766
verinuthcn ließ; aber bei ihrer Ausdehnung auch gegen Südwest wohl einer lebhafteren Abendröthe zuzuschreibcn ist, zumal gestern frühe dieselbe Erscheinung als Morgen- röthe und gestern Abend in mehr grünlich- gelber Beleuchtung wieder als Abendröthe sich wiederholte. Nach den hiesigen Beobachtungen wird man es mit einer elektrischen Lufterscheinung zn thun haben, da zu einem Nordlicht die strahlenförmige Beleuchtung und die nördliche Richtung fehlte.
Ausland.
Madrid, 27. Novbr. Der große Zapfenstreichs«» Schloßhofe, welcher gestern von sämmtlichen Musikkorps der Garnison ansgeführt wurde, begann mit der preußischen Hymne. Mehrere tausend Fackelträger umstanden im Viereck den Schloßhof, an dessen Hinterer Seite am Waffen- mnseumin großen Buchstaben „Willkommen" leuchtete. — Der Kronprinz wird wahrscheinlich nicht nach Andalusien reisen, sondern über Genua zurückkehren. — Alle Blätter des Landes, mit Ausnahme der republikanischen, sind deutschfreundlich und die Persönlichkeit des Kronprinzen gewinut täglich Sympathien; dagegen ist die öffentliche Meinung den Alianzprojckten entschieden abgeneigt.
Toledo, 28. Nov. Der Kronprinz und der König sind gestern Mittag hier eingetroffen und enthusiastisch empfangen worden. Sie besuchten den Alcazar und die Kathedrale, wo der Kardinal sie empfing und geleitete. Später wurde die Waffenmanufaktur besucht.
MisMen.
WeineMicht.
Die Geschichte einer Waise wiedererzählt von Willi Winckler. lFortsetzung)
„Warum denn, Mama?" fragte die kleine Alice und blickte erschreckt, mit beklommenem Herzen zu der Frau hinauf, welche ihr seit neun Jahren eine Mutter- gewesen war. „Bin ich denn nicht mehr Alice Piermont?"
Frau Piermont küßte das Kind auf die Stirn.
„Sei ein gutes Mädchen, Alice", sagte sie mit unsicherer Stimme, „und thue Alles, was Dir diese Dame sagt, wir müssen jetzt scheiden, Adieu!"
Aber Alice, die bleich geworden war, wie der Tod, klammerte sich an der Hand ihrer Adoptivmutter fest.
„Mama — Mama — Du wirst mich doch nicht verlassen!?" schrie sie herzeinschneidend auf.
„Ah, bah", sagte die strcngaussehende Frau, indem sie dos Mädchen an sich riß und zwischen die Scheidenden trat, „was soll die Scene. Kleine Mädchen, die hier so schreien, werden in dunkle Keller gesperrt."
Und ehe sich Alice, halb erblindet unter ihren hervorstürzenden Thränen, von der Hand der Frau Benkow losmachen konnte, war Frau Piermont fortgegangen auf Nimmerwiedersehen und das entsetzte Kind mit der ernsten, an Leib und Seele vertrockneten Frau Benkow allein.
„Jedenfalls", sagte sich Frau Piermont, als sie mit pochendem Gewissen nach Hause eilte, „jedenfalls habe ich „meine
Pflicht" gethan. Alice hat kein Anrecht auf mich und wenn meine eigenen Kinder etwas gebrauchen, so kann ich ihr nichts anschaffen."
Zwei Wochen waren noch vorübergegangen, als Herr Piermont endlich von seiner Reise heimkehrte. Er war ein feister, dickköpfiger Mann, mit großem, rothem Schnauzbart und kleinen blauen Augen. Er war lauter Fleisch und sah gar nicht aus, als ob er ein Herz und eine Seele im Leibe habe, und doch empfingen ihn seine Kinder mit einem Jubel, daß fast die Decke herabbrach — ein Beweis, daß er von Herzen gut sein mußte, denn Kinder sind darin instinktive Kenner, sie täuschen sich nie.
„Aber!" schrie der rosige Papa Piermont, als er athemlos in seinen Armstuhl fiel, mit einem Kinde auf der Schulter, einem unter den Füßen, ein drittes im rechten Arm, ein viertes auf dem linken Knie, „aber wo ist denn Alice? Was ist denn ans meinem lieben, kleinen, gelb- köpfigen Faulpelz geworden, daß er noch nicht hier fit?"
Und nun trat eine plötzliche, lautlose Stille ein — Frau Piermont nähte mit einer Hast, als würde ihr Arm von Elektricität getrieben.
„Ich habe Alice ins Waisenhaus geschickt!" sagte sie endlich nach einer Pause ruhig. _ (Schluß folgt.)
Was die Iranzosen von Deutschtand geraubt Haben.
(Fortsetzung.)
Dank der deutschen Zerrissenheit und der beispiellosen Erbärmlichkeit der Mächte stieg Ludwigs Uebermuth von Tag zu Tage. Als man endlich Miene machte ihn zu brechen und ein großes Heer am Rhein aufstellen wollte, kam das französische Kabinet auf den Gedanken, die Kriegsführung am Rhein unmöglich zu machen und zu diesem Behufe die dort gelegenen deutschen Provinzen völlig auszuplünderu und durch Contributionen alles baaren Geldes zu berauben, ja sogar alle Städte und Dörfer in denselben zu zerstören. Die Ausführung des kannibalischen Planes wurde, nachdem man 1688 die Pfalz besetzt, im Jannar 1689 mit der Zerstörung von Heidelberg begonnen. Das Schloß sank in Trümmer, die heil. Geistkirche ward angezündet, König Ruprechts Gebeine wurden auf die Straßen geworfen. Dann kam Rohrbach und alle Orte der Bergstraße nach Weinhcim hin an die Reihe. Städte und Dörfer wurden niedergebrannt, die Bewohner nicht nur am Retten und Löschen gehindert, sondern mit erschossen und nackt der größten Kälte preisgegeben, so daß die Straßen mit Leichnamen von erfrorenen oder getödteten Bürgern und Bauern bedeckt waren. Als in der Gegend von Weinheim die Vortruppen der Sachsen sich zeigten, zog Melac, der dies Alles im Namen des Marschalls Düras leitete, nach Heidelberg zurück, gab diese Stadt trotz der abgeschlossenen Kapitulation der Plüudcrung preis und steckte sie dann gänzlich in Brand. Hierauf wurden Mannheim, Speier, Worms und Oppenheim ausgeplündert und niedergebrannnt. Mon- clas ließ die Speierer Kaisergrüfte
schänden, wie sein bewaffnetes Gesindel selbst Wöchnerinnen schändete. Auf dieselbe Weise, wie in Speier und Worms, ward in der Haardt und im Badischen verfahren, in den Ländern von Köln, Trier und Jülich. Auch in dem ganzen Landstriche von Stuttgart an bis nach Darmstadt raubten, mordeten und brannten die Franzosen.
Prinz Eugen und Friedrich der Große, die beiden zugleich im Krieg und in der Politik hervorragendsten Männer, welche im vorigen Jahrhundert an der Spitze deutscher Heere die Franzosen besiegt haben, setzten die Prätension der Rheingrenze voraus, und doch verharrte das deutsche Reich, dem stets übermüthiger werdenden, in täglich erstarkender Conccntrirung uns entgegentretenden Nachbar gegenüber, au seinen westlichen Grenzen in jener Ohnmacht und Zerrissenheit, welche, auch dann, als geistliche Kurfürsten sich ihren Berrath am Vaterlande nicht mehr mit französischem Golde bezahlen ließen, es dem Feinde möglich machten, mit eisernem Fuße dem blutenden Lande „glorreiche Spuren"*) aufzudrücken. Was nach der Niederwerfung des wildesten Terrorismus, unter der Herrschaft des Direktoriums, als das linke Rheinufer faktisch schon für Deutschland verloren war, im Jahre 1796 in Schwaben und Franken vorging, reihte sich würdig den Scheußlichkeiten an, die am Nieder-, Mittel- und Oberrhein begangen worden waren. Wie die Sambre- und Maas- Armee, unter dem militärisch unbedeutenden Jourdan sich vorher bereits mehr im Licht- einer Räuberhorde als disciplinirter Truppen gezeigt hatte, so erneuerte sie im fränkischen Kreise dieses zucht- und erbarmungslose Treiben, welches, als die Siege des Erzherzogs Karl die Republikaner zur Flucht zwangen, die Bauern in den Maingegenden zum Bernichtungskampfe gegen ihre Peiniger aufstachelte, die wie die wilde Thiere — was sie in der That waren — gehetzt und niedergemacht wurden. Und diesem Jourdan, dem Urheber von Mißhandlung, Plünderung, Kirchenraub, Sacrileg, Nothzucht und viehischer Grausamkeit entblödet die französische Geschichtschreibung sich heute nicht das Zeug- niß eines lloinmo äs bion und llowniv vortuoux auszustellen, der xassionnäinont nttaollä ü sä. propi'6 eonsicläratlon gewesen sei! Im Plündern aber stand die Rheinarmee, welche im schwäbischen Kreis hauste, wenig nach, und die systematische Aussaugung war in Württemberg und den angrenzenden macht- und kraftlosen Gebieten nicht minder arg. Nur im Vergleich mit manchen andern unter seinen College» bewahrte Moreau, der sie befehligte, einen minder gehässigen Namen. Campoformio setzte der entsetzlichen Noch der südwestlichen Reichslande keine Grenze. Man weiß, wie es 1798 um Ehrenbreitstein zuging, wie im Jahre 1800 Schwaben und Bayern heimgesucht wurden, wie das Blutsaugen zur Gewohnheit geworden war, wie die Generale den Offizieren, die Offiziere den Gemeinen Unterricht im Rauben und Stehlen gaben.
(Schluß folgt.)
*) So nannte Napoleon III. diese Schand- thaten in seiner Proklamation nach der Kriegserklärung im Juli 1870.
Redaktion, Druck und Verlag von Jak. Meeh in Neuenbürg.