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gehabt, sich seiner zu entledigen. Franz begriff nichts von den Vorgängen — er begann auf Daniels Geheiß zu rudern. Der Kahn langte nach einiger Zeit an, und die drei Personen stiegen in den schmalen Hof Rolands Der Knabe, eine zarte schmächtige Gestalt, zitterte wie im Fieber Man gab ihm die Laterne.
Daniel lauschte; als er sich überzeugt, daß Alles still war, ging er rasch an dem finstern Magazine hi»; plötzlich blieb er stehen.
— Leuchte!
Die Laterne beschien eine mit Eisen beschlagene Thür. Franz erinnerte sich, daß man durch diese Thür zu einem Keller gelangte, der deshalb nicht benutzt ward, weil er feucht und sumpfig war. Eine schreckliche Ahnung stieg in ihm auf.
— Vorwärts, murmelte Daniel.
Die Thür war offen. Eine dumpfe Luft quoll den Eintretenden entgegen. Man schritt in dem niedern gewölbten Gange weiter. Der Knabe, die Laterne tragend, eilte in ängstlicher Hast voran. Eine zweite Thür, die nur angelehnt war, ward zurück- gestoßen. Der Gang war noch lang. Da zeigte sich eine dritte Thür. Daniel- kam mit seinem Schlüssel und öffnete. Er trat zuerst in einen runden Keller, dessen schwarze Decke auf starken Pfeilern ruhte.
— Herr Anselm! rief er mit starker Stimme.
Der Knabe stieß einen durchdringenden Schrei aus, die Laterne hoch emporhaltend, schwankte er einem elenden Bette zu, in dessen feuchten Kissen eine abgezehrte Men schengestalt lag.
Auf, auf, armer Gefangener! rief Daniel- Die Stunde der Erlösung ist da!
Das bleiche Haupt eines Mannes richtete sich empor.
— Anselm! schrie der Knabe und sank wie ohnmächtig an dem Bette nieder.
Franz war keines Wortes fähig; er warf sich laut schluchzend über den armen Gefangenen, schloß ihn in die Arme und bedeckte die kalte Smne desselben mit heißen Küssen. Das war ein so schmerzliches frohes Wiedersehen, wie es wohl selten im Menschenleben sich ereignet. Anselm lächelte den Freund wie im Wahnsinne an; er schien eine Menge Fragen aussprechen zu wollen, aber die Kraft fehlte ihm, Worte zu gestalten. Der Knabe lag knieend auf dem feuchten Boden, er ergriff die welke Hand Anselms und drückte sie krampfhaft an seine Lippen. Endlich richtete sich An- selm's Aufmerksamkeit auf den Knaben — er ergriff mit beiden Händen den Kopf desselben — seine Augen rissen sich weit auf — Louise! Louife! stammelte er in unbeschreiblichem Tone. Das ist das Bild, das mir in meiner traurigen Nacht vor- geschwebt! Louise, verlaß mich nicht wieder — ach die Nacht, die Einsamkeit ist fürchterlich! Louise, nun will ich sterben, ich habe dich noch einmal gesehen —! Aber bist du es denn auch? Ja, denn dieses mr dir angehören....
Wort.
deine Louise, die gräß- nch gelitten hat!
Krampshast umschlangen sich die Liebenden, die nur dann erst an die Gegenwart der beiden Männer erinnert wurden, als Daniel zum Aufbruche mahnte.
Man warf Anselm den Mantel um, den Franz getragen hatte. Louise und Franz führten den Gefangenen.
— Halt, sagte Daniel, wir dürfen nichts vergessen. Erschrecken Sie nicht.
Auf dem Tische neben dem Bette lag ein Pistol; der Schließer ergriff das Pistol und feuerte es gegen den Bode» ab — ein dumpfer Knall erfüllte das Gewölbe; die Kugel riß die Erde auf.
— Der Advokat hat gut geladen! rief er.
— Louise, flüsterte Anselm, man wollte mich durch Grausamkeit zwingen, mit jener Waffe mir das Leben zu nehmen — die Hoffnung, dich wiederzusehen, hat mich mit Muth und Ansdauer erfüllt. Oft habe ich die Hand darnach ausgestreckt; dein Bild, das mir durch die Nacht leuchtete, hat die Hand zurückgescheucht!
— Diesen Knall hat Ihr Tyrann gehört , meinte Daniel. Ich bin in dem Kanals ertrunken. Sie haben sich den Schädel zerschmettert — Herr Roland wird ruhig schlafen. Aber Geduld, schlauer Mann, dein Erwachen soll nicht das angenehmste sein.
Er schloß sorgfältig die Thüren hinter sich. Bald schwebte der kleine Kahn, mit vier Personen beladen, den Kanal hinab. Auf demselben Wege, den sie gekommen waren, gelangten sie in die Wohnung Gertrud's. Die Empfindungen jener armen Menschen zu beschreiben, deren Leidensnacht sich plötzlich in einen heitern Freudentag verwandelt, wäre eine vergebliche Mühe; wir theilen die Erklärungen mit, die statt- fanden, als der erste Freudenrausch vorüber war. Anselm, dessen starke jugendliche Natur den zerstörenden Oualen des Kerkerlebens Trotz geboten, besaß noch Kraft genug, um dem Drange, sich mitzutheilen, zu genügen.
— Wer gab dir den Wechsel? fragte Franz.
— Roland selbst.
— Das dachte ich mir! rief Daniel.
— Er hatte von einigen leichtsinnigen Schulden gehört, die mich drückten; um meinen Eltern Kummer zu ersparen, wie er sagte, schenkte er mir den Wechsel unter der Bedingung, daß ich ihn durch den Kassier realisiren ließe und über die Sache schwiege. Ihnen, mein lieber Franz, habe ich eine Nolhlüge gesagt. Die dreihundert Thaler brauchte ich wirklich sehr nöthig, um einen Wucherer zu bezahlen, der an jenem Sonnabend Nachmittag meinem Vater einen Besuch abstatlen oder mich in Wechselhaft bringen lassen wollte. Während ich den einen Wechsel bezahlte, verfolgte mich ein anderer. Ich flüchtete nach Altona, von wo ich Sonntag Nachmittags zurückkehrle, um von Franz den Nest des Geldes zu holen und meine Schuld zu decken. Ich traf ihn nicht zu Hause. Da ich wußte, daß der fleißige Kassier mitunter auch Sonntags ein Stündchen zu arbeiten pflegte, ging ich nach dem Comptoir — es war verschlossen. Nun suchte ich
Daniel auf, um ihn zu fragen. Herr Franz arbeitet in einer Niederlage, war die Antwort. Ich ließ Mich in die Niederlage führen, das heißt in jenen Keller. Kaum war ich eingetreten, als die Thür hinter mir zugeschlagen und verschlossen ward. Seit dieser Zeit habe ich kein menschliches Antlitz gesehen als das Daniel's, der mir kärglich Speise und Trank brachte. Das Pistol legte er eines Tages schweigend auf meinen Tisch. Ich begriff die Bedeutung desselben. Auf alle meine Fragen erhielt ich die kalte Antwort: Ich weiß cs nicht! Ach laßt mich von den Qualen schweigen, die ich erduldet . . .
— Herr Anselm, was ich gethan, habe ich thun müssen, in Folge eines schweren Eides. Dort oben werde ich Rechenschaft ablegen müssen. Aber Gott ist mein Zeuge, daß ich nur auf eine Gelegenheit wartete, meines Eides ledig zu werden, obgleich mir Roland versicherte, daß ich die Hand zu einem guten Werke böte, denn Sie gingen mit schrecklichen Gedanken um. Einem Mörder brauche ich nicht Wort zu Hallen. — Herr Franz weiß, was geschehen ist — Sie sind nun frei. Ich war das blinde Werkzeug meines Herrn, nichts mehr. Nächst Gott verdanke ich mein Leben jenem Kinde, das mir die Warnung brachte.
— Wie haben Sie die Absicht Noland's erfahren? fragte Franz.
— Gertrud hat ein Gespräch zwischen Vater und Sohn belauscht. Ich war am ^ verflossenen Abend als Knabe gekleidet in I dem Landhause — mir sprachen uns im > Garten — ich eilte nach der Stadt, schrieb ! das Billet, und brachte es Ihnen. Von Unruhe gefoltert, belauschte ich am Laven Ihr Gespräch, dann hielt ich mich in der Nähe des Kanals auf, bis ich zu Ihnen - in das Boot sprang. Eine seltsame Ahnung sagte mir, daß der Schließer, dem man nach dem Leben getrachtet, Etwas unternehmen würde — die Ahnung hat mich ^ nicht getäuscht. !
(Schluß folgt.)
Ramazan. In der Nacht vom 4. auf den 5. ging es bei den muhamevani- schen Gläubigen recht ernst zu, denn in dieser Nacht wurde, nach islamitischer Ueber- lieferung, dem Propheten Muhamed der Koran vom Himmel zugesendet, und in dieser Nacht, die deshalb auch „LailatEl- Kodrat" (Nacht des Schicksals) heißt, werden von den Engeln die Thaten der Menschen in das große Buch der Welt verzeichnet und wird dann zugleich auch bestimmt, wer in das Paradies eingehen soll und wer nicht. In dieser Nacht bleiben daher die Moscheen fortwährend geöffnet, und unun- , terbrochen steigen da die Gebete zum Hirn- - mel empor. Es ist bekanntlich auch eine Sitte in den muhamodanischen Staaten, daß die jedesmaligen Minister dem Fürsten zur Zeit des großen Fastenmonais Ramazan ^ eine von ihrem Gelbe angekaufle jungfräuliche Sclavin zum Geschenk machen.
Goldkurs der Staalskafscnverwaltung !
vom 8. August 1879. !
20-Frankenstücke . . 16 18 ^
Redaktion, Druck und Verlag von Jak. Meeh in Neuenbürg.