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nicht eben gefallen. Wenigstens entfuhr Allen ein halb entrüstetes, halb verschämtes Ah! Der Fremde nahm daraus gar keine Rücksicht; er kniete einmal im Sande und wollte das nicht umsonst gelhan haben. Ehe Julie noch recht zum Bewußtsein kam, hielt er bereits die Stiefelette in der Hand, die er ihr kunstgemäß und ohne Schmerz zu verursachen abgezogen hatte.
Jetzt griff er in seine Brusttasche und holte ein anderes Stiefclchen hervor, das an Elegenz seines Gleichen so leicht nicht haben konnte.
„Hier ist Ersatz, meine Gnädige," sagte er. „und ich bin gewiß, daß er Ihren Beifall finden wird." Und nun erfolgte, gleichfalls ohne Schwierigkeiten, die Proce- dur des Anziehens. Das ging alles so geschwind, daß Julie erst zum Nachdenken kam, als es vorüber war.
„Mein Herr, was soll ich von Ihnen denken," ries sie aus, „Sie werden mir immer räthsclhastcr."
„O meine Gnädige" antwortete er strahlenden Blickes, „nun habe ich keine Veranlassung mehr, mein Inkognito zu bewahren. Ich sehe, daß der Stiefel Ihnen vortrefflich paßt und darf daher wohl Ihrer und der Kundschaft Ihrer verehrten Angehörigen gewiß sein."
„Ihrer Kundschaft?" tönte cs von sechs Paar Lippen zugleich.
„Ja, meine Damen. Gestatten Sie mir, daß ich mich Ihnen vorstelle: „Karl Müller, Reisender in feinen Damenstiefeln, vom Hause Friedrich Schulze in Berlin." Hier einige Geschäftskarten meines Hauses, deren Sie sich bei Bestellungen gütigst bedienen wollen. Lieferung prompt, Preise fest. Ich habe die Ehre, mich gehorsamst zu empfehlen."
Die Registratorfamilie saß wie versteinert und sah sprachlos dem entschwindenden eominis vovLgaur nach.
„Adalgisa hat einen Reisenden für einen Baron gehalten!" rief endlich Eudoxia mit Hellem Gelächter.
„Wir alle hielten ihn dafür," brach die entrüstete Registratorin los — „aber wer kann denn eine so neue und raffinirte Art, für Stiefeletten Reklame zu machen, durchschauen! Werft sogleich die Geschästs- kartcn fort, und Dn, Julie, ziehe den fremden Stiefel aus!"
Das erster? geschah, das letztere war aber deßhalb nicht möglich, weil Karl Müller den angeblich zu engen Stiesel Juliens, wahrscheinlich um für künftig»? Zeiten, gleich das Maß zu haben, vorsorglich mitgenommen hatte.
In der Yeujayrsrracht.
Novellen«: von L. Wrictzner.
Sie war sehr hübsch und wußte das selbst ganz genau. Und sie war auch sehr reich und das wußte sie erst recht genau. Beides, weder Schönheit noch Reichthum, pflegt in diesem Erdenleben kein Fehler zu sein, aber Frau Viktorinc wurde, wenn schon nicht ihre Schönheit, so doch ihr Neichthum zum Verhängniß. Wie das aber zugegangen, das soll hier schlicht und einfach, der Wahrheit gemäß, erzählt werden; wenn aber die Erzählung dem freundlichen Leser gar zu wunderbar und un
wahrscheinlich klingen sollte, so ist das nicht die Schuld des Erzählers, und es beweist nur, daß die Dinge im Leben oft viel merkwürdiger und unglaublicher sich gestalten, als sie die Phantasie irgend eines Erzählers erfinden kann.
Frau Biktorine war noch nicht zweiundzwanzig Jahre alt und bereits Wittwe. Als blutjunges, unerfahrenes Mädchen, hatte sie einen um viele Jahre älteren Mann geheirathet, nach dem Willen einer Stiefmutter geheirathet, der das hold erblühende Mädchen zu Hause im Wege war. Zwei Jahre hatte Viktoriue an der Seite ihres Gatten, der ihr Vater sein konnte, verträumt,; verlebt konnte man nicht sagen, denn vom Leben hatte die junge Frau in dem hübschen, mit allem Comfort ausgestatteten Häuschen, das am Ende der kleinen Stadt lag, herzlich wenig gesehen. Nun war nach zweijähriger, gerade nicht unglücklicher, aber für Frau Victorine recht langweiliger Ehe, ihr Gatte gestorben und hatte ihr ein Vermögen hinterlassen, dessen Größe die junge Frau nie geahnt und dessen Werth sie jetzt erst, nachdem sie ihre eigene Herrin geworden, schätzen gelernt. Jetzt kam auch das lebenslustige , humorsprudelnde Temperament, nachdem sie znm ersten Male frei die Schwingen regen durfte, umsomehr zum Ansbruch, als eben dieser hübsche, zu allen möglichen Tollheiten aufgelegte hübsche Kopf so lange Zeit gegen seinen Willen gezügelt worden. Das übliche Trauerjahr hatte Frau Bictorine natürlich in üblicher Zurückgezogenheit, wennschon nicht in dumpfer Trauer, verlebt; denn zu dieser hatte sie, nachdem sie auf Befehl einem ungeliebten Manne die Hand gereicht, wirklich keine Veranlassung. Nachdem aber das Trauerjahr abgelaufen, da kam eine ganz neue Viktorine zum Vorschein, ein zur vollen Rose erblühtes, schönes Weib, dessen Augen in Lebenslust und neckischem Uebermuth blitzten, dessen Lippen so rosig wie Korallen erglänzten; die Gestalt der schönen Frau war voller, stattlicher, elastischer geworden, aber über ihr lagerte noch der mädchenhafte Reiz, der nun eine um so größere Anziehungskraft auf die Männerwelt übte, von der Bictorine, die junge, schöne, reiche und aus diesen Gründen höchst begehrenswcrthe Wittwe, umschwärmt war.
Bictorine war aber nicht nur schön, sondern, wie das öfters unter den eben beschriebenen Umständen der Fall zu sein pflegt, auch sehr eigensinnig, oft launenhaft, sogar das, was man einen kleinen Trotzkops zu nennen pflegt. Vor Allem war es eine Idee, die die schöne Frau so vollständig beherrschte, daß sich diese Idee bereits zu einer Manie, zu einer fixen Idee ausgebildet hatte. Sie glaubte nämlich, daß all die zahlreichen Werbungen um ihre Hand, die von der sie umschwärmenden Männerwelt zu gelegener Zeit angebracht wurden, nicht ihr, ihrer Person, sondern ihrem Reichthum galten. L>o hatte sic denn bereits eine ganze Anzahl Körbe ausgethcilt und allmählich hatte sich das Gerücht verbreitet, daß die spröde Wittwe überhaupt sich nicht wieder zu ver- heirathen gedenke.
(Fortsetzung folgt.)
Recherchen für den Berliner Wohnnngsanzeiger waren vor vierzig Jahren noch nicht so systematisch organisirt wie jetzt. Da liefen die Explorateure in der Stadt umher und schrieben vorzüglich von den Aushängeschildern der Gewerbetreibenden die Namen ab. Eine» dieser harmlosen Boten, welcher das Spandauer Viertel zu revidiren hatte, kam in der Spandauerstraße vor dem Hanse Nr. 68 vorüber, wo gerade ein Schild mit goldenen Buchstaben enthüllt wurde. Es war dieses die Denktafel Mendelssohn's, auf welcher die Worte standen: „Hier lebte und wirkte Moses Mendelssohn." Der gewissenhafte und mit den Namen berühmter Männer wohl nicht sehr vertrante Bote verzeichnet? in seine Liste sogleich: „Moses Mendelssohn, Weber und Wirker."
Edler Wettstreit. Max: „Unser Doktor ist mir doch lieber, wie En'rer." — Fritz: „Jo, Eu'rer Hot jo nit emol e' Brill uf. _ (Fl. Bl.)
Schiller und Schopenhauer.
Wenn Schiller singt: „Die Frauen weben Und flechten manche schöne Ros'
In dieses düst're ird'sche Leben,"
Sagt man: „Der Ausspruch ist famos-" Hingegen füllt's manch Herz mit Trauer, Weuu, angehaucht vom Schmerz der Welt, Der große Arthur Schopenhauer Nicht viel von unser'n Frauen hält. Jedoch mir scheint, daß beide Lichter Nicht ganz getroffen die Natur,
Denn nur die Rosen sah der Dichter, Der Philosoph die Dornen nur.
_ <Fl. Bl.)
Auflösung des Räthsels in Nr. 19S.
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für das erste Quartal 1884.
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