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Wilhelm gehabt. Andraffy erzählte gestern j der Herren Gneist und Beseler hieran
einigen Delegationsmitgliedern, er habe Meldung erhalten, daß englische Deteklioes einen Tag vorher die englische Negierung benachrichligt haben, es herrsche unter den Socialisten große Bewegung, ein wichtiges Ereigniß scheine bevorzustehen.
Einer Zuschrift des Ruchstagsabgeordn. Bamberger an die Nat.Z., worin derselbe seine Stellung zum Socialistengesetz motivirt, entnehmen mir folgende Sätze: „Da ich auch außerhalb des Parlaments eine sehr entschiedene Stellung zur Frage der socialen Beunruhigung genommen habe, so möge es mir vergönnt sein, ganz kurz anzudeuten, wie ich mich persönlich zu der abgelehnteii Maßnahme verhalte. Nicht ohne Vorbehalt tan» ich mich dem anschließen, was meine Freunde über die „Ziele der Socialdemokratie" gesagt haben. Ich leugne ganz entschieden, daß die eigen- thümlichen Ziele der Socialdemokratie etwas in sich bergen, was vom Standpunkte der gesunden Vernunft aus erstrebt werden könnte. Die Ziele der Humanität haben eben nichts gemein mit den Zielen der socialistischen Um>,estaltnngsplane. Und man kann auch nicht die „Methode" der Socialtumokratie von ihren Zielen trennen, weil die Methode sich nach den Zielen richtet. Wer an das Z>el gelangen will, die Gesellschaft auf den Kopf zu stellen, kann nur auf die Methode des allgemeinen Umsturzes rechnen. Wenn ich aber alle Gemeinsamkeit mit dem socialdemokratische» Ziele ablehne und sogar einräume, daß die Negierung wohl daran that, durch irgend einen Vorschlag das deutsche Bürgerthum aus seinem Schlaf zu wecken, so muß ich aus demselben Grunde nur desto stärker den besonderen Weg mißbilligen, welchen sie einschlagen wollte. Nicht die Socialdemokraten allein konspiriren gegen die Grundlagen der Gesellschaft, sondern m i t ihnen konspirirl ein großer Theil der friedlich gesinnten Deutschen. Der Socialis- rnus ist bei uns eine Modekrankheck geworden; die Socialdemokratie ist nur eine besondere Form ihres Auftretens, und zwar nicht die gefährlichste, wie Graf Bethusy ganz mit Recht hervorgchoben hat. In allen Kreisen der Gesellschaft (den Parlamentarismus nicht ausgeschlossen) hat sich ein socialistisches Streberthum ausgebil bei,*) welches in den belerogcnsten Sphären wiederkehrt, von der Aristokratie bis, unglaublicherwecke, zur Börsenwelt, die mit ihm durch die schutzzöllnerische Agitation in enge Beziehung g> treten ist. Dieser tieien inneren Verirrung nur mit einer grob empirisch und einseitig gefaßten Aus- nahmemaßregel entgegen.utreten, würde der größte Fehler sein, den man begehe» könnte; denn man würde das Land über die Natur seiner Krankheit in gefährliche Täuschung versetzen. Aber freilich sind diese Versuche, mit gesetzgeberischen Jmpro visalionen grob empirischer Art jedes Uebel knrircn zu wollen, leider seit 2 Jahren nichts Neues mehr für uns. Am Wenigsten besserten die sog. Verbesserungsanträge
*) Dies findet u. N. in dem Gebühren verschiedener junger Leute aus den Seminarien seine - Beslüliguug.
Denn indem sie sich wohl hüteten, das Wort „socialdemokraüsch" durch ein anderes zu ersetzen, verfielen sie in denselben Fehler wie die -Regierung: durch das neue Gesetz jeden socialistischen Angriff auf die Gesell schaft zu patentire», vorausgesetzt, daß er nicht von der Partei M o st ausginge. Und wie die Dinge eben bei uns liegen, drängte sich vor Allem die Befürchtung auf, daß die wild um sich greifenden Hetzereien der theologischen Socialisten von nun an allein privilegirt sein sollten. Am Tage einer Katastrophe aber wären die Zuhörer der frommen Herren, welche gegen das Eigen thum predigen, nicht minder gefährlich als das Gefolge der Socialdemokralen, vor dem mit Recht Graf Moltke so eindringlich gewarnt hat. Wenn der Reichstag schon wohigethan hat, den Tabak nicht für den Staat zu monopolisiren, so hat er noch viel besser daran geihan, nicht aus der Ans beutung der socialdemokratischen Lehren ein Monopol für kirchliche Herrschgelüste machen zu wollen."
Zu dem erschütternden Unglück der deutschen Marine, mit dem Verlust des Panzerschiffs „Großer Kurfürst" am 31. Mai erführt man weiter: Der Um stand, daß die 3 Schiffe bei dem Zusammenstoß sich in nächster Nähe belauben, erklärt sich daraus, daß dieselben angesichts der englischen Küste in Schlachtlinie formirr waren. Sie manöorirlen; und während sie manövrirten, ergab sich die Nothwen- digkeit, einem Segelschiffe auszuweichen. Die Kolission des im Gang befindlichen Manövers mit dieser zufällig und äugen blicklich sich aufdrängendeu Nolhwendigkeit des Ausweichens scheint das Unglück herbeigeführt zu habe».
Es steuerte eine norwegische Barke scharf auf den Bug des König Wilhelm zu, ohne im Geringsten aus dem Weg zu fahren. Der Regel entsprechend, daß Dampfschiffe Segelschiffen ausweichen müssen, ließ der befeylsfnhreiide Offizier das Flaggenschiff sofort scharf beidrehen. Der Kurfürst verfolgte den bisherigen Kurs, und die Folge davon war, daß in Zeit einer Mi nute König Wilhelm mit seinem Widder mit voller Macht gegen den Kurfürst rannte und diesem einen gewaltigen Leck beibrachte. Wiederum dauerte es kaum eine Minute, bis die Schisse w eder klar waren und der Schaden sich übersehen ließ. Das Leck befand sich an einer solchen Stelle, daß die vorhandenen wasserdichten Abtheilunge» das Schiff nicht flott erhalten konnten. In Strömen kam das Wasser hinein, die Feuer waren bald ausgelöscht, innerhalb weniger Minuten neigte sich das gewaltige Fahrzeug zur Seile und versank in den Fluten. Inzwischen war vom König Wilhelm aus sofort alle Anstrengung aufgewendet worden, um mittelst Booten und Rettungsbojen den Mannschaften des untergehenden Schiffes Hilfe zu leisten. Hieran wurde von heim kehrenden Folkestoner Fischerbooten eitrigst theilgenommen. Diese befanden sich gerade in der Nähe und setzten sich sofort an's Werk, nachdem die Gefahr, durch eine Kesselexplosion oder den Strudel des sinkenden Panzerschiffs unterzuaehen, vorüber
war. Es gelang ihnen, 72 Mann zu retten. Auch die vom König Wilhelm sofort heruntergelassenen Boote waren eifrig bei dem Rettniigswerk beschönigt. Zur Erklärung aber der Wiikung des Anpralles des König Wilhelm auf den Große» Kurfürst mag folgende Stelle aus der Beschreibung des ersten Schiffes dienen, weiche sich in Kapitän Werners Buch von der norddeutschen Flotte findet: Der vorspringende Vordersteven bildet einen Widder, der besonders stark konstruirt ist, die Form eines stumpfen Keils hat und d-ssen Spitze sich 10 Fuß unter Wasser befindet, um die feindlichen Schiffe an den vom Panzer ungeschützten Theilen ihres Rumpfes zu treffen und sie zum Schellern zu bringen. Das ist in diesem Falle denn leider nur zu gut gelungen. Gerettet sind 217, vermißt werden 274. Es ist aber Hoffnung, daß auf den herbeigekommenen Fischerbooten noch mehrere Gerettete sich befinden werden.
Die Preußen mit der geretteten Mannschaft ist am ö. Juni Abends in Wilhelmshaven glücklich angekommen.
Sämmtliche Kabinette habe» die denselben zugegangene Einladung zum C o n- greß für den 13. Juni angenommen. Ein Aufschub der Eongreßarbeiten aus Anlaß des beklagensnurth.-n Zustandes S. M. des Kaisers Wilhelm steht nicht zu besorgen. Es wird angenommen, daß der Con- greß seine fest begrenzten Ausgaben in acht Sitzungen und in einem Zeitraum von drei Wochen lösen dürste.
Württemberg.
Stuttgart. Wie uns mitgetheilt wird, haben Seine König!. Maje- st ä t anzuordnen geruht, daß am kommenden Sonntag in sämmtlichen evangelischen Kirchen des Landes ein Gebet für die Erhaltung des Lebens Seiner Majestät des deutschen Kaisers gesprochen werde, und wird hierüber demnächst seitens des evangelischen Consistoriums ein Aus- schreibe» an sämmtliche Pfarrämter ergehen.
(St.-Anz.)
Neuenbürg, 2. Juni. Seit gestern Abend geklärlerer Himmel, sich reinigende Atmosphäre, heute veränderte Windrichtung mit wärmerer Temperatur und hoher Barometerstand sch-inen nun endlich doch für einen Umschlag zu anhaltend besserer Witterung Aussichten zu geben.
Oesterreich.
Wien, S. Juni. Abgeordnetenhaus. Präsident Rechbauer Iheilt dem Hause mit, daß er der deutschen Botschaft die Gefühle des tiefsten Abscheues über das Attentat gegen den deutsche» Kaiser und der Freude über dessen Rettung ausgedrückt habe. Ec erbittet die Ermächtigung, Namens der östreichischen Volksvertretung diese Gefühle dem deutschen Kaiierhofe zur Kenntniß zu bringen. Unter lautem Beifall erhoben sich die Mitglieder des Hauses von ihren Sitzen.
Für den Monat Juni nehmen sämmtliche Poststellen, im Bezirk auch durch die Postboten, Bestellungen auf den „Enzthäle r"
-ii Vz deS QiiarkalpreiseS an.
Redaktion, Druck Vertag von Jak. Meeh in Neuenbürg.