Samstag
S ^ ^ ^ ^ at 9 Nachdruck verboten.
Kerzog Ulrichs Iahnenträger.
Von G. Maisch.
I. Die UutttliirkhkiMtt Kirchweih am 28. Mai 1514.
(Fortsetzung.)
Gewalt geht vor Recht.
Wochen waren seitdem vergangen. Eines Abend saß Barbara mit ihrem Vater und ihrer Muhme in dem blumenreichen Gärtchen, das die Rückseite des Hauses umschloß und einen Ausblick auf die hochragende Burg gewährte. Der alte Weingartmeister, stark gealtert unter den Eindrücken dieser Zeit, deutete zum Schloß empor und sagte:
„Daß uns und den Rothenberger» auch diese Schmach noch angethan werden mußte I"
„Was meinst du, lieber Bruder?" fragte dir grambeladene Schwester.
„Daß heute die Kanstatter droben eingszogen sind! Denen hat man an unserer Statt die Bewachung der Veste Württemberg anvertraut", versetzte er in ärgerlichem Ton.
„Aber, Vater," fiel Barbara ein, „daran seid doch ihr nicht schuld!"
„Meinst du," wandte sich der Alte gegen sein Kind, „daß wir dem Kirch- heimer Aufgebot den Uebergang über den Neckar verwehrt haben, da sie doch dem Herzog zulieb gegen die RemSthäler ziehen wollten, das habe uns beim Herzog nicht geschadet? Ich sage dir, wir stehen dort im schwarzen, im ganz schwarzen Register, und wer ist daran schuld?"
In den Augen der beiden Frauen erglänzten Thränen. Lastete ja schon zuvor die Ungewißheit über ihres Erno Schicksal schwer auf ihnen.
„Schon wieder so ein Bänkelsänger," rief Warth, der eben einen Blick auf die Straße geworfen hatte und einen Fahrenden das Gartenpförtchen öffnen sah. Der Fremde nahte, indem er seine Geige in die Hand nahm, wie um ein Lied anzustimmen. „Wir wollen nichts hören," fuhr ihn der Alte an, „nichts Lustiges und nichts Trauriges, haben dessen selber genug!"
„Auch Erfreuliches wollt ihr nicht hören, Melchior Warth?" fragte der Sänger, indem er den Frauen einen bedeutungsvollen Blick zuwarf. Ein freudiger Schrecken durchfuhr Barbara.
„Ihr werdet," redete sie den Wanderer an, „müde sein vom langen Marsch, kommet herein in unsere Stube, daß ich euch eine Stärkung reiche!" Damit erhob sie sich und schritt voran. Der Sänger folgte; der Weingartmeister und seine Schwester schloffen sich an. Sie fanden im Auftreten deS Fahrenden etwas Geheimnisvolles, was ihre Neugier reizte. Sie fanden den Mann, wie er eben Barbara ein Briefchen überreichte.
„Von Erno!" rief sie freudig aus.
„Ja," sprach er, „und ich habe dm Auftrag, euch von seinem Ergehen Bericht zu thun."
Da lebten auch die Alten auf, und Barbara ward befohlen, dem Manne vorzufetzen, was Küche und Keller vermöchten.
„WaS in Schorndorf vorgegangen ist," begann der Sendbote, nachdem er Hunger und Durst gestillt hatte (indessen hatte Barbara Erno's Brief gelesen und neuen Lebensmut daraus geschöpft), „das sollt ihr von mir genau erfahren. Der Herzog hat Hilfe gefunden bei den Nachbarfürsten, bei den adeligen Herren, bei vielen Städten und bei der Landschaft. Deren Abgeordnete begleiteten den jungen Herrn auf seinem Zug gegen Schorndorf. Am 1. August ward diese Stadt besetzt. Die Kriegsknechte, unter ihnen der Verräter Dibold, haben wider alles Recht Utz Entenmajers Herberge geplündert und des Kaspar Bregenzers Haus dem Erdboden gleichgemacht. Da sind viele fort von Haus und Hof, von Weib und Kind in fremdes Land geflüchtet. Am Tag darauf standen Tausende von Remsthälern auf dem Wasen vor der Stadt, da sollten sie das Urteil der Landschaft vernehmen, die sich zur Nichterin aufwarf. 1000 davon hat man entwaffnet, ausgeplündert und eingesperrt. Ich sah mir die Geschichte mit an, denn wir Fahrende haben allenthalben freien Paß. S' war ein gottserbärmlicher Anblick: diese armen Leute in der Hundstagshitze unter glühender Sonne, hungernd und dürstend. Am RemSwasser standen sie und durften nicht trinken. Da erbarmte es etliche mitleidige Seelen im Siechenhcus. Sie brachten den Schächern Eimer und Gölten voll Wasser. Das hättet ihr sehen sollen! Wie wilde Tiere stürzten sich die Gepeinigten auf das Wasser. So mußten sie leiden bis zum Abend. Da erst kain der Ulerich, um ihn her die Gesandten von Baden, Pfalz, Straßburg, Würzburg, dann seine Räte und Diener. Jetzt ging das Gericht an. Die Herren von der Landschaft haben sich das angemaßt, die will ja dem Bauer kein Recht zugestehen, nicht nagelsgroß. Der Konrad Breuning, der Tübinger Vogt, machte den Ankläger — mög'S ihm auf seinen Kopf vergolten werden I* Vor dem Herzog lagen die Gefangenen auf den Kaieen; 46 standen, mit Ketten belastet, zum Tods verurteilt. Da sauste des Freimanns Schwert im Sonnenschein blitzend nieder. Erst wurden dem Hans Vollmar, dann dem Bastian Schwarz, endlich dem Krämer Jörglin, TagS darauf 7 andern die Köpfe vor die Füße gelegt. Das war nicht genug. In Stuckarten haben dieselben Richter noch 6 Personen enthaupten lassen, darnach noch 7 Gefangene. Auf dem Eckturm bei der Hauptstatt und auf dem oberen Turm bei'm Spital habe ich viele Köpfe aufgesteckt gesehen. Viele sind ausgetreten, in die Fremde geflüchtet; die sollen nun, fordert die Landschaft, mit freiem Geleite heimkehren. Aber wer glaubt den Wortbrüchigen? Euren Erno habe ich sicher in die Schweiz geleitet," fuhr der Fremde, seme Stimme dämpfend, fort.
„Ihr?" rief erstaunt Melchior Warth.
„Er hat," versetzte der Mann kalt, „einen edelmütigen Beschützer . . ."
* Konrad Breuning ist später auf Befehl des Herzogs gefoltert und hingerichtet worden.
22. Juli 1899.
„So nennt mir den", fiel die Mutter ein, der Freudenthränen über die blaffen Wangen rollten, „daß ich ihm auf den Knieen danken kann . .
„Er will," erwiderte der Fiedler, „«»gekannt und ungenannt bleiben. Und wen Wir in unsere Obhut nehmen, den bringen wir sicher durch, selbst mitten durch Kriegsheere."
Mit diesen Worten erhob sich der Mann und schied. Barbara eilte ihm nach und beschenkte ihn reichlich. Eine verläßlichere Post-Verbindung mit dem Züribiet hätte sie nicht finden können.
H. Der 14. Oktober 1519.
Die Bündischen nahen.
Noch ein Jahr, und Herzog Ulrich, der seinen flüchtigen Unterthanen durch alle Mittel den Schutz der Eidgenossen zu entziehen gesucht hatte, steht selbst als Flüchtling hilfesuchend vor der Thüre der Schweizer „Bauern". Jetzt klagt er über dieselbe Ehrbarkeit, deren Hilfe ihm den Bauern gegenüber so wertvoll gewesen war. Im Jahr 1619 sammelte er Landsknechte und suchte durch einen Handstreich sein Land wieder zu gewinnen; aber ein Heer des Schwäbischen Bundes, geführt von seinem Schwager, Herzog Wilhelm v. Bayern, und dem kriegskundigen Georg v. Frundsberg, rückte das Neckarthal herab gegen Stuckart. Bei Türkheim suchte Ulrich diesen Zug aufzuhalten, indem er Verschanzungen anlegen ließ. Der Ritter Marx Stumpf v. Schweinsberg leitete in seinem Auftrag diese Arbeiten. Schultheiß, Gericht und Rat hatte er berufen und hielt ihnen in scharfen Worten ihren Mangel an Eifer vor.
„Jetzt gilt's," rief er ihnen zu, „mit jeder Stunde wüchset die Gefahr; stark und wohlgerüstet ist der Feinde Heer. Drum flugS, die Straße gegen Eßlingen abgegraben und die Brücke verschanzt! Das ist eure Aufgabe, ihr Bürger
von Türkheim, dieweil die von Wangen und Hädelvingen vor ihren Orten Wall
und Graben aufwerfen, daß uni der Feind nicht von jener Flanke fasse. Und
für des Herzogs Streiter begehr' ich Trunk und Mundvorrat von euch." Die
so angeredeten Gemeindehäupter berieten sich leise; dann trat der Bürgermeister vor:
„Herr Ritter," begann er, „man überfordert die Gemeinde. Erst stellen wir unsere junge Mannschaft zum Graben und zum Schanzen, und jetzt verlangt ihr von den Erschöpften noch den Unterhalt für eure Knechte."
„Ich werde dem Herzog euren guten Willen zu rühmen wissen," versetzt« bitter der KriegSmann und wandte sich vom Rathaus zum befestigten Friedhof. Dort traf er den neuen herzoglichen Vogt. Hans Müller bekleidete diesen Posten seit seines Schwiegervaters Tod. Der Ritter hieß ihn den Friedhof mit Wachmannschaft besetzen.
„Verdammt," klagte er gegen diesen, „daß uns die Bündischen unser grob Geschütz entführt haben; die paar Falkonettlein, die uns geblieben sind, werden uns wenig helfen I Doch thun wir, was wir vermögen!" Damit wandte sich der Ritter, um den Fortgang der Schanzarbeiten zu besichtigen, die das Thal gegen die Bündischen abschließen sollten.
Vor dem Thore des Friedhofs hielt ein Landsknecht Wache. Es war Dibold von Immenrode. Lauschen wir dem Selbstgespräch, das dieser Ehrenmann anstellte, um sich die Zeit zu verkürzen.
„Hab mich zu rechter Stunde von den Bauern fortgemacht, bin kein Freund vom Foltern, Köpfen und derlei sonstiger Pläsir. Dien' jetzt dem Herzog, ha, da gings hoch her, solang die Landschaft ihm die Schulden zahlte. Aber jetzt, puh, ist er auch nicht besser dran als unser eins, war fünf Jahre auf der Fahrt, und das auf keiner lustigen, und jetzt, meiner Treu, 's wird wieder nichts! Wo sind die Reisigen vom Adel? Wo die filzigen Herren von der Landschaft? Nur Leute unseres Schlages, wo'S heißt, wie der welsche Schwyzer sagt: point L'ar- xsut xomt, äs Luisss * und die Bauern, die dummen .... laufen ihm zu Tausenden nach und vergessen, wie er ihren Brüdern zu Schorndorf auf dem Wasen mitgespielt hat. . . . Dibold, mach'L wie die Ratten! Die verlassen ein Schiff, eh's sinken will! Des Wirtenbergers Schiff ist auch am Sinken. Dibold, lauf dem Stern der Habsburger, der Bayern nach: der geht auf, steigt und steigt!... Doch wie hier loskommen? . . . Dibold, sei klug wie die Schlange, laß die Taubeneinfalt andern! Nur eine Gelegenheit ... und die schnell beim Schopf gefaßt!" . . .
Dieweil der KriegSmann also mit seiner Seele Zwiesprach hielt, eilten Greise, Frauen und Kinder durch das Thor zur Kirche, dort Trost und Hilfe zu erflehen im Jammer d-S Kriegs, während andere sich zu den frischen Gräbern wandten, die so manchen jungen Streiter deckten. Aus dem Gotteshaus erscholl in langgezogenen, klagenden Tönen das ernste Vs xroüwäis, zu deutsch:
AuS der Tiefe rufen wir zu dir,
Herr, höre unsre Stimme,
Vernimm, Erbarmer, unser Flehnl Gehst du mit uns, Herr, in's Gericht,
Wer wird alsdann vor dir bestehn?
Wir harren dein, dein Israel:
Erlöse uns aus Not und Sünde!
Der Bußgesang war verklungen. Jetzt traten zwei Frauen, in Trauer- gewand gehüllt, aus der Kirche. Es war Barbara Warth und Katharina Scheihing, eine Jugendgespielin.
Diese, auf ein mit Blumen überdecktes Grab deutend, begann, indem ihr die Augen übergingen: „Dort ruht mein armer Martin! Schrecklich war's, wie sie ihn mir tot nach Hause brachten von der Brücke, die er gegen die Kirchheimer verteidigen half, und in jungen Jahren bin ich nun schon eine Witwe. Heut' will ich noch sein Grab mit Blumen schmücken, wir der Herbst sie gibt . . ."
„Und ich," bemerkte Barbara, „will dasselbe am frisch aufgeworfenen Grabs meiner guten Muhme thun. Ach, der Kummer um unser» Erno hat ihr das Herz gebrochen! Und" — setzte sie leis« hinzu, „seit Monaten wissen wir nicht ein Sterbenswörtchen von ihm . . ." (Forts, folgt.)
* kein Geld, kein Schweizer!
wer
«miman.
KeUaar zu Nr. 86.