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alle in ihre Quartiere gebracht werden. Dis Ein» wohnerschaft hat sich bereitwillig zur Uebernohme einer großen Quartierlafi hergegeben. In der Turnhalle sollten 200 Mann untergebracht werden. Auf die Aufforderung des Stadtschultheißenamtes zur frei­willigen Einquartierung dieser Leute erklärten sich so­fort viele Einwohner bereit und in kurzer Zeit fanden diese Soldaten in Privatquartieren Unterkunft. ES ist dies ein erfreulicher Beweis von der Wertschätzung des Militärs in unserer Stadt und ein Beweis von löblicher Gastfreundschaft. Denn obgleich die Truppen ja ohne Verpflegung eirquartiert sind, erhalten sie fast überall volle und vorzügliche Verköstigung. Selbst unbemittelte Leute lasten es sich nicht nehmen, wenig­stens auch 1 Soldaten im Quartier zu haben. All­gemein werden von den einquartierten Truppen die hiesigen Quartiere sehr rühmend Hervorgehoden und dem württembergischen Volk ein glänzendes Zeugnis hinsichtlich des freundlichen Entgegenkommens gegeben. Auf dem Marktplatz spielte heute zwischen 11 und 12 Uhr die Kapelle des 60 Infanterieregiments. Der heutige Rasttag ist den Truppen wohl zu gönnen, eine große Marschleistung liegt hinter ihnen. In 3 Tagen haben sie den Weg von Straßburg über den Kniebis zurück- gelegt; die tägliche Marschleistung betrug etwa 50 Icw. Die ausgedehnten Räumlichkeiten des HötelS zum Waldhorn boten vm SamStag ein glänzendes Bild. Sämtliche Stabsoffiziere hatten sich daselbst versam­melt, an der Mittagstafel nahmen 130 Offiziere teil. In der Bahnhofstraße herrschte heute früh ein gewaltiger Fuhrwerkoerkehr. Von dem Proviantamt beim Krappen kamen Wagen an Wagen, die mit Brot, Stroh, Holz und Lebensmitteln bepackt waren und m die Biwaks oder in die Nachbarorte fuhren. Die Truppen faßten heute frisches Fleisch, Nierenfett, Kaffee, Brot, Erbsen und Holz, von morgen an giedt es Fleisch« und Gemüsekonserven. Das Proviantamt befindet sich nur noch morgen hier, dann wird cs auf­gelöst, ein Zeichen, daß die Manöverübungen in unserer Gegend beendigt sein werden.

Calw, 11. Sept. Heute früh von Uhr an verließen unS die Truppen; die Stadt dröhnte von den abziehenden Masten. Leider trat nach ihrem Abzug wieder dauernder Regen ein. Wie wir ver­nehmen, traf der Kaiser heute nicht im Gelände ein; morgen Dienstag werden die Gefechtsübungen zwischen Ditzingen und Markgröningen fortgesetzt. Dem Stadtschultheißenamt ging heute ein Schreiben zu, worin namens deS Infanterie-Regiments Nr. 132 herzlicher Dank ausgesprochen wirdfür dir vorzüg­liche Aufnahme in der schönen Stadt Calw". ^

Stuttgart, 7. Sept. Bei der Hmtigen Galatafel in dem reichgeschmückten Weißen Saale des Kgl. Schlosses hielt Seine Majestät der König von Württemberg einen Trink­spruch, welcher etwa lautete: Es ist mir eine große Freude, daß Eure Majestät in meinem Lande wieder Einkehr gehalten haben. Du glänzenden Augen und der Jubel der Bevölkerung werden Zeugnis abgelegt haben für dir treuen und aufrichtigen Gefühle der­

selben. Wie einstens Seiner Majestät dem hochseligen Kaiser Wilhelm dem Großen, dessen Denkmal Ew. Majestät gesehen haben, dessen Errichtung aus den innersten Gefühlen deS württembergischen Volkes hervorgegangen ist» so schlagen auch heute dem Enkel des großen Kaisers die Herzen entgegen. Ich gebe meinem Danke dafür Ausdruck, daß Ew. Majestät auch heute den Leistungen meines Armeekorps ein wohlwollendes und lodendes Urteil gespendet haben. Der Stolz des Soldaten ist es, seinem obersten Kriegs­herrn zu zeigen, daß er ebenso wie auf dem Parade­feld fähig sein wird, wenn der Ruf deS obersten Kriegsherrn an ihn ergeht, in ernster Waffenthat sich zu bewähren und sein Blut für Kaiser, König und Vaterland zu vergießen. Ich danke für die besondere Gnade, Seine Kaiserliche und Königliche Hoheit den Kronprinzen des deutschen Reiches und von Preußen von nun an in den Listen meines Armeekorps führen zu können. Ich erblicke darin einen neuen Beweis besonderer Gnade und Huld für mein HauS und für mein Armeekorps. Daß wir aber nicht ruhen, sondern mit demselben Eifer fortfahren werden, das faste ich zusammen in dem Gelöbnis ewiger Treue und Auf­opferung bis zum letzten Blutstropfen. Seins Majestät der Kaiser und König hurrah! hurrah! hurrah! Seine Majestät der Kaiser erwiderte un­mittelbar darauf etwa: Ew. MSPsE bin ich dankbar für die soeben geäußerten Worte. Es ist mir in der Thal eine hohe Freude gewesen, das wundervolle Armee­korps unter Ew. Majestät Führung zu sehen. Ich beglückwünsche Ew. Majestät dazu. Ew. Majestät werden es mir nicht verdenken, wenn auf Württem- bergischim Boden die Pulse meines Herzens schneller schlagen als anderSwo, dcnn dieses Land bildet die Wiege meines Geschlechtes und von hier aus zogen meine Vorfahren in die ferne Nordmark, um ein neues Vaterland zu gründen und Jahrhunderte lang für das Emporblühen eines neuen Volkes zu arbeiten. Ich glaube den in der That zu Herzen gehenden Jubel und den begeisterten Empfang dahin richtig zu begreifen, daß ich annehme, daß das Volk stolz ist, sein Armeekorps unter der Führung seines Königs zu sehen. Dann versinnbildlicht sich, wie in unseren germanischen Monarchien das Königtum an der Spitze eines Volkes die einzig wirklich sichere Stütze für die Bewahrung von Thron und Allar, Religion und Sitte am Ausgang des 19. Jahrhunderts ist. Ich faste alle meine Gefühle und all meinen Dank zu­sammen in dem Wunsche, daß eS Ew. Majestät und ihrem Hause gegönnt sein möge, alle Zeit so sprechen zu können, wie dereinst Ew. M. Erlauchter Vorfahre: Daß Sie allezeit und überall Ihr Haupt in den Schoß Ihrer Ünterthanen legen können. S. M. der König und Sein Haus und das Land Württemberg hurrah! hurrah! hurrah! Nach Schluß des Diners nahmen die hohen und höchsten Herrschaften in dun Gemäldegalleriesaal des K. Schlosses den Cafe. Um 6.20 Min. abends reiste der König von Sachsen, Prinz Albrecht von Preußen, Reg!nt von Braunschweig, sowie Prinz Max von Baden wieder ab. Herzog

O rr r ^ ^ etf ^ ir» Nachdruck «erboten.

Kaideröschen.

Erzählung von Karl Zastrow.

(Fortsetzung.)

Das Piano stand geöffnet vor ihr, sie ließ sich unter dem Einfluß ihrer mächtigen Empfindungen vor dem Instrument nieder und schlug die EinleitungS- akkorde zu ihrem Lieblingsliede an. Dann sang sie mit bewegter Stimme:

Im Walde ist Frieden,

Im Walde ist Ruh';

O eilet, ihr Müden,

Dem Walde doch zu.

Tort singen so fröhlich Die Waldvögelein:

Man kann so recht selig Im Walde nur sein."

Ein lindernder Thränenstrom brach aus ihren Augen hervor, als mit der Melodie dieses Liedes alle Erinnerungen an die schöne glückliche Zeit ihrer Kind­heit in ihr wach wurden. Wie im Traume sah sie die lieblichen Bilder einer heiteren Vergangenheit vor dem Auge ihrer Seele aufsteigen. Aber als sie an die Stelle kam:

Und war solch' ein Veilchen Mein pochendes Herz,

Es blühte ein Weilchen,

Ging dann himmelwärts."

da war eS ihr, als fiele eS wie Schuppen von ihren Augen. Mußte sie denn hier bleiben unter diesen kalten, herzlosen Menschen, von denen jeder Einzelne

Albrecht von Württemberg kehrte um 9.15 nach Pot«, dam zurück. Um 7 Uhr fand die Galavorstellung im Kgl. Hoftheater statt. Das Haus war festlich beleuchtet und mit Guirlanden schön dekoriert. Beim Eintritt in den Zuschauerraum brach das Publikum in brausende Hochruf« aus und hörte stehend die Nationalhymne. Es wurde derFreischütz" gegeben in neuer Ausstattung und neuer Jnscenirung.

Vaihingen a. E., 8. Sept. Auf die kürzlich hieher gelangte Nachricht, daß die Stadtgemeinde Pforzheim beabsichtige, ihre HauSabwasser in die Enz abzuleiten, und bereits mit den erforderlichen KcwalisationSarbeitsn begonnen habe, hat der Ge­meinden» durch das K. Oberamt aus naheliegenden Gründen hiegegen Vorstellung erhoben, und es ist anzunehmen und zu wünschen, daß auch die übrigen beteiligten Gemeinden energischen Protest einlegen werden. Für den nächsten Sonntag sind hier 2573 Mann (inkl. Offiziere) Einquartierung angesagt.

Vom Allgäu, 8. Sept. Das große dem Fürsten von Zeil gehörige Oekonomieanwcsen im Rimpach, Gemeinde Friesenhofen, brannte heute nacht vollständig nieder. Der Futiervorrat für 80-100 Stück Vieh, sowie das ganze tote Inventar sind mit verbrannt. Die Gefahr für die Nachbarhäuser und den nahen Wald war bei dem starken Wind eine sehr große. Der Gutspächter ist versichert. Als Brand­ursache vermutet man Selbstentzündung des Heus.

Berlin, 8. Septbr. Der Reichsanzeiger schreibt im amtlichen Teil: Wir sind ermächtigt, nachstehend die Erklärungen zu wiederholen, welch» hinsichtlich des französischen HauptmannsDreyfuS die kaiserliche Regierung bei loyaler Beobachtung der fremden inneren Angelegenheiten gegenüber gebotenen Zurückhaltung zur Wahrung ihrer eigenen Würde und zur Erfüllung einer Pflicht der Menschlichkeit abgegeben hat: ...Botschafter Fürst Münster gab nach Einholung der Befehle des Kaisers im Dezember 1894 und Januar 1895 dem Minister des Auswärtigen Hanotaux, dem Ministerpräsidenten Dupuy und dem P, äsidenten der Republik, Casimir Perisr, wiederholt Erklärungen dahin ab, daß die kais erliche Botschaft in Frank re ich niemals, weder direkt noch indirekt, irgend welche Beziehungen zum Hauptmann DreyfuS unterhalten hat." Staatssekretär Graf Bülow gab am 24. Januar 1898 in der Budgetkommisfion des Reichstags folgende Erklärung ab:Ich erkläre auf das allerbestimmteste, daß zwischen dem gegen­wärtig auf der Teufelsinsel befindlichen französischen Exkapitän Dreyfus und irgend welchen deutschen Organen Beziehungen oder Verbindungen irgend welcher Art niemals bestanden h-aben."

Berlin, 10. Sept. Fast sämtliche heutig« Morgenblätter besprechen das gestern in Rennes ge­fällte Urteil in längeren Artikeln. Nur die Nord­deutsche Allgemeine Zeitung, die Kreuzzeitung und

nur. dem Götzen der Eitelkeit fröhnte, und wo immer Einer dem Andern den Rang ablief, um nur einen Strahl von der Sonne der fürstlichen Gnade zu er­haschen ?Hein!" rief eine Stimme in ihr.Das Vaterhaus ist Dir geöffnet zu jeder Zeit.' Du kannstchorthin zurückkehren, wann Du willst, und wirst mit offenen Armen empfangen werden/' Beruhigt erhob sie sich in diesem Gedanken. Morgen werde ich die Fürstin um meine Entlastung bitten," flüsterte sie vor sich hin,o welche Freude I ich werde den Vater, die Mutter und den Wald Wiedersehen l den Wald im holden Kleid- deS Frühlings mit seinen Blüten und Knospen, o wie glücklich werde ich sein!"

Sie trat an das Fenster und öffnete den einen Flügel. Die warme milde Abendluft drang voll zum Zimmer herein und umspielte ihre glühende Stirn. Hell und klar funkelten die Sterne am Himmel, und als sie aufschaute zu den lichten Räumen, wurde eS auch in ihrer Brust wieder so feierlich und still wie sonst.

Unten im Schloßhof trieben noch immer Kutscher, Lakaien und Bediente ihr Wesen. Alle diese Leute standen in Gruppen plaudernd umher. Sie unter­hielten sich wohl von dem, was da oben in den glänzenden Räumen vorging.

Ein aufmerksamer Beobachter dieses nächtlichen Treibens hätte indessen schon längere Zeit einen hochgewachsenen Mann wahrnehmen können, dessen für ge­wöhnlich straffe Haltung in diesem Augenblicke durch eine tiefe Ermüdung beein­trächtigt schien.

Er trug einen grünen Jagdrock, über den ein kurzer Mantel von dunkel­grünem Tuch geworfen war, während seine Kopfbedeckung in einem niederen Filzhute bestand, wie ihn die Forstbeamten zu tragen pflegen. Das ganze Wesen verriet, daß er so wenig zu den eingeladenen Gästen wie zu dem Dienstpersonal gehöre.

Man sah, wie er sich fragend von einem der betreßten Diener zum andern