Sü0
Miszellen.
Ein Verbrecher.
Aus den Aufzeichnungen eines Criminalbeamten.
(Fortsetzung.)
Nur zu früh wurde er auS diesem Zustande gerissen. Die Zeit, wo die Burichen lassen mußten, war herangerückt. Er freute sich darauf, Soldat zu werden, daS freie neue Leben in der Stadt lockte ihn, — was sollte jedoch aus seiner Mutter werden?
Die Frage trat erst in ganzer Lebhaftigkeit an ihn heran, als das Loos sich für ihn entschieden hatte. Wieder fanden sich seine Gefühle im Widersreit. Seine Lust zum Soldatenstaude kämpfte nut der Sorge um seine Mutter. Er durfte diese nicht allein lasten, und wem konnte er sie an vertrauen!
Vergebens suchte er um Befreiung vom Militärdienst nach, Weiler für seine Mutter zu sorgen habe; er wieS nach, daß sie nicht im Stande sei, selbst für sich zu sorgen. Sein Gesuch wurde mit dem Bemerken zu- rückgewiesen, daß die Gemeinde sür den Unterhalt seiner Mutter zu sorgen habe.
Die Gemeinde! Nimmermehr! Diesen Gedanken vermochte er am wenigsten zu fasten. Er hörte im Geist schon die Bauern klagen, daß sie nun auch dis „närrische Liese" ernähren müßten; er konnte jeder Bemerkung auf ihren Geisteszustand nicht mehr so schroff entgegenireten, wenn sie von ihnen abhing. Es durste nicht sein!
Lange sann er über einen Ausweg nach. Ernähren wollte er sie schon, aber er konnte sie nicht völlig allein lasten. Und wer entschloß sich, die Geisteskranke in sein Haus zu nehmen? Wem konnte er sie anver- trauen? Er dachte an Marie. Bei ihr wäre sie wohl aufgehoben. Konnte er in deß Marie solche Zumuthung stellen? Würde seine Mutter darein willigen?
Es blieb ihm keine andere Wahl. Als er Marie mittheilte, daß er nun Soldat werden müsse, fragte er sie auch zugleich, ob sie seine Mutter zu sich in's Haus nehmen wolle.
„Ich will für sie, für Dich — sür Euch Alle sorgen," fügte er hinzu. „Ihr sollt nimmer Noth leiden, und sollte ich selbst hungern."
Marie zögerte mit der Antwort. „Das ist's nicht, was mich besorgt macht, Heinrich," entgegnete sie endlich.
„Was denn?" warf Heinrich fragend ein. — „Was denn?" wiederholleer nochmals, als Marie schwieg.
„Ist denn Deine Mutter wirklich so böse, als ihr die Leute nachsagen?" fragte sie endlich.
„Wer sagt von ihr, daß sie böse sei? Wer wagt es?" fuhr Heinrich heftig auf
— fügte aber sogleich beruhigter, fast mit einem wehmüthigen Ton der Stimme hinzu: „Ich weiß ja selbst, daß man so von idr spricht. —Nein, Marie, böse ist sie nicht — wahrlich nicht. Ihr Herz ist gut
— nur ihr Geist ist krank. Ist es zu verwundern, daß sie scheu den Menschen ous- weicht, daß sie mit einem gehässigen Blicke
auf sie schaut, da sie wie eine Verbrecherin s von Allen gemieden wird? Wem hat sie je ein Leid zugefügt? Wer kann über sie klagen? Ihr Geist ist aber noch nicht schwach genug, daß sie nicht empfinden sollte, wie ihr stets nur Spott und Verachtung zu Theil wird. — Räume ihr das kleinste, schlechteste Zimmer hier im Hause ein. da mit sie nur nicht ganz verlassen ist. komme ihr nur einmal freundlich entgegen, und Du sollst sehen, daß ihr Herz so dankbar ist, wie nur ein Menscheuherz sein kann."
„Und wenn mein Vater nun frei kommt und zurückkehrt — er kann Leine Mutter mcht leiden," warf Marie ein.
„Er wird schwerlich so bald wiederkehren, auf keinen Fall früher, als bis die klarsten Beweise seiner Unschuld zu Tage gefördert sind. — Doch auch Du magst meine Mutter nicht leiden — freilich, die närrische Liese hak keinen Freund außer mir auf der ganzen Erde!" — Er schaute vor sich nieder. Schmerz, Unwille und Trauer prägten sich auf seinem Gesichte aus.
Da legte Marie die Hand auf seine Schulter. „Du thust mir unrecht. Hab' ich mich denn schon geweigert sie zu mir zu nehmen? Darf ich Dir — der Du mir' von allen Menschen am nächsten stehst — nicht einmal meine Bedenken mittheilen? Gut — ich will Deine Mutter zu mir neh men, die meinige fügt sich meinem Willen, das weiß ich — und ich verspreche Dir, daß sie aus meinem Munde kein böses Wort hören soll."
„Marie!" rief Heinrich. Er ergriff ihre Hand und seine Stimme klang bebend, bewegt.
„Hast Du indeß schon mit Deiner Mutter gesprochen?" fuhr Marie fort. „Weißt Du, ob sie in dies Haus will?"
„Das habe ich nicht — und ich befürchte, sie wird sich weigern, mit aller Hartnäckigkeit, deren sie fähig ist. — Es Hilst nichts — sie muß gehorchen — und sie gehorcht auch, wenn ich streng mit ihr rede und sie nicht ihre schlimmen Tage hat, wo sie den Sinn meiner Worte nickt zu fasten im Stande ist. Ja. sie hat Tage, wo sie auf kein Wort, auf keine Vorstellung hört, sie wird aber auch dann Dir nicht zu nahe treten, wenn Du sie ruhig gewähren läßst.
Marie versprach eS und beruhigter kehrte Heinrich heim. Nur das Eine blieb ihm, noch übrig, seine Mutter dazu zu bewegen;j dann konnte er ruhig das Dorf verlassen, und er mußte dies bereits in wenigen Tagen thun.
Erst spät kehrte seine Mutter heim. Er fragte nicht, wo sie gewesen war. Er kannte ja ihre Gewohnheit, still, träumend hinter einem Busch oder Baum zu sitzen, bis die einbrechende Nacht sie zu Haus trieb. Seit einigen Tagen war sie ruhiger, ihr Geist klarer, als er sie seit langer Zeit gesehen hatte. Dies schien sein Vorhaben zu begünstigen.
„Mutter," sprach er, indem er sich zu ihr setzte, „ich muß Soldat werden. — „Soldat!" wiederholte sie, ihn starr anblickend. „Soldat!" sprach sie noch ein mal mit demselben Tone und sing dann an heftig zu weinen
„Sei rnhig," suchte er sie zu besänftigen, „in wenigen Tagen muß ich schon fort, aber ich werde für Dich sorgen.
„Fort, fort!" rief sie. „Dann stehe ich ganz allein und verlosten da." Sie schluchzte heilig.
Diese wenige Worte schnitten Heinrich tief in's Herz. Fünf Jahre seines Lebens würde er in diesem Augenblicke darum gegeben haben, hätle er nicht nöthig gehabt, seine Mutter zu verloste». S-in Herz hing ihres hüiilose«, schwachen Zustandes wegen doppelt an ihr.
„Du sollst nicht verkästen sein", sprach er Mit Mühe. — „Sleingruber's Tochter will Dich zu sich nehmen — in ihr HauS — sie will für Dich sorgen."
„Des Waldhüters Tochter!" unterbrach sie ihn, indem sie heftig aussprang. — „In ihr Haus — nein — nimmermehr! Ich habe ja selbst ein Haus — hier will ich bleiben. Und wenn ich hier ausharre, dann kommt er endlich und dann werde ich eine Gräfin und wohne in seinem Schlöffe."
„Du kannst hier nicht ganz allein bleiben," erwiderte Heinrich, ihre letzten Worte ganz übergehend. „Das Mädchen wird für Dich sorgen und Du wirst es gut bei ihr haben."
„Ich bleibe hier — ich will nicht zu ihr!" rief die Kranke.
„Mutter", sprach Heinrich, indem er ausstand und dicht vor sie hi'trat, „ich will, daß Du zu ihr ziehst — ich beiehle es!"
Tie Frau erwiderte nichts. Still weinend setzte sie sich in eine Ecke. Sie wußte, daß sie gehorchen mußte, wenn er befahl, und ihm blieb nichts weiter übrig.
„Was hast Du denn gegen das Mädchen ?" fragte er.
„Du hast sie gern, das weiß ib," entgegnete sie. „Sie ist auch hü»sch. Aber ihr Vater, der nun im Gefängniß sitzt —"
„Er ist unschuldig", unterbrach sie Heinrich.
„Haha! Ich weiß Alles — haba! — Er hat Dir die Thür gewiesen! Und Du bist mehr wie er — haha — Dein Vater . . . . "
Sie schwieg. Noch nie hatte sie zu ihm über seinen Vater gesprochen und alle Drohungen hatten ihr auch nicht ein Wort abzulocken vermocht.
Heinrich staunte, woher sie seinen Streit mit dem Waldhüter kannte. Sieg wußte überhaupt Vieles und er begriff nicht, wie sie es erfuhr.
(Fortsetzung folgt.)
Lösung der Buchstabrnrathsel» in Nr. 150:
LEID E S R A IRAN DANK
Buchstabenrathsrl.
Es sind 16 Buchstaben so ins Quadrat zu stellen, daß sie wagrecht und senkcecht folgende 4 Worte bilden.
Das erste ist ein junges Thier;
das zweite können singen wir;
das dritte braucht man statt Gewalt;
Das vierte ist zur Ruh bestallt.
I. L.
Redaktion, Druck und Verlag von Jak. Meeh, Neuenbürg.