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es, waS ein prophetischer Geist wa? ein Göthe an der Schwelle unseres Jahrhunderts sagt: „Alle Epochen, in welchen der Glaube (d. h. die Kraft religiöser Begeisterung) dcrrscht, unter welcher Gestalt er auch wolle, sind glänzend, herzerhebend und iruchlbar für Mitwelt und Nachwelt. Alle Epochen dagegen, in welchen der Unglaube, in welcher Forni es sei, einen kümmerlichen Sieg behauptet, und wenn sie auch einen Augenblick mit einem Scheinglanze prahlen sollten, verschwinden vor der Nachwelt, weil sich Niemand gern mit Erkenntniß des Unfruchtbaren abquälen mag!" Hört e-Z — und fragt Euch: was haben die Philosophen der Alle» für die Menschheit vollbracht, so hoch wir sie achten, und was der arme Rabbi von Nazareth mit seinen 12 Ungelehrten aus Galiläa, was die kühlen Gelehrten der Reformationszeit, ein ErasmuS uno seinesgleichen, und was der religiöse Genius des sächsischen Berg- »lannssohiis? —- Hört es, was ein Theologe unserer Zeit sagt: Kultur und Christenthnm gehören zusammen, wie Licht und Wärme. Die Kultur gibt der Religion das Licht, die Religion der Kultur die Wärme, beide arbeiten für dasselbe Ziel, die Entwicklung aller menschlichen Kräfte im Dienste der ewigen Ideen. . . . Wir^ wollen ein Christenlhum, das aus der Höhe der Änlturentwicklung steht, und eure Kultur, die durchdrungen ist van der Fülle und Wärme oes christlichen Geistes.
(S. S.-B.)
Eine Episode ans dem Leben Handels.
John Farren, der Wirih der Londoner Taverne „rur guten Frau" Nro. 77 Fleet Streek, fast eines Abends in dem Jahr l7:>8 bequem in einem Armstuhl feines Schenkzimmes, keine Gaste erwartend, die sich gegen 7 Uhr zu versammeln pflegten. Bor ihm, die Arme in die Seiten gestemmt, die Rolbe des Zornes aus den sonst bleichen emgesniikeiien Wangen, stand Betty, sein Weib, zitier» d vor Aufregung, die sich in dem schrillen Aceent ihrer Worte verrieth:
„Ist es wahr, John, ist es möglich, daß Lu unsere Ellen, unser einziges Kind, dem deutschen Bettler in die Arme werfen willst?"
„Nun, nicht gerade in die Arme werfen will ich sie ihm," antwortete John ruhig, „aber Ellen liebt den Burschen, und ein tüchtiger Kerl ist Joseph Wach, fleißig, ehrlich, geschickt" —
„Und. arm wie eine Kirchenmaus," unterbrach ihn Betty, „und'Niemand weiß recht, wer er ist."
„Sein Landsmann Händel sagt stets, daß was Bedeutendes in ihm steckt."
„Geh mir mit Deinem Händel! Er ist immer Deine Auktorität, was kann der uns nützen, seit er in Ungnade gefallen ist? So- lang er noch täglich in Carlton- honse aus- und eingehen durfte, war sein gutes Wort etwas Werth, allein feit man ihn wegen seines übermüthigen Betragens von dort verbannt hat, ist er weiter nichts sis ein vagirender Musikant."
Wer weiß, bis zu welchem Grade sich der Zorn der Frau Betty noch gesteigert
hätte, wäre sie nicht durch den Eintritt zweier Gäste unterbrochen worden.
„Wie geht's? Master John," rief der ältere, eine kolossale Figur mit schönem ausdrucksvollem Gesicht.
„So, so! Herr Händel," war die Antwort , „Ihr kamt zur reckten Zeit, um meiner Frau Schweigen aufzuertegen."
Händel gab Hut und Stock dem Kellner und wandte sich zu seinem Gefährten, einem Manne von mittlerer Größe und gewöhnlichem Aussehen, in dessen Augen jedoch eine gewisse Schalkheit und Satire leuchtete. Sein Name war William Hogarth, er war ein geschätzter Porträtmaler.
„Sie glauben also," sagte Händel, „Sie glauben wirklich, der Fürst würde etwas für meinen „Messias" lhun, wenn ich ihn darum bitten würde?"
„Nicht bitten sollen Sie ihn darum!" rief Hogarelh eifrig, „nur offen sprechen sollen Sie mit ihm darüber, und Sie werden sehen, er wendet seinen ganzen Einfluß an; um das Werk würdig aufge- sührt zu sehen.
„Aber ist es nicht traurig," rief Händel, „daß ich einem Menschen wie diesem Bed. ford schmeicheln muß, um mein bestes Werk vor das Publikum zu bringen? Hören Sie Hogarth! Ich bin seit 28 Jahren in England. 25 Jahre war ich all, als ich hier ankam, allein ich bin ein fleißiger Junge gewesen von frühester Jugend an. Mein alter Vater (er war 03 Jahre alt, als ich geboren wurde) sah niit Schrecken meine große Neigung zur Musik. Denn er wollte einen Nechtsaesihrten aus wir machen, und entzog mir sorgfältig alle musikalischen Jnstrumeitte. Allein der mächtige Drang, ber mich beseelte, überflügelte diese Hinder nisse Ich konürnirte mir selbst eine An Klavier, und des Nachts, wenn alles schlief, schlich ich auf den Speicher, um aus dem geliebten Instrumente zu spielen. Ter Zufall kam mir zu Hilfe; eines Tages befand ich mich in der Kapelle eines sächsischen Fürsten, ich konnte der Versuchung Orgel zu spielen nicht widerstehen. Der
Fürst hörte mich, sprach mit mir, und entlockte mir das Geständniß meiner heimlichen musikalischen Studien. Erfreut von meinem Orgelspiel, versprach er sich bei meinem Vater für mich verwenden zu wollen, und erwirkte mir denn auch dessen Erlaubniß, bei dem Organisten Sackau in Halle Musik studiren zu dürfen. Ich lernte vier Instrumente spielen, doch eines Tages, ich war gerade eilf Jahre alt geworden, erklärte Sackau: er wisse mich nichts mehr zu lehre». Darauf ging ich nach Berlin, wurde aber nach einem Jahre zurückgerufen an das Todtenbeit meines Vaters. Nun war ich Herr meines Willens und es zog mich »ach Italien, allein ich hatte dazu die Mittel nicht, und nahm daher ein Engagement als Violinspieler bei der Hamburger Oper an. Die Organistenstelle in Lübeck war zu vergeben, ich reiste hin, fand aber, daß ich um die Stelle zu erhalten, die Tochter meines Vorgängers hätte beirathen müssen und — kehrte schleunigst zurück. Still und zurückgezogen arbeitete ich an meinen ersten dramalischen Werken: Almira, Nero, Daphne und Flo- rinda, mit denen ich in meinem 20. Jahre heroortrat. Ich nahm meinen Abschied in Hamburg, und ging nach Florenz, wo ich meinen „Rodrigo" schrieb, für welchen mir der Herzog ein Silberservice und einen Beutel mit 100 Zechinen schenkte, dann ging ich nach.Venedig, componirie dort Agrippina, und wanderle dann nach Rom, wo ich längere Zeit nur Kirchenmusik schrieb. Im Jobre 1708 d. h. in Meinem 25. Jahre lebte ich in Neapel und arbcilete dorr meinen „AciS und Galatea" aus, dann besuchte ich wiederholt Florenz, Vrnrdig und Nom m der Hoffnung, Beschättiguny zu finden; allein in Italien fand ich damals nichts für einen gewisscnhaiten Lutheraner, wie ich war. Ich kehrte nach Halle zurück, um meine alte blinde Mutter noch einmal zu umarmen und meinem ersten Lebrer Sackau die Hand zu drücken; — dann ging ich nach England.
(Fortsetzung folgt).
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für das dritte und vierte Quartal I87S.
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