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Ausland.
St. Petersburg, 13. Null. Dem Vernehmen nach sind die Redaktionen der russicheu Zeitungen von der Regierung angewiesen, sich aller grundlosen cillar- mirenden Nachrichten zu enthalten, welche die guten Beziehungen Rußlands zu den Nachbarstaaten trüben könnten. (St.Auz.)
Miszellen.
Aus dem französischen Irauen- teöen.
(Schluß.)
Der Träumer! Er hatte bis jetzt nur im Reich der Ideale, im sechsten Stock geschwebt, jetzt galt's aber hinabzusteigen in die Realität der Straße und die Zustimmung seiner Eltern zu erlangen. Er freilich dachte sich das leicht; Schönheit, Reiz, Tugend, alles sprach ja für die Braut, aber diese zarten Wesen hatten einen handfesten, breitschulterigen Gegner, der sie alle niedertrat - das Vorurlheil; Kopsschütteln, Vorwürfe und endlich Gelächter weckten den Schwärmer aus seinen Träumen. Er mochte seine Geliebte noch so sehr preisen, man hörte ihn nicht an oder entgegnete, daß er dies Alles durch die Brille der Verschönerung gesehen habe, und selbst die Aufopferung der Tochter für die Mutter entwaffnete den Widerspruch nicht. Rudolfs Erbitterung und Schmerz war aufs Höchste gestiegen und er war entschlossen, bei seiner nahen Großjährigkeit nun alle gesetzlichen Mittel sogar gegen seine Eltern zu gebrauchen, um seine Verbindung durchzusetzen. Aber der härteste Schlag harrte noch seiner. Seine Geliebte weigerte sich jetzt selbst, die Seine zu werden und ihre Mutter trat auf ihre Seite.
Sie hatten eben Beide von Rudolfs Vermögensumständen nichts gewußt und in ihm nur den armen fleißigen Maler gesehen; als sie später seine Geburt erfuhren, hatte sie das wohl gefreut, aber in dem Selbstgefühle der Rechtlichkeit hatten sie sich darum doch nicht niedriger erachtet. Jetzt freilich lag die Sache anders und sie „waren nun zu stolz", wie sie sagten, „um sich in eine Familie einzudrängen, die sie zurückstieß". Rudolf erhielt den Korb, mit der Bitte, seine Besuche einzustellen; er fühlte sich einsamer als je, denn, zerfallen mit seiner Familie, entschwand ihm auch der Trost, sich einen eigenen Herd, genährt von dem Feuer der Liebe, zu gründen. Das größte Erstaunen rief indeß jene Weigerung Margarethens bei den reichen Eltern hervor; sie hatten in der Nähterin, die sie nicht gesehen, nur eine Jntriguautin zu erkennen geglaubt und standen jetzt, wenn nicht beschämt, doch verwirrt vor solcher Größe und Reinheit der Seele bei einem Mädchen aus dem Volke. Der Vater wußte nicht, was er sagen sollte. Endlich nahm er Hut und Stock und ging über die Seine hinüber in das Studenten- und Volksviertel, hinauf zu Rudolf's Nachbarin.
Er tritt ein; eine hübsche Frau mit erblindeten Augen empfängt ihn; aber, ob auch geschlossen, er erkennt diese Augen, denn er hatte sie einst gesehen, da sie noch
von Mitleid und Aufopferung leuchteten, unter ihnen brennt noch das rothe Mal, woran er jene Arbeiterin erkennt, die vor neunzehn Jahren mit ihm im Omnibus fuhr. Er steht bestürzt und verlegen, man bietet ihm einen Stuhl an, er steht noch immer und hustet: „Sie werden entschuldigen — Madame — verzeihen Sie —", endlich faßt er Muth und spricht: „Ich komme, Madame, ein altes Versprechen zu erfüllen; sind Sie nicht die junge Person, die damals (und hier führt er die Ncben- umstände an) sich eines armen Findlings annahm? Ich gab Ihnen meine Karte, Sie haben nie davon Gebrauch gemacht und ich komme jetzt, wenn auch spät, mich persönlich nach dem armen Kinde zu erkundigen; was ist aus ihm geworden?" Die blinde Frau zeigt auf Margarethe, die am Fenster näht, und sagt: „Da ist meine Tochter".
„Wie?" sagte der Vater, „Mademoiselle Marguerite ist nichtJhre wirkliche Tochter?" „Marguerite", antwortet die Blinde, „ist mein Pflegekind, das ich mit meiner Hände Arbeit aufgezogen habe und das mich jetzt mit seiner Arbeit erhält, mit seiner Liebe belohnt. Und Sie, mein Herr, darf ich wissen, mit wem ich die Ehre habe zu sprechen?"
„Ich", sagte der Vater und trocknete sich den Schweiß von der Stirne vor Verlegenheit, „ich bin der Vater Rudolf's und bin gekommen, Sie für meinen Sohn nm die Hand Ihrer Tochter zu bitten."
Man gewährte dem Vater, was man dem Sohn allein verweigert hatte; in der folgenden Osterwoche fand die Vermählung statt.
Aolgenschweres Mihverständniß.
(Schluß.)
Trübsinnig schlich er Mittags nach Hause, alle Fragen, die er stellte, wurden kurz in gereiztem Tone beantwortet, und nur als er sorglich meinte: „Liebe Emma, Du scheinst krank zu sein?" erwiderte sie: Ja ich leide, mag aber nicht sagen woran." Der junge lebensfrohe Mann fühlte sich tief gekränkt, ohne die Ursache zu kennen, es litt ihn nicht im Zimmer und so eilte er gegen seine Gewohnheit nach der Mahlzeit hinweg, bestieg das Velvciped und stürmte hinaus in's Weite, um mit Sturm den Sturm zu bezwingeu.
Die Frau aber glaubte in seiner Eile nur die Sehnsucht nach der verhaßten „Elisabeth" zu erkennen und weinte heiße Thränen. So saß sie lange in bitteres Nachsinnen versunken, als die Köchin rasch die Thüre öffnete und hereinrief: „Madam, do fährt d'r Herr eba mit seiner Elisabeth d' Stroßa 'runter, jetzt könnet S' es selber seha."
Zum Tod erschrocken fuhr die Frau empor, wollte jedoch nicht an's Fenster treten, um dem Blick der Verhaßten nicht zu begegnen, sondern sah auf den Fußspitzen stehend von der Mitte des Zimmers aus auf die Straße, erblickte eben noch ihren Gatten, wie er um die Ecke flog auf dem Velociped.
„Aber, mein Gott, Marie, du sagtest mir doch von einer Elisabeth, mit der mein Mann fahre, wo ist denn die?" sagte die Frau in großer Erregung.
„Ja, so hoißt ma des Ding, wo d'r Herr älle Mittag mit fährt," erklärte die Köchin.
„O, Marie welches Weh hast Du mir bereitet und welches Unrecht habe ich ge- than durch Deine unrichtige Benennung „Elisabeth" statt „Velociped" — jammerte die nun plötzlich klar sehende Frau.
Die Köchin begriff den Vorwurf und die Erregtheit der Madam nicht, sondern glaubte beinahe, Madam sei nicht recht bei Trost, trollte sich d'rum brummend in ihre Küche.
Die Hoffnung und Sehnsucht der Frau, daß ihr Gatte nach seiner Spazierfahrt nach Hause kommen werde, erfüllte sich nicht, er begab sich sofort in die Kanzlei und erst spät Abends stieg er wie ein zu Tode Ermüdeter die Treppe herauf. Die reuige Frau wartete aber sein Eintreten nicht ab, sondern eilte ihm mit offenen Armen und freudigster Begrüßung entgegen, — und da war es der Gatte, welcher nun stumm und finster drein sah — und in diesem abermals entgegengesetzten unbegreiflichen Benehmen seiner Frau an ihrem Verstand zweifelte.
„Ach die Köchin! die Köchin! ist an allem Schuld", rief die junge Frau und erklärte nun, wie das verhäugnißvvlle „Velociped" in „Elisabeth" übersetzt, sie an seiner Treue zweifeln ließ, und sie so unglücklich machte.
Das Weitere läßt sich denken, das Räthsel löste sich in vollständige Versöhnung. Nur ist noch zu bemerken, daß das Velociped von da an seinen Reiz einbüßte und selten mehr benützt wurde.
Statistik. (Schüler bei der Prüfung): „Unser Vaterland im engeren Sinne zählt 6,804,367 Hühner..." — Lehrer (unterbrechend): 6,804,369 nicht 67!" —Schüler: „Ich bitte, zwei haben wir heute zu Mittag gegessen." _
W ä t H s e c.
Mit B wie zeig' ich dir so treu Dein holdes Lieb so schön;
Und weilt es auch in weiter Fern', Du kannst es dennoch seh'n.
Mit W eil' vor des Jägers Rohr Ich fort auf flücht'gcm Fuß.
Wie ist's so traurig doch, daß ich Mein Leben lassen muß.
Korrespondenz.
Die Antwort auf einen vorgeblichen Brief aus G. zeigt, daß fragliche Notiz an die richtige Adresse gelangt und der alte Satz praktisch geworden ist: „wen ich treff', den mein ich" — Daß die in der Reklamen-Epidemie eines „großen" Blattes geistreich bewitzelten „kleinen" Blättchen trotzdem sich guter Gesundheit erfreuen, mag ja den Neid eines krankhaften Heißhungers erregen; wenn aber solch ein (granäo) Blatt „gänzlich unbekannten Blättchen" so oft begegnet, klingt es etwas sonderbar, und wenn es sich nicht entblödet, von ihren Anzeigen unverfroren nachzudrucken, so weicht dies doch von unseren gewöhnlichen Begriffen noblen Anstandes ziemlich weit ab.
Zur Empfangnahme und Uebermittlnng von Beiträgen für die
dkdrrstigm Ab-clirmiitk» in Griisktihmskil
ist in herkömmlicher Weise gerne bereit
die Redaktion des Knzthälers.
Redaktion, Druck und Verlag v»n Jak. Meeh in Neuenbürg.