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dem Wege nach Berlin, wo die Königin residierte, konnte er es nicht unterlassen, wiederholt lüstern nach der Düte z» schielen, aus welcher zwischen jungen Grasspitzen ganz zufällig ein Kirschcnstengel hervor- lngte. Eine Kirsche zu so früher Jahreszeit — das war doch ein zu verführerisches Ding, und der junge Edelmann konnte der Versuchung nicht widerstehen.
„Eine Kirsche wird ja nicht viel schaden," meinte er lächelnd. Er zupfte die Kirsche an dem Stengel aus derselben und verspeiste dieselbe voll Wohlbehagens. Bei dem Herausziehen der ersten Kirsche war der Stengel der zweiten sichtbar geworden, und unser Seydlitz vermochte es nicht übers Herz zu bringen, er mußte auch diese nehmen. Ja, der zweiten sollte auch die dritte folgen.
„Bei einer so großmächtigen Düte," tröstete sich der naschhafte Page, „wird man es ja nicht sofort merken, wenn drei Kirschen fehlen."
Jetzt zeigte sich kein Kirschenstengel mehr, und zur Rettung der Pagenehre des Herrn von Seydlitz soll noch bemerkt werden , daß derselbe keine weiteren Nachforschungen mehr anstellte und die Düte pflichtschuldigst seiner Königin überreichte. Die hohe Frau war nicht wenig überrascht, als sie die Düte öffnete und nichts darin fand, als junges Gras. Wie hätte es auch anders sein können? Nur drei Kirschen waren hineingelegt, und alle drei hatte unser Page verzehrt. Als nun die Königin das Schreiben ihres erlauchten Gemahls las, welcher sie artig ersuchte, die Erstlinge seines Gartens sich gut schmecken zu lassen, da glaubte sie, der König beliebe wieder einmal zu scherzen, wie er es vielfach zu thun pflege. Sie setzte sich sofort an ihren Schreibtisch und antwortete ihm, sie sende seine freundlich dargebrachte Gabe mit dem Bemerken zurück, einmal, daß es nichts Besonderes sei, wenn in den Treibhäusern von Sanssouci schon Gras wachse, da inan solches in Berlin bereits auf allen Gassen haben könne, und sodann, daß die Erstlinge des königlichen Gartens wohl für Gänse eine willkommene Labung sein möchten, nicht aber für die Gemahlin des großen Königs.
Sorglos ritt Seydlitz mit dem Briefe der Königin zu seinem königlichen Herrn zurück. Wie wunderte sich der König Friedrich, als er die launigen Worte seiner erlauchten Gemahlin mit schnellem Blick überflog.
„Hat er die Düte der Königin persönlich übergeben, Seydlitz?" forschte der alte Fritz und sah bei dieser Frage den Pagen durchbohrend an.
„Zu Befehl, Majestät!" lautete die Antwort.
Da glitt ein verständnisvolles Lächeln über des Königs Antlitz; ohne ein Wort zu sprechen, schrieb er schnell einen Zettel, versiegelte denselben und befahl dem jungen Edelmann, das Billet ohne Verzug auf die Hauptwache zu bringen. Der Page wußte nicht, was auf dem Zettel geschrieben stand, allein er ahnte, daß es nichts Gutes war, und als er ins Vorzimmer trat, dachte er einen Augenblick darüber nach, wie er sich am besten aus der Schlinge ziehen könne. In diesem Augennlicke erschien der ihm
verhaßte Hofbankier Lippold, warf in auffälliger Hast seinen Pelz ab und herrschte den Pagen in seiner hochmütigen Weise an:
„Melde mich dem Könige!"
„Das thut mir leid", entgegnete Seydlitz, „ich muß auf Befehl Seiner Majestät zuvor diesen Zettel auf die Hanptwache tragen."
„Aber ich muß den König sofort sprechen," rief der Jude, „ich habe es eilig, sehr eilig."
Der Page zuckte mit den Achseln, und Lippold ging kecken Mutes auf die Thür des Empfangszimmers zu. Doch die Wachen kreuzten das Gewehr und verweigerten ihm drohend den Eingang. Der Geldmann befand sich in größter Verlegenheit; es handelte sich um ein Anlehen, und jeden Augenblick konnte sein Konkurrent ein- tresfen. Mit erzwungener Freundlichkeit wandte er sich daher an den Pagen und sprach:
„Wisset ihr was, so will ich selbst tragen den Zettel auf die Hanptwache, wenn ihr wollt haben die Güte, die große Güte, mich zu melden beim Könige und vor mir niemand einzulassen."
„Das geht nicht an," erwiderte Seid- litz, „der König hat mich mit der Besorgung des Zettels beauftragt, nicht aber euch. Ich muß der Königlichen Majestät Befehl gewissenhaft ausführen, sonst könnte mein allergnädigster Herr leicht höchst ungnädig werden."
(Schluß folgt.)
(Wo sind die Milliarden geblieben?) Ein summarischer Nachweis, wo die seit 1871 von Frankreich als Kriegsentschädig, ung bezahlten 5 Milliarden geblieben sind, darf wohl auf einiges Interesse rechnen. Fünf Milliarden Francs sind bekanntlich genau gleich 4 Milliarden Mark, und soll daher letztere Summe zu Grunde gelegt werden. Wir wollen mit dem erfreulichsten Teil beginnen: Nahezu den vierten Teil oder eine Milliarde besitzt das deutsche Reich noch gegenwärtig in 5 Fonds, dem Jnvalidenfonds, welcher allein mit 561 Millionen dotiert ist, dem Reichs-Festungsbaufonds, dem Reichs-Eisenbahnbaufonds, dem bekannten Kriegsschatz im Jnliusthurm in Spandau (120 Millionen) und dem Fonds für das Reichstagsgebäude (24 Millionen, wozu stets die beträchtlichen, seit 1873 aufgelaufenen Zinsen treten.) Die zweite Milliarde ist lediglich durch die Hände des Reiches gegangen, indem mit derselben sofort die drei Kriegs-Anleihen von 120 Millionen-, 100 Millionen und 120 Millionen preußische Thaler—1020 Millionen Mark getilgt worden sind. Von den beiden letzten sind etwa l'/i Milliarden verwandt zum Ersatz der direkt durch den Krieg erwachsenen Schäden; wir nennen nur die Hauptrubriken: für die Wiederherstellung der gesamten im Feldzuge verschlissenen Heeresansrüstung (das sogen. Retablissement) 320 Millionen, die Vergütung sämtlicher Kriegsschäden in Elsaß- Lothringen und Baden (Kehl), sämtlicher Schäden der deutschen Rhederei durch die Kaperei, die Entschädigung der aus Frankreich verjagten Deutschen, die Erstattung sämtlicher Kriegslasten der deutschen Gemeinden (Einquartierung, Fuhren), die
Transportkosten der Eisenbahnen für Beförderung sämtlicher Truppen, Vorräte Gefangenen. Ueber die noch übrigen Milliarden ist zu einem kleineren Teil für bestimmte große Reichszwecke verfügt, namentlich die Kosten der Einführung der Münzeinheit, also die Prägung der gesamten neuen Münzen; ferner die Neichs- beihilfe zur Gotthardtbahn und die bekannten Dotationen. Eine halbe Milliarde endlich ist zur Austeilung an die einzelnen Staaten gelangt und in der mannigfachsten Weise verwandt zur Schuldentilgung, zu Steuererlässeu, Verbesserung der Beamten- gehälter, in Preußen speziell auch z„r Dotation der Provinzialverbände.
(Geburtstagshymnus.) Das Städtchen Waldheim im Sachsenlande ist nicht nur seines Zuchthauses wegen männiglich bekannt, sondern auch, weil es die Geburtsstadt eines berühmten Konsistorialrates ist. Als der selige Herr seinen siebzigjährigen Geburtstag feierte, konnte sich einer seiner Untergebenen nicht enthalten, ein schwungvolles Festpoöm zu sprechen, mit dem er sich aller Herzen und besonders das seines Vorgesetzten zu erobern gedachte. Aber schon bei der zweiten Zeile war es um die feierliche Stimmung geschehen; das Gedicht begann nämlich: „Ein hohes Lied sei Dir gesungen, — „Der Du aus Waldheim einst entsprungen!"
(Wörtlich befolgt.) Lieutenant (zu einem Burschen): „Johann, ich will bei Geheimrat Besuch machen und vorher noch in die Kaserne gehen; trage einstweilen meinen Helm dorthin — ich komme gleich nach!" — Johann: „Eine Empfehlung vom Herrn Lieutenant, hier ist der Helm
— der Herr Lieutenant kommt gleich nach?"
Die französischen Melinitbomben sind der Lächerlichkeit und der — Vergangenheit anheimgefallen. Die Bomben hatten die bedenkliche Eigenschaft, der Bedienungsmannschaft gefährlicher zu werden, als einem etwaigen Feindr.
TeIegram m.
Stuttgart, 18. April, 10 Uhr 34 M. vormittags. In Ajaccio ist vergangene Nacht ein englischer Dampfer mit lob Passagieren unweit vom Hafen Bonifacio umgestürzt.
Bei gegenwärtiger Geschäftszeit eignet sich
-er Girzthäler
zur wirksamsten Verbreitung von Anzeigen aller Art. — Erfahrungsgemäs finden Inserate in einem nicht alltäglich erscheinenden Blatte mehr Beachtung als in Blättern, in denen sie alltäglich durch neue verdrängt werden oder in der Masse verschwinden.
— Auch kommt es für wirksamen Erfolg der Anzeigen nicht immer auf die Quantität sondern auch auf den geeigneten Leserkreis und die Qualität der Leser an. — Wir bitten die geehrten Inserenten, sich von dem Nutzen der Veröffentlichungen durch Proben zu überzeugen und des EnzthälerS dabei freundlich zu gedenken.
Red. u. Verlag des Enzthälers.
Redaktion, Druck und Verlag von Jak. Me eh in Neuenbürg.