Galmei' Mollimblalt.
Donnerstag KeUage M Ur» ^9. 5. Juli 1900.
^ rr. »lochdrul »irbotrn
Die Piraten
Seeroman von Clark Rüssel.
(Fortsetzung.)
„Adams meint, sie wäre vielleicht noch lebendig I" rief der Kommandant ihm entgegen.
Mr. Hardy betrachtete aufmerksam und ernst das junge, steinerne Gesicht.
„Wir müssen sie abtrocknen, in Decken wickeln und es dann mit der künstlichen Atmung versuchen/ entschied er.
„So ist's recht, Mr. Hardy/ nickt« Adams. „Auch ein Löffel Rum könnte nicht schaden."
„Dann also vorwärts/ sagt« Kommandant Boldock ungeduldig.
Das Unternehmen war ein nahezu aussichtsloses, diese erprobten Seeleute aber wußten aus Erfahrung, daß auf See eigentlich nichts uumöglich und nichts unwahrscheinlich ist. Der Kommandant sah zu und Hardy und Adams thaten die Arbeit. Sie streiften ihre Hemden von den Schultern, denn es war drückend schwül in der engen Kajüte, darauf trockneten sie die Leblose ab, schlugen eine Decke um sie, und nachdem ihr auch der von Adams verschriebene Löffel Rum eingeflößt worden war, begannen sie die Manipulationen der künstlichen Atmung, so gut sie sich darauf verstanden. Sie wälzten sie auf die rechte, dann wieder auf die linke Seite, immer hinüber und herüber. Adams schien mit solchen Dingen Bescheid zu wissen.
„Das kann so seine zwei Stunden dauern/ bemerkte Mr. Hardy, dem der Schweiß in Strömen vom Gesicht rann.
„Thut nichts, nur nicht Nachlassen/ versetzte Boldock, der dem Vorgang mit gespanntem Interesse folgte. „Ich wollte, ich könnte Ihnen dabei zur Hand gehen. Wenn der gute Gott uns gnädig ist, dann warpen wir sie wieder zu der Boje zurück, von der man sie ruchlos abgeschnitten. Je länger man lebt, desto mehr erk-nnt man überall das Wunderbare der Weltregierung; wenn diese junge Dame nicht expreß zu dem Zweck in unfern Kurs getrieben ist, damit wir ihr an Bord der .Wellesley' wieder Atem in den Leib kneten, was hätte sie dann in unser« Fahrwasser zu suchen?*
„Die ist nicht tot," sagte der Matrose, ein Mann in mittleren Jahren, mit einem Bart, der ihm wie ein Bündel Werg unter dem Kinn hing.
„Ich glaube, Adams hat recht," meinte der Steuermann, den Körper sanft zur Wand wälzend, von wo ihn der Matrose wieder zurückrollte.
„Wenn wir's schaffen," nahm Adams wieder das Wort, „dann ist's dem Knebel zu verdanken, der verhindert hat, daß sie Wasser schluckte."
„Trotz alledem ist es schwer zu glauben, daß ein lebender Körper sich so lange über Wasser hält," sagte Hardy, mit der Arbeit innehaltrnd, um sich da« Gesicht zu trocknen.
„Sie sieht ganz frisch aus," sagte der Kommandant.
„Das sag« ich ja," rief AdamS, der unter den obwaltenden Umständen sich berechtigt fühlte, in freierem Tone als sonst mit seinem Vorgesetzten zu reden. „Ihrer Farbe nach kann sie nicht länger als vier oder fünf Stunden über Bord gewesen sein."
„Das Fahrzeug, dem sie zugehörte, muß dann ja beinah« noch in Sicht sein!" sagte Boldock lebhaft. „Lassen Sie nicht nach, Hardy! Nicht eher, als bis ihr beide fest überzeugt seid, daß alles vergeblich ist. Verstanden? WaS wäre das für ein Glück, wenn wir ein so hübsches Kind dem Leben wirder- geben könnten! Außerdem wäre es doch auch wichtig, zu hören, wer diese Ge- waltthat an ihr verübt hat. Also nicht Nachlassen, Hardy. Ich komme bald wieder herunter."
Er stieg an Deck hinauf.
„Spring einer auf die Oberbramraa!" rief er hier. „Ich will wissen, ob ein Segel in Sicht ist."
Schnell wie ein Wiesel rannte ein Mann die Fockwant hinauf, und ehe man «S sich versah, stand er auf der obersten Raa, die Hand an der Stenge unter dem Flaggenknopf und langsam und sorgfältig das weite Seerund musternd. Seine weißen Hosen flatterten in der blauen Höhe, er sah in dieser Ferne aus wie ein Spielzeug, sauber und neu, frisch aus der Schachtel; die Stimme aber, die nach einigen Minuten von jener Höhe herabschallte, war der tiefe, starke Baßton eines kräftigen Mannes:
„Nichts in Sicht!"
Der Kommandant schüttelte den Kopf. Wo kam das junge Frauenzimmer her? Wie lang« mochte sie im Wasser gewesen sein? Warum hat man sie geknebelt?
„Bootsmann!" rief er.
Ein Mann mit großem Bart, der eine silberne Pfeife um den Hals hängen hatte, kam eilig achteraus.
„Geben Sie acht auf dir Brigg, StubbinS," redete der Kommandant ihn an. „Mr. Hardy versucht unten in der Kajüte di« Aufgefischte wieder zu beleben. Ist Ihnen das Verfahren bekannt, das man bei Ertrunkenen anwendet?"
Der Botsmann sah seinen Vorgesetzten von der Seite an, als wisse er nicht recht, ob derselbe seinen Spaß mit ihm treiben wolle oder nicht.
„Das Verfahren, das man bei Ertrunkenen anwendet?" wiederholte er. „Ja, das ist mir bekannt: man begräbt sie."
Boldock drehte sich kurz herum.
„Achten Eie auf die Brigg, Etubbins."
Damit ging er in die Kajüte hinunter. Hier hatte der Koch inzwischen da« Frühstück auf den Tisch gesetzt — wie immer und ohne Ausnahme gebratenen Speck mit Spiegeleiern — dessen Geruch die bedrückende Atmosphäre hier unten noch schwüler und dumpfiger zu machen schien. Boldock wendet« dem Tisch den Rücken und trat in den andern Raum. Hardy und AdamS hatten die Arbeit eingestellt; sie standen vor ihrer Geretteten mit halb erhobenen Händen, lauschend, wie in Verzückung. Ein Laut, leis» verhauchend, wie ei» Seufzer, drang in Bol- docks Ohr.
Mr. Hardy drehte sich um, gewahrte den Kommandanten und flüsterte:
„Eie atmet!"
Langsam, sehr langsam vollzog sich dieses Wiedererwachen zum Leben; da» Frühstück war längst kalt und ungenießbar geworden, eh« die Unbekannte regelmäßig atmend, wenn auch noch bewußtlos, in der Koje lag.
„Sie ist also gar nicht ertrunken gewesen," bemerkte der Kommandant, als die drei Männer in die Betrachtung de» gelungenen Werke» versunken standen.
„So scheint es," versetzte der Steuermann; man merkte seiner Stimm« an, wie sehr die Arbeit ihn erschöpft hatte.
„Der Knebel hat ihr das Leben gerettet," fuhr Boldock fort, das Ding von einem Schränkchen nehmend und näher betrachtend. „Das ist mit teuflischer Geschicklichkeit verfertigt; sehen Sie her! Der Knoten hier in der Mitte mußte genau den Mund ausfüllen. Es sind zwei Taschentücher, die man zusammengenäht hat, speziell zu diesem Zweck. Und hier ist auch ein Name in der Ecke — ein Name! Wie heißt er?"
Alle drei steckten die Köpf« über dem Zipfel des Taschentuch» zusammen. Die Stickerei war leicht zu entziffern; der Eigentümer der Tücher hieß: Dike Caldwell.
„Das werden wir trocknen und sorgfältig aufbewahren/ sagte Boldock. „ES mag uns behilflich sein, einen Menschen an den Galgen zu bringen, der in einer Welt, wo Seeleute leben, keine Existenzberechtigung hat.
„ES ist mir ein Rätsel, daß sie sich den Knebel nicht abriß, da sie doch di« Hände frei hatte," bemerkte Adams.
„DaS beweist," versetzt« der Kommandant, „daß sie ohnmächtig war, als sie über Bord geworfen wurde. Aber ein schönes Weibsbild ist sie, das muß ihr der Neid lassen."
Er trat an die Koje und betrachtete sie. Auf ihren vorher so weißen Lippen hatte sich «in Schatten von Färbung eingestellt. Ihre Wangen waren noch immer wachsbleich, die Augen, vorher halb geöffnet und nur da» Weiße zeigend, hatten sich geschlossen. Die langen Strähne de« nassen, schwarzen Haare» lagen wirr auf Kopfpsühl und Decke.
„So wahr ich lebe," rief der Kommandant mit unterdrückter Stimme, indem er sich strahlenden Gesichts den beiden anderen zuwendete, „so wahr ich lebe, nicht für alles Geld, daß ich bi» zu meinen letzten Stündlein noch verdienen kann, möchte ich dieses Abenteuer nicht erlebt haben, möchte ich den heutigen schönen Morgen missen!"
13. Kapitel.
Miß Mmseks Krzähkrmg.
ES war gegen drei Uhr nachmittag». Kommandant Boldock marschierte an Deck auf und ab, häufig stehen bleibend, um einen Blick durch da» Oberlicht- fenstrr in die Kajüte hinabzuwerfen. Di« Brigg schwamm gemächlich auf ihrem Kurse dahin. Der Ozean lag in tiefem Schweigen, die Strecke bis zur glaS- hellen Kimmung erschien so unermeßlich weit, wie der Weg zum Himmel. Boldock lauschte dem Knattern der Reffzeisinge, die gegen die schlaffen Segel schlugen, er sah mißvergnügt über die See hinaus und schickte sich eben an, in di« KajütS- kappe hinab zu tauchen, al« Mr. HardyS Gestalt aus derselben emporstieg.
„Nun?" fragte der Kommandant erwartungsvoll. „Sie hat dir Suppe genossen und auch den Sherry," lautet« die Antwort; „ich glaub« sie hat'» überstanden."
„Ist sie denn bei Verstände?"
„Vollkommen."
(Fortsetzung folgt.)