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Noch nicht ganz am Ziel, gewahrte er, daß die andere Gestalt schon wieder vorwärts gekommen war.
„Sind Sie es?" fragte Amslcr vorsichtig.
„Pst", machte darauf der Späher, indem er die Thür weit öffnete.
„Wer sind Sie?" fragte der Lieutenant stehen bleibend.
Der Andere nickte nur, antwortete aber nicht.
„Wollen Sie mir Ihren Namen nicht nennen?"
„Ich heiße Joseph!" erwicderte der Gefragte mit verstellter Sprache.
„Nun, Joseph, so sagen Sie Ihrer Herrin, die Geschichte erscheine mir für heute zu verdächtig, ich würde ein ander Mal kommen."
Mit diesen Worten that der Offizier, als wolle er umkehren und sich entfernen.
Hierauf schien Joseph gefaßt zu sein, schnell trat er vor den Lieutenant hin und sprach: „Unmöglich darf ich Sie fortlassen, die gnädige Gräfin würde verzweifeln,"
„Zurück! rief Amsler im Tone der Drohung.
In diesem Augenblicke schien der Pater, denn dieser war es wirklich, der die Rolle Matuschkas übernommen hatte, zeigen zu wollen, daß er der Stärkere sei; er griff nach dem Offizier und wollte ihn fest- halten, ein Pfiff glitt gleichzeitig über seine Lippen.
Das Alles hatte der Offizier wahrscheinlich erwartet, mit unnachahmlicher Geschwindigkeit erhob er die linke Hand und fuhr damit in der Luft herum; der Pater taumelte und wäre sicher zu Boden gestürzt, wenn ihn Amsler nicht aufrecht gehalten hätte.
„Nicht so schnell, wir sind noch nicht fertig!" nahm der Letztere nun in leisem Tone das Wort. „Wollen Sie mir gutwillig folgen?"
„Ich kann nicht, ich ersticke!" röchelte dieser.
„Nicht doch, wenn Sie sich fügen, lasse ich nach!"
„O, es schmerzt gräßlich."
„So, nun empfinden Sie weniger. Ist Ihnen gefällig, mich zu begleiten?"
Der geneigte Leser wird schon begriffen haben, daß der Offizier dem Pater eine jener feinen Schlingen mit großer Gewandtheit um den Hals geworfen hatte, die schnell das Lebenslicht dessen auszublasen vermögen, für den sie bestimmt sind.
° „Wohin?" fragte der Pater.
„Das werden Sie sehen. Nur schnell oder ich ziehe an."
Dabei machte der junge Mann eine verdächtige Bewegung die dem Pater nichts Gutes verkündigte.
„Aber wohin führen Sie mich?"
„Nun, ich will aufrichtig sein, nach dem Flusse; das Wasser soll den Schmutz Ihrer Sünden abwaschen."
Der Pater sträubte sich aufs Neue und die Schlinge wurde dadurch wieder fester gezogen.
„Vorwärts!" commandirte Amsler, „und keinen Laut weiter, oder es ist Ihr letzter!"
Sie waren eine Strecke von der gräflichen Wohnung entfernt und hatten einen freien Platz erreicht, der Pater schien nicht weiter zu können. Offenbar hielt er sein letztes Slündlcin nahe, denn in Amslers Wesen lag eine wunderbare Entschlossenheit ausgeprägt. Seine Knie schlotterten, kalter Angstschweiß bedeckte seine Stirn, die Füße versagten ihm den Dienst.
Der Offizier ließ die Schlinge wieder nach und gebot: „Sprechen Sie, was hatten Sie und der Graf über mich bestimmt?"
„Nichts Böses!"
„Nun Hallunke", sprach Amsler, „ich will mich nicht länger mit einem solchen Wicht hcrumärgern, hier hast Du Deinen Lohn!"
Mit diesen Worten ertheilte er dem Gepeinigten einen Hieb mit der Reitpeitsche, welche wie die russischen Knuten vor einer Excecution erweicht und dann an der Sonne getrocknet war, über das Gesicht, daß dieser zu Boden stürzte.
„So, und nun geh!" rief der Offizier. „Schweigen brauche ich Dir nicht anzuempfehlen, es steht in Deinem Belieben, Deine Schande zu veröffentlichen. Aber kommst Du mir je wieder in den Weg, so ist es Dein Tod, und Deinem Auftraggeber erzähle nur, wie ich meine Feinde behandle."
Voll Stolz kehrte der junge Mann dem alten Sünder den Rücken und schritt seiner Wohnung zu, als habe nicht das Mindeste seinen Frieden gestört.
Pater Lucius hatte einen fürchterlichen Schrei ausgestoßen, als er den Schlag mit der Peitsche über das Gesicht empfangen; er biß mit den Zähnen in den eigenen Arm vor Wuth und Schmerz, o, und hätte cs in seiner Macht gelegen, dieser Schimpf wäre mit tausend unbeschreiblichen Martern von ihm gerächt worden. Er blieb liegen als der Lieutenant längst verschwunden war und in seiner Seele tauchten gräßliche Rachegedanken auf, ja, er wollte den Mann, der ihn vielleicht für immer gezeichnet hatte, zu den elendesten der Menschen erniedrigen. Aber wie?
Endlich erhob er sich und eilte nach der Behausung deS Rvslawski, die wüthend- sten Rachegedanken in der Brust.
(Fortsetzung folgt.)
Der Weisheilshändkr.
(Mährchen. — Nach dem Englischen von A. R.)
Wenn man sich im Orient einem Barbier in die Hände begibt, so Pflegt er seine etwas umständliche Operation gewöhnlich durch eine Erzählung zu verkürzen, und einer solchen Gelegenheit verdanke ich denn auch die nachstehende Geschichte des „WeisheitsHändlers."
Bei dem Thore Bab el Fontanah in Kairo lebte einmal ein Sattler, Namens Radawan, der ein junges Weib und einen kleinen Jungen hatte. Radawan war von etwas ängstlicher Gemüthsart, besaß aber die Liebe und Achtung der ganzen Nachbarschaft. Seine größte Freude, wenn er pünktlich mit Sonnenuntergang aus seinem Laden im Bazar heimkehrte, bestand darin, sein Hauswesen hübsch in Ordnung zu finden: den glatten Neger
knaben schon an der Thüre, um sogleich zu öffnen; die dicke schwarze Köchin gerade dabei, die letzte Hand an ihre Schüsseln zu legen; sein rundes, niedliches Weibchen ihm auf halber Treppe entgegenkommend und seinen dickbäckigen kleinen Ali lustig in seiner Wiege jubelnd und an seinem Fäustchen kauend. Dann fühlte sich Radawan gehoben und befriedigt; er fühlte, daß er in Wahrheit ein kleiner König sei, der sein Reich und Volk besser im Zaum zu halten verstehe, als so mancher gewaltige Potentat, und daß man mit einer Liebe an ihm hinaufblicke, die nicht ohne heilsame Beimischung von Furcht war. Denn wie so viele Hasenfüße schmeichelte sich auch Radawan zuweilen gerne mit dem Gedanken, daß er ein gar strenger, gefürchteter Hausthrann sei.
Als er nun eines Abends in einer seiner stolzesten, übermüthigsten Launen nach Hause kam, gab er sich alle Mühe, soweit cs sein gutmüthiges Gesicht zuließ, den furchtbaren Blick des Polizeiaga nach- zuahmeu, den er nicht ohne Herzklopfen wahrgenommen hatte, als dieser heute durch die Bazars ritt und eine große Belohnung für die Entdeckung einiger Räuber ausrufen ließ, die kürzlich ihr Gewerbe etwas gar zu unverschämt getrieben hatten. Der glatte Negerknabe, der kein Physiognomiker war, empfing seinen Herrn mit dem gewöhnlichen zutraulichen Gruße; die dicke Köchin rief ihm aus der Küche zu, daß die Kababs köstlich gerathen seien; aber seine Strenge erweichte sich nicht, und mit langsamen, feierlichen Schritten stieg er die Treppe hinauf. Wie immer begegnete ihm sein Weibchen im Halbdunkel, und sein finsterer Ernst wurde halb über den Haufen geworfen durch eine herzliche Umarmung. Jedoch nur ganz flüchtig streifte er mit geschloffenen Lippen die dargebotene Wange, trat in das Zimmer, gab sich den Anschein nicht nach der Wiege seines kleinen Ali zu sehen, und setzte sich mit steifer Würde in seine gewöhnliche Ecke aus den Divan.
Ayescha kümmerte sich keinen Pfifferling um diese stolzen Mienen, sondern beschäftigte sich mit den Vorbereitungen zum Abendessen, ohne ihren gestrenge» Herrn auch nur zu fragen, was ihm fehle. Radawan wurde es unbehaglich; er rückte hin und her, rief nach seiner Pfeife in einem Tone, der für recht herrisch gelten sollte, und stierte höchst finster auf die geballten Händchen, die dicht neben ihm in der Luft herumfochten. Er hatte sich nun einmal vorgenommen, heute Abend den Tyrannen zu spielen, und während er sich Mühe gab, recht furchtbar auszusehen, verdrehte er sein demüthiges Gesicht auf so komische Weise, daß die vorbeitrippelnde Ayescha sich nicht enthalten konnte, laut zu lachen.
(Fortsetzung folgt.)
Logogryph.
Mit e fieht's Dein Auge stets rastlos cnt- flieh'n,
Oft ist es, als müßtest Du mit ihm schnell zieh'n;
Mit i ist's oft stärker als Eisen und Stahl
Mit o dient's zur Kleidung, im Winter zumal.
Redaktion, Druck und Verlag von Jak. Me eh in Neuenbürg.