* sagt« sie zu dem Kommandanten, „der Obersteuermann der .Queen', mit fünf von seinen Matrosen!*
Wenige Sekunden später sprangen die Leute aus dem Boote über die Reeling. „Wollen sie das Boot behalten?* fragte Matthew» den Kommandanten. „Gewiß. Mr. Hardy, lassen Sie das Boot an Bord hissen!*
„Da ist Miß Mansel!* raunte der Matrose Tom seinem Obersteuermann zu. Der stand wie vom Blitz getroffen und starrte die junge Dame stumm und in höchstem Erstaunen an.
„Ja, ich bin's,* lächelte diese ihm zu, „ich bin'», Margaret Mansel, leibhaftig und lebendig.*
Jetzt schritt Matthew» auf sie zu.
„Also nicht Ihr Geist!* rief er, de» Mädchen» Hand ergreifend. „Bei Gott, e» geschehen doch noch Wunder! Sie hier an Bord dieser Brigg!* Und sich an den Kommandanten wendend, setzte er hinzu: „Fast will mir nun alles, was hinter un» liegt, wie ein schlimmer Traum erscheinen!*
„Ich habe herzliche» Mitgefühl für Sie,* sagt« Boldock. „AuS Ihrer Anwesenheit hier schließe ich, daß di« Piraten im Besitz der Bark sind.*
„Heute früh überfielen sie uns, und zwangen un» alle in die Boote zu gehen. Wie aber kamen Sie hierher, Miß Mansel?* (Fortsetzung folgt.)