Ealmer MmüriiblLÜ.

15. Juli 1899.

Beilage zu Ur. 83.

Sam

e ^t. Nachdruck vnboteii.

Kerzog Ulrichs Iahnenträger.

Von G. Maisch.

I. Die Uulertiirkheinltt Kirchweih am 28. Mai 1514.

(Fortsetzung.)

Erno war der Verhandlung mit ernster Aufmerksamkeit gefolgt. Der Ge­danke an die menschenunwürdige Behandlung der großen Masse des Volks erfaßte ihn so übermächtig, daß er der Tribüne zueilte. Em Lächeln stiller Befriedigung glitt über Vollmars Züge; dieser eine Türkheimer war ihm ein Pfand für die Bereitwilligkeit der ganzen Gemeinde zum Anschluß an den armen Konrad. Hedwig, die dies gewahrte, rief erschrocken:

Mein Gott, Barbara, der Erno will auch hier reden!"

Vielleicht,* stieß Barbara aus gepreßtem Herzen hervor,will er reden wie dein Vater, will die empörten Leute zum Gehorsam verweisen!" HanS und Hedwig warfen einander bedeutungsvolle Blicke zu, die zu sagen schienen: Sie wird sich täuschen, die Aermste! Und alsbald machte diese auch die schmerzliche Entdeckung, daß es anders komme und daß sie ihren geliebten Jugendgespielen von einer Seite kennen lernen müsse, die ihr gänzlich fremd war. Halb war es Trauer, halb eine gewisse stolze Befriedigung, was sie beim Hören und Anschauen des feurigen Redners empfand.

Die zu Türkheim," begann Erno, indem er mit edlem Anstande neben Vollmar trat,so hat man uns gesagt, sitzen auf wirtemberaischem Grund und Boden. Doch wie? muß ich fragen. Etwa auf eigener Huobe* als freie Männer, die sich der Früchte ihrer Arbeit freuen dürfen? Nein, wir sind Leibeigene, Hörige, zins- und gültenpflichtige, nur wenige sind gemeinfreie Leute. Wcß ist daS gerühmte fette Mark dieses Landes? DeS Herrn v. Wirtemberg, deß Amtmann und Keller hier sitzt; dann der Klosterherrcn von Bebenhausen, Hirschau, Zwie­falten und des Kostnitzer Bischofs, unseres Kirchhetrn, endlich der ritterbürtigen Herren, der Rcchberge, der von Bernhausen, der von Kaltenthal, von Stein und der Nothafte. Ihr kennet die mächtigen Gewölbe, worin sie den edlen Rebensaft bergen, den unser Schweiß erzeugt." .... Während Erno so seinem Unwillen Luft machte, war ein Mann in den Kreis getreten, dessen. Erscheinen bei Vielen Murren und Spott hervorrief: Johannes, der Kaplan. Furchtlos trat er vor; der Würde des Amtes und den weißen Haaren des Greises mußte auch der Roheste Achtung zollen.

«Du hier, mein Sohn Erno ?" begann er,machst Du dich fremder Sünde teilhaftig? Ich kenne dich, dein Innerstes stellt dich aüf eine andere Teste, als auf die von Empörern."

Empörer nennt uns der Pfaffe?" rief entrüstet der Beutelsbacher,wir wollen nichts als unser Recht, Menschenrecht und Bürgerrecht! Ist es anders, liebe Eidgenoffen?"

Hast Recht, Vollmar," schrien alle,der Pfaffe lügt, jagt ihn von dannen I" und einige drängten sich gegen den Kaplan vor. Doch der Hauvtmann mahnte ernstlich ab und brachte Rot Enderle und dessen Anhang zur Ruhe. Unbeirrt fuhr der Greis fort:

In meines Herrn und meiner Kirche Namen bitte ich euch, euch alle: lasset ab von Streit und Aufruhr! Ihr klaget über Unrecht und Gewalt und wollet selbst zum Schwerte greifen? Kennet ihr nicht des Friedefürsten Warnung: wer das Schwert nimmt, soll durchs Schwert umkommen? O leget eure Be­schwerden in der Kirche Hand, daß sie an eurer Statt Frieden mache mit des Landes Herrn!" (Im blauen Zelte klagt Barbara: ach, die dritte Warnungs­stimme, sie kommt von oben! O Erno, wirft du auch dieser trotzen?). Ihm erwiderte der Waiblinger, der aus Ehrfurcht sich von dem Greis hatte unter­brechen lassen:

Daß ihr, ehrwürdiger Vater, es gut meinet mit den armen Leuten, das wissen wir aus Erfahrung. Aber haben die Häupter dieser Kirche, Papst und Kardinal, Bischof und Abt, je sich der Armen angenommen? Haben sie nicht viel­mehr mit Fürsten und Rittern um die Wette unsere Herde geschoren und ge­schunden? Und jene Männer, die ihr alles dran setzten, die an Haupt und Gliedern kranke Kirche zu bessern, hat man sie nicht allezeit verfolgt, gemartert und verbrannt?"

Wahr ist's," entgegnete traurig der greise Priester,an schweren S-bäden liegt die Kirche, unsere geistliche Mutter, darnieder. Doch wisse, Christi Kirche, die wahre, die unsichtbare, meine ich, sie prangt vor ihres Königs Auge untadelig, ohn' alle Flecken. Und sie fuhr er wie von profetischem Sehergeist ergriffen fort sie will sich herrlich offenbaren. Schon künden Boten in Nord und Süd, in Ost und West das lautere, süße Evangelium. Der Herr ist nahe, ihr armen Kinder Christi! Wollt ihr trotzig noch zur Eigenhilfe schreiten? Werdet Jesu Christi Knechte, Er, hochgelobt in Ewigkeit, macht seine Diener wahrhaft frei und sorgt, daß auch die schwersten Bande fallen I"

Die Jungfrauen im blauen Zelt hatten des Priesters Antlitz erschaut wie eines Engels Angesicht; im Bauernkreise aber hatten sie die Dämonen der Fin-' stsrnis entfesselt. Der Singerhans stürzt hastig vor, stößt seinen SchweinSspieß in die Erde und ruft wie toll:

Hie steht der arme Konrad mit Grund und Boden, und sonst kein Herr I Welcher mir geloben will, der trete her zu mir!" Hatte dieser Aufwiegler schon auf der Alb so große Gewalt über die Gemüter, wenn er den Aelblern seine Sturmlieder sang, so riß er jetzt mit dieser sinnbildlichen Handlung die Bauern fort Alle drängten sich zu dem Spieß und faßten ihn mit der Hand. (Barbara, da sie auch Erno seine Hand an den Spieß legen sieht, ruft verzweifelnd:Gott im Himmel, mein Erno inmitten solcher Spießgesellen? Mein Erno im armen

* Huobe»Hufe warein größeres oder kleineres selbständiges Bauerngut.

Konrad?" Ohnmächtig sank sie ihrer Freundin in die Arme). Erno, von diesem Anblick tief ergriffen, ruft mit weitschallender Stimme in den Kreis hinein:

Auf, ihr Leidensbrüder, fort mit Frondienst und ungerechter Steuer, nieder mit dem Sklavendienst! Frei sei der Boden, den wir bauen, frei der Mann mit Weib und Kind! Frei die Lüfte, die wir atmen, frei Waide, Wald und Waffer! Frei Bach und Fluß und See! Frei Weg und Steg!"

Brav, wackrer Junge! Es lebe Erno der Waiblinger!" jubelte der Haufe. Vollmar aber gebot Ruhe und sprach:

So sind wir denn einig und schwören Treue unserer Sache. Ein Jeglicher von euch ziehe hin zu seinem Gau als Sendbote des armen Konzen! Ich hoff« gute Botschaft von euch zu Schorndorf in der Bauernkanzlei zu treffen. Die Waffen haltet fest, bis unsere Abgesandten vom Herzog und der Ehrbarkeit unser Recht erstritten haben! Erst mit dem Wort, und frommt es nicht, dann mit Spieß und Schwert! Gehabt euch wohl, ihr Freunde!"

Langsam leerte sich der Platz. Denn von der Erhöhung, die als Nedner- bühne gedient hatte, erscholl jetzt ein Lied, das in Wort und Ton einkleidete, was der Bauern Sinn verdüsterte. Es war der alte Sänger, der mit dem Bart, der unter Geigenbegleitung der Bauern Trutzlied anstimmte:

Heut' flehen wir in Demut noch als Knechte,

Gedenkt, ihr Herren, unsrer Menschenrechte!

Vernehmt der armen Leute bittre Klagen,

Helft unsrem Elend ab, den tausend Plagen!

Doch wenn du nicht auf unsre Bitten hörst Und nie der Räte schlimmem Treiben wehrst:

Dann greift zur Wehr der Bauer, Herzog Utz,

Und bietet dir und allen Herren Trutz;

Ja, todesmutig ringet dann der Knecht Mit Fürst und Ritter um sein heilig Recht!

Vollmar, der dem Sange gelauscht hatte, nickte dem Alten Beifall zu und belohnte ihn reichlich. Dann wandte er sich zu Erno mit den Worten:

Was und wie du gesprochen hast, junger Freund, das Hab' ich von dir erwartet. Doch deines Bleibens wird hier nicht mehr ftin; darum folge mir in'S Nemsthal; dort wird der Kampf entschieden werden. Kann der arme Konrad auf dich zählen? Deine Hand!"

Bis zum letzten Atemzug gehört mein Leben dem Volk meiner Heimat!" versicherte Erno dem Hauptmann mit kräftigem Handschlag.

Auf Wiedersehen denn I" sprach Vollmar und wandte sich seinen Gesellen zu.

Wohin" nun?" fragt« sich Erno.

Scheiden und Meiden thut weh.

Wohin? Erst zur liebereichen Mutter, dann in die Fremde, daS ist in's Elend!* Ja, zur Mutter zog es ihn; sie kannte ja ihren Sohn und seine Ge» danken, sie wußte, welches die Triebfedern seines StrebenS und Handelns seien, vor dem Mutterauge lag sein Inwendiges aufgefchlagcn da wie ein offener Buch.

Kaum hatte das Auge der Mutter den nahenden Sohn erblickt, so umschlang sie ihn so fest mit ihren Armen, als sollte er ihr nie wieder entrissen werden, und blieb lange sprachlos.

Mein Sohn," stieß sie endlich schluchzend hervor,ich weiß alles. Dein ungestümer Freiheitsdrang, dein strenges Rechtegefühl, dein jugendliches Feuer haben dich zu scharfer Rede fortgeriffen. Die Fürstlichen werden dich suchen, sagt mir dein Ohm; so fliehe zu unfern Verwandten im RemSthal und bleibe dort, bis hier wieder gut Wetter für dich ist; du sollst eS bei Zeiten erfahren! Aber und sie drückte ihn zärtlich an ihr Herz von jenen wilden Gesellen hältst du dich fern? Du paffest mit deinem reinen Herzen und deinem redlichen Wollen nicht in den armen Konzen. Versprich es mir, dich mit ihnen nimmer einzulaffen!"

Liebe Mutter," versetzte der Sohn mit tiefer Seelenqual,ich habe mich dem armen Konrad angelobt und muß mein Wort auch halten, kost' es, was es wolle! Steht die Bauernschaft des Landes dem Herzog und der Ehrbarkeit ein­mütig mit den Waffen gegenüber, dann müssen sie uns unser Recht gewähren; dafür habe ich geredet, dafür will ich, wenn es sein muß, auch kämpfen. Krönt uns der Sieg, dann habe ich für eine gute Sache gestritten und gelitten. Dann kann ich mit gehobenem Haupte zu dir, zu meinem guten Ohm und in die Heimat wiederkehreu, aus der ich jetzt bei Nacht und Nebel weichen muß. O Mutter, deinen Segen!" bat der junge Mann; von seinen Gefühlen übermannt, sank er auf seine Knie nieder.

Ja, Erno, du hast deiner Mutter Segen. Möge der Allmächtige droben dich segnen, dich züchtigen, wo es sein muß, mit Maßm, und die Enttäuschungen, die deiner warten, so ein Ende gewinnen lassen, daß du nicht verzagest."

Und sage Barbara" kaum vermochte Erno den teuren Namen über die Lippen zu bringen

Barbara harret deiner," unterbrach ihn di« Mutter;eile nun, daß dich die Häscher nicht mehr finden I" Eine lange Umarmung, und der Sohn schied von der geliebten Mutter ... um st- nie wicderzusehen.

Am oberen Ende des Dorfe» Türkheim, da wo die zur Burg Württemberg führende Straße sich trennt von derjenigen, die nach Velbach führt, lag vor Zeiten die Kapelle St. Wendelins. An dem schlichten, mit den ersten LenzeS- blumen geschmückten Altar knieten in der denkwürdigen Nacht des Sonntags Exaudi 1514, Seite an Seite zwei Mädchen und beteten so inbrünstig, wie es der Ernst des Augenblicks ihnen eingab. Plötzlich erscholl vom Eingänge her ein leiser Pfiff. Sie treten unter die Thüre und gewahren Hans Müller in leisem Gespräch mit Erno, der, zum Kampfe gerüstet, marschfertig vor ihm steht.

(Fortsetzung folgt.)

* Ein oberländischeS, noch heute mngehciides Sprichwort sagt:Fremd ist elend".

Humoristische-.

Vom Exerzierplatz. Sergeant: KcrlS, Ihr glaubt wohl, daß ihr wegen der Abrüstungskonferenz die Kniee nicht mehr durchzudrücken braucht?!" (Fl. Bl.)