Keilage zu Ur. 146
9. Dezember 1899.
3^ E re, Nachdruck »«re«t«n.
Der Advokatenbauer.
Kriminalroman von Dietrich Th eben.
(Fortsetzung.)
Er war vielseitig, Detlev Oldekop, und das Publikum verstand seine eigenen Interessen schlecht, daß eS von seinen Kenntnissen und Fertigkeiten so unzureichend Gebauch machte. Das Schild mochte noch so verlockend sein und noch so sehr in die Augen fallen, die Klientel war und blieb klein.
„Die Rechtsanwälte,* pflegte Oldekop zu räsonnieren, „sind an allem schuld. In jedem dritten Haus hockt so einer und lauert und schnappt die Kunden weg, und nichts ist so klein und nicht so unsauber, diese Herren befassen sich mit allem. Früher, ja, da war das anders, da blieb auch für die nichtstudierten Rechtsvertreter etwas übrig, die an Erfahrung jenen Herren ebenbürtig, ja so oft überlegen waren. Jetzt dagegen — traurige Zeiten und Menschen I*
Frau Oldekop, eine untersetzte Person mit gewöhnlichen Gesichtszügen, stand auf dem Flur, als ihr Gemahl die Wohnung betrat, und wies mit dem Daumen nach dem als Bureau dienenden Zimmer.
„Wer?" fragte er.
Sie zuckte die Achseln.
„Na, und Frau Wichbern?" tuschte sie fragend.
„Der alte Geizkragen will nicht!" zischte er.
„Ach du liebe Zeit I Was denn nun?" kam es mit einem Stöhnen über ihre Lippen.
„Winsele du auch noch!" preßte er gedämpft hervor, hing den Ueberzieher an einen Nagel, steckte den Daumen der Linken in die Westentasche und öffnete mit der Rechten die Thür zum Bureau.
„Diener — l" grüßte er oberflächlich verbindlich und zog die Thür hinter sich zu.
Er war mit einem Schlage verändert: nicht mehr der bedrückt Bittende und verzweifelt Enttäuschte, sondern der ruhige, sichere, in seinem Fahrwasser befindliche Geschäftsmann.
Der Wartende, ein Mann in abgetragener Kleidung und mit sorgenvoller Miene, war mit verlegener Höflichkeit aufgestanden.
„Bitte!" sagte Oldekop, ließ sich in seinen Schreibsessel nieder und zeigte auf den eben verlassenen Stuhl des ManneS.
Er ging sogleich zum Geschäftlichen über.
„Sie haben mir den Auftrag erteilt, von —er nahm ein Buch, blätterte und nannte einen Namen, „den Betrag von Einhundertneunundzwanzig Mark einzuziehen. Ich darf mich rühmen, in Inkassogeschäften Erfolge erzielt zu haben, wie sie nicht so leicht rin Anderer zu verzeichnen hat. Kenntnis der Rechtswege —lobt« er sich, „verständliche und energische Briefe, die nötige schneidige Vertretung vor Gericht — und was der Ursachen mehr sind. Aber wie gesagt, ich kann zufrieden sein. Nur Ihr Karnickel — den famosen Herrn muß ich mir noch ander- kaufen! Nicht« zu erlangen, nichts von Bedeutung. Hat gezahlt bisher —er blätterte wieder, „vierundzwanzig Mark; eins schauerliche Bagatelle. Aber warten Sie, Herr, den sauberen Patron kriegen wir — kriegen wir
— so klein noch — warten Sie nur ab . . ."
„Kann ich die vierundzwanzig Mark — oder — wenn Sie die zehn Prozent Provision nicht gleich abziehm wollen, daS — andere bekommen?" stotterte der Mann.
„Zehn Prozent?" fragte Oldekop groß. „Sie sind im Irrtum, Herr — Herr —. Ich kenne die Bedingungen, die Sie unterzeichnet haben, auswendig
— kein Wunder, kommt ja an hundertmal die Woche vor —: ,Für das In
kasso werden nach Abzug der Kosten zehn Prozent Provision gezahlt', heißt eS. Verstehen Sie? Nach Abzug der Kosten, sage ich. Und kann ja auch nicht anders sein. Bekommt man denn immer die Forderungen ein? Mahlzeit, nicht einen roten Pfennig mitunter!" widersprach er seiner eigenen anfänglichen Reno- mage. „Soll ich dann der Provision auch noch die Kosten nachwerfen? Geht nicht; erst die Kosten-Prinzip, mein Lieber, unumstößliches, weil notge
drungenes Prinzip -."
„Ich bin in größter Verlegenheit, Herr Rechtsanwalt," flocht der Klient bedrückt ein.
„Jawohl, Rechtsanwalt! Seien Sie froh, daß ich keiner bin. Die Kostenrechnung möchte ich sehen! Wissen S e, daß Sie keinen Pfennig bekommen würden, von der ganzen Summe nicht? Dagegen meine Spesen, ich will Sie Ihnen vorrechnen —"er blättert« nochmal« —: „ein, zwei, drei — hm — hm — neun — zwölf Briefe — denken Sie! — Davon drei eingeschrieben. Gebühren Mark drei sechzig; Portoauslagen neunmal zehn, dreimal dreißig, in Summa Mark ein» achtzig. Eine Reise.-Dritter Klaffe — ich weiß ja.
daß es Ihnen nicht zum besten geht; also dritter Güte, Ihnen zuliebe, sonst gerade kein Vergnügen. Fahrgeld : Eisenbahn und Landwagen — fünfzehn Mark, Zehrgeld — notdürftig leben muß man doch — vier Mark und achtzig. Ein Zahlungsbefehl Mark Null sechzig — Summa Eummarum: Mark fünfundzwanzig zwanzig: — vierundzwanzig gezahlt, also gut zu meinen Gunsten Mark ein» zwanzig, zehn Prozent Provision zwei vierzig, zusammen drei sechzig. Na, ich bin kein Unmensch. Mein Guthaben zu zahlen,-würde Ihnen ungelegen kommen — lassen wir'» stehn. Ich dränge nicht, niemanden, und Sie am wenigsten." Er schaute auf einen Regulator über seinem Schreibtisch. „Vier durch. Die Zeit! mein Lieber in gar keinem Verhältnis zur Arbeitslast! Jede Minute erwarte ich «inen Klienten — Hausbesitzer, reicher Mann, aber ganz verzwickter Fall." Er stand auf. „DaS nächstemal, Herr —. Ich werde Vorgehen, rücksichtslos. Ihre Interessen sind aufs beste vertreten. — Adieu! und auf Wiedersehen. Warten Sie, bis ich schreibe."
Der Mann empfahl sich, und aus dem stillgrimmigen Blicke, mit dem er seinen Rechtsvertreter musterte, sprachen deutlich Unbehagen und erwachtes Mißtrauen.
„Ein Spiel va daugus," knurrte Oldekop unruhig in sich hinein. „Diese Reisen können einem nochmal den Hals brechen."
Er griff nach zwei Briefen, auf denen er gleich beim Eintritt die Handschriften der um Darlehen angegangenen Freunde erkannt hatte.
„Lieber Detlev, ich würde —," er wußte nach dem einen Worte schon, waL kommen mußte und bließ den Atem stoßweise von sich, „— gern Deinem Ersuchen Folge geben. Aber Du weißt selbst, daß ich über meine Kapitalien
nicht verfügen kann, daß sie im Geschäfte-." Er rieß den Brief in Fetzen,
knäuelte sie zusammen und schleuderte den Ballen in den Papierkorb.
Der zweite!
„Lieber Oldekop! Ich glaube meiner Sympathie für Sie durch das auf Wechsel gegebene Darlehen genügend Ausdruck gegeben zu haben, und mache Sie darauf aufmerksam, daß der Wechsel am letzten nächsten Monat» fällig ist. Mit Gruß . . i"
„Ah I" zischte der Lesende, „ablehnend und agressiv I Gut, mein Junge, wir treffen unS ja vielleicht mal wieder . . ."
Er horcht« nach der Flurklingel.
Feste Schritte draußen. Er klopft«.
„Herein!"
Die Eintretenden — ein Gerichtsvollzieher, «ine junge Dame von sympathischer Erscheinung, ein Schutzmann und zwei herkulische PacktrSger ließen ihn auffahren.
„Was soll'«!" schrie er.
Der Gerichtsvollzieher zog ei» Papier au» seiner Mappe und ent- gegnete:
„Der Inhaber der Wohnung, Leo Oldekop, wird bei Strafe von fünfzig Mark durch Gerichtsbefehl angewiesen, die zurückbehaltenen Sachen dieser Dame unverzüglich aukzuliefern.
Der Winkeladvokat wandte sich schimpfend an daS hochgradig erregte Mädchen, hatte aber die Rechnung ohne den Polizeibeamten gemacht, der sich bissig jede Beleidigung der Dame, zu deren nachdrücklichem Schutz er mitgegeben sei, verbat.
„Mein Sohn ist nicht zu Hause I" fauchte Oldekop.
„So müssen wir das HauS durchsuchen. Fräulein, bitte, zeigen Eie un» Ihr Eigentum — und Sie —" zu den PacktrSger» — „schaffen Sie es sofort hinaus."
Frau Oldekop stand auf dem Flur, stemmte die Arm« in die Seite und lachte höhnisch. Aber der Vollziehungsbeamt« that seine Pflicht, die junge Dam« bezeichnet« die ihr gehörigen Gegenstände, und di« Träger schafften sie belustigt hinaus.
Zweimal hatte Oldekop mit seiner Rechtsgelehrtheit den VollstrrckungSbe- amten abgewiesen, den Anwalt der Dame und das Gericht genarrt, so einfach der Fall lag.
Die Dame hatte bei ihm ein möblierte» Zimmer gemietet gehabt, das .Bureau', in dem das Bett von einer spanischen Wand verdeckt wurde. Die Sireitbaikeit des Oldekop'schen Ehepaares behagte der Mieterin nicht und nach Monatsfrist machte sie von der vereinbarten Kündigung den regelrechten Gebrauch. Oldekop verlangte eine Mietsentschädigung für zwei Monate über die Kündigung hinaus und berief sich darauf, daß die Dame dauernde Miete zugesagt habe. Eine Spiegelfechterei, wie er sich selbst sagen mußte; eine erpresserische Nichtswürdigkeit, wie der Anwalt, dem die resolute Dame ihre Vertretung übertrug, sich deutlich auSdrückte. Oldekop behielt beim Auszug« der Dame deren Eigentum als Sicherheit zurück, und die Mieterin mußte erst die streitige Summ« de- ponieren und einen Gerichtsbeschluß .wider den Rechtskonsulenten Oldekop' auf Herausgabe der Sachen erwirken. (Fortsetzung folgt.)