Neuenbürg, 1». Mai. Gestern Abend begann der Borstand des Gewerbe» er ei ns Hr. Rcallebrer Rivi- n i n s seinen Bortrag über den „W e ch s e l und dessen Bedeutung im Bcrkchrsleben" um, wie er vorausschickte, „in populärer Erörterung die Wichtigkeit der Materie gelegentlich inS Gedächtnis; zu rnsen, weil der Credit ja die Seele des Handels ist." Bei der Fülle des Stoffes ist es uns nicht möglich, dem Bortrag ins Einzelne zu folgen, wir müssen uns auf die kurze Andeutung der einzelnen Phasen und Arten der Materie beschränken, die der Redner unter Zngrundlegung der Wechselordnung und eingestreuten historischen Notizen im Lauf seines Bvrtrags erörterte. Er betont, wie vor allem der Großhändler den Credit erheblich beanspruche, anderseits aber auch in ausgedehnter Weise gewähren zu müssen in die Lage komme, daß aber deshalb nicht minder der „Wechsel" ein auf Credit gestütztes Zahlungsmittel auch im kleineren Berkehr geworden sei, weshalb es nöthig gewesen, denselben unter den Schutz der Gesetze zu stellen und zu regeln. Es sei der „Wechsel" indessen kein Produkt der Neuzeit allein, man finde ihn z. B. schon im 12. Jahrhundert in Florenz: er sei bei der früheren Verwirrung im Münzwcsen eine sehr nützliche Abhilfe gewesen. —- Es folgt nun eine Darstellung wie der „Wechsel" ein Zahlungsmittel von einer Hand in die andere geworden und ein Zahlungsversprechen in sich schließt, worauf die einzelnen Formen wie Tratten, Sola, Prima, Sekunda, dann die Beziehungen zwischen Aussteller «Trassant), Nehmer, Zieher und Bezogener, Rcmittcnd n. s. w. des Näheren bezeichnet wurden. Anscinander- gesetzt wurden weiter die Wcchselfähigkeit und die Wechscleigcnschaft bezüglich der Zeitwirkung nach Tag, Termin oder Sicht, auch des Messe- oder Marktwechseks und der Unterschrift. Redner veranschaulicht dann die Wirkung und den Gang der Tratten und wie durch sie die Leistung von Zahlungen als Ersatzmittel baarcn Geldes von einer Hand in die andere — als Waarc die einen Cnrs hat — vermittelt wird; weiter folgt die Erörterung der verschiedenen Förmlichkeiten der Benachrichtigung an den Bezogenen, wobei nicht zu übersehen sei der Betrag, Bcr- sallzeit, Angabe über Werth in Baar oder in Rechnung: von besonderem Interesse war der Passus über „Uebertragung" wozu Indossement, Giro, Rcmisse, Indossant, Indossat (Inhaber!, Prokura, Aeeeptant (Annehmer) in verständlicher Weise zur Erörterung gebracht wird. Schließlich legte Redner verschiedene Arten von Wechsel- sormularen zur praktischen Beranschan- lichung in fingirter Ausfertigung vor. — Hr. RivininS bricht nun hier im Bortrag ab, ankündigcnd, daß er mit nächstem denselben schließen werde mit der Erörterung über Präsentation, Protest, Haftbarkeit (Regreß) Berfallzeit, Duplikate, Verjährung, Falsifikate rc. w. — Uner- achtet des an und für sich trockenen Themas gelang cs dein Redner doch, dasselbe praktisch anschaulich und darum interessant zu machen, weshalb Hr. Präecptcr Wörz in einigen anerkennenden Worten dem Dank
der Anwesenden Ausdruck gab. — Bedauerlich ist aber, daß gerade solche Gewerbetreibende, die zwar das Wort „Wechsel" oft hören, aber seine praktische Bedeutung weniger vollständig auffassen, nur in kleiner Zahl*) vertreten waren, wir hoffen, diese Andeutung genüge, für das nächstemal ihr Interesse anzuregen.
*) Ein chronischer Uebelstanb unseres hieß Vercinsivesens.
Neuenbürg, 19. Mai. Der gestrige Festtag lockte, wie seit langher üblich und ermnthigt durch die wieder eingetretene, mildere Witterung die städtische und stn- bengcbannte Bevölkerung hinaus in Wald und Flur, auf die bewaldeten Höhen und in die grünen Thüler. Es war deßhalb von Lenzesfreude und Erholung Suchenden allerorten belebt und in Folge dies besonders auch hier, wo sich größere Gesellschaften, wie einzelne Particen, meist von Pforzheim her zu Bahn und zu Fuße sehr zahlreich Stelldichein gegeben hatten, allwo cs ihnen wieder gut gefallen zu haben scheint. Der Zug 146 um 8. 40 eignet sich bestens zur Rückkehr für solche Familicn-Landpartiecn.
Neuenbürg, 19. Mai. Der starke Reif, welchen in einigen höher gelegenen Orten des Bezirks die Nacht vom 16. auf 17. brachte, hat zwar einige Spuren hin- tcrlassen, indes; ist der Schaden nicht von größerem Belang.
Ausland.
Nach einem Londoner Telegramm der B. Z. sollen sich die Mörder von Lord Cavendisch und Bvurke auf dcmEnnnard- dampfer Septhion befinden, welcher Liverpool am 6. d. verließ und am 17. d. in New-Uork fällig ist. Amerikanische Polizei ist dem Dampfer entgegengefahrcn, nm die Verhaftung zu bewirken.
Andere Nachrichten sagen:
In Liverpool sind wegen Verdachtes an dcr Theilnahme des Mordes in Dublin zehn Personen an Bord des Dampfers „Eghpt", die im Begriff waren, nach New-Aork abzureiscn, verhaftet worden. Zwei derselben scheinen Amerikaner, zwei Irländer, die übrigen Seeleute zu sein.
Miszellen.
Lin Hlückskind.
(Fortsetzung.)
Wir strichen, jeder einen Ranzen aus dem Rücken, durch den Thüringer Wald und die Fränkische Schweiz. Wie es eben kam, übernachteten wir bei solchen Gelegenheiten im Hotel oder auf dem Heuboden, speisten an tadlo ck'lloto oder nahmen mit Käse und Brot fürlieb — die Knaben sollten damit gewöhnt werden, sich etwas zu versagen. Oft gingen wir ohne Weg und Steg mitten durch den Wald, bisweilen machten wir auch Nacht- märschc, um knabenhafte Furcht gründlich auszurottcn. Die Reise durch schöne Gegenden, die Freiheit, die Strapazen hatten mir wohlgethan und den Kopf aufgehellt. Jetzt näherte sich unsere Reise ihrem Ende, singend — denn unterwegs wurden beständig Lieder eingeübt — wunderten wir eines Abends der Heimath zu; die Abendsonne vergoldete nur noch die
höchsten Bergspitzen, der Wald lag in Dämmerung gehüllt. Die beiden Knaben stimmten ihr Lieblingslied an: „Wohlauf noch getrunken den funkelnden Wein re.", ich aber dachte an die Heimkehr und fühlte mich sehr ernst gestimmt; es kam die Stunde, wo ich einen Entschluß, einen schweren Entschluß fassen mußte, und das Lied selbst rief wchmüthige Gedanken in mir hervor. Ich vergas; bei der letzten Strophe das Mitsingen. Als die Knaben ihr Juvivallera ausgejubelt hatten, frng mich Rudolf, indem er meine Hand ergriff — Müdigkeit mochte ihn wohl etwas empfindsamer stimmen —:
„Warum hast Du nicht mehr mitgesungen?" — das Du hatte ich gleich im Anfänge eingeführt —.
„Weiß selbst nicht recht", antwortete ich.
„Du bist überhaupt nicht mehr so lustig wie sonst", fuhr mein kleiner Inquirent fort, „gefällt Dir's denn bei uns nicht mehr wie sonst?"
„Nein, inein Junge", cntgegnete ich, „es gefällt mir noch ebenso".
„Aber warum bist Du jetzt immer so still? Die ganze Reise war nicht so schön als die, die wir voriges Jahr machten ; denn Du warst nicht so lustig."
Der liebenswürdige, feinfühlende Knabe hatte mehr gemerkt als ich selbst. Ich war überrascht und wußte nicht recht zu antworten. Was ich ihm zur Antwort gab, weiß ich nicht; jedenfalls befriedigte ihn meine Auskunft nicht. Nach einer Weile begann er wieder:
„Es geht auch zu Hause nicht mehr so lustig zn wie sonst; Gertrud ist gerade so still wie Du."
Ich dachte: Wie lange wirst Du kleiner Verräther noch plaudern? Aber er fuhr fort:
„Weißt Du auch, daß sie sich immer ängstigt, wenn wir eine solche Reise machen? Sie behauptet, es geschehe uns noch ein Unglück, wenn wir so bei Nacht und ohne Weg durch den Wald zögen. Als wir Pfingsten weg waren, hat sie keine Nacht geschlafen. Die Mädchen sind doch gar zu furchtsam! Was soll uns zustvßcn, wenn Du bei uns bist?"
Hier bot sich denn eine passende Gelegenheit, im Hostncistertone über das Thörichte aller Furcht zu belehren; allein während ich so sprach, dachte ich: Weshalb ist Gertrud so still? um wen ist ihr so bang?
Meine gelehrte Auseinandersetzung schloß ich mit den Worten: „Aber Du mußt Dich auch nicht fürchten, wenn ich nicht mehr bei Euch sein werde." Ich sagte dies ohne tiefere Absicht, allein ich hätte cs gewiß nicht gesagt, wäre mir nicht der Gedanke durch den Sinn gefahren : Kannst Du unter solchen Umständen auch nur noch eine Woche iin Schlosse Lindenberg bleiben? Und der Knabe fühlte richtig heraus, daß meine Bemerkung einen solchen Ursprung haben möge.
„Willst Du fort von uns?" sprach er lebhaft und sah mir mit starren Augen in's Gesicht, „ach nein, nein!"
(Fortsetzung folgt.)
Goldkurs der StaatSkaffcnverwaltung
vom 16. Mai 1882. 20-Frankcnstücke . . . 16 18
Redaktion, Druck und Verlag von Ja k. Meeh in Neuenbürg.