revolutionäre Gelüste der Hie­rarchie machte im Reichstag der württ. Minister Freiherr von Varnbüler, Abg. für Cannstatt und Ludwigsburg. Nachdem der Reichskanzler behauptet, daß der Papst den Staaten mit Revolution drohe und daß dies namentlich gegenüber einem deut­schen Diplomaten geschehen sei, und nach­dem der Adg. Reichen'perger dies bestritten und die Vermuthung ausgesprochen hatte, jener Diplomat habe den Reichskanzler falsch berichtet, erbat sich Herr von Varn- büler das Wort. Aus der Tribüne erschien ein großer schlanker Herr, mit sehr aus­drucksvollem Gesicht und einem langen schneeweißen Barle. Er sprach sehr leise, denn er ist noch reconvaiescent von einem schweren Halsleiden. Die Abgeordneten verließen ihre Sitze, um Herrn v. Varn- düler hören zu können. Es herrschte eine Stille, daß nian eine Stecknadel konnte zur Erde fallen hören. Inmitten dieser laut­losen Stille erzählte Varnbüler, daß, als er württembergijcher Minister war, zu einen Zeit, wo voller,Friede zwischen Kirche und Staat herrschte, und namentlich die Ne­gierung in Stultgvrr und der katholische Bischrf in Noltenburg im. besten Einver­nehmen standen. Folgendes vorging: Es handelte sich um Bestellung eines Coadju- tors für den Bischof von Rottenburg, und es trat eine formelle Differenz mit Rom ein. Der württembergische Gesandte in München wurde von Varnbüler beaustragt, mit dem päpstlichen Nuntius in München, Monsignore Meglia, wegen Beseitigung dieser Differenz zu unterhandeln. Diese Verhandlung fand statt, und während der­selben erklärte der päpstliche Nuntius, der Papst werde, die amerikanische Union nnd Belgien ausgenommen, von allen übrigen Regierungen nicht zur Genüge respektirt; umer solchen Umständen bleibt uns", tagte der Nuntius,diesen Regierungen gegenüber kein anderes Mittel, als die Re­volution, und von diesem Mittel werden wir Gebrauch machen " Ob der Nuntius von dem Papste beaustragt war, diese Drohung auszustoßen, fügte Varnbüler hinzu, das weiß ich freilich nicht, allein er scheint im Sinne seines Auftraggebers ge­handelt zu haben, denn kurz darauf wurde er zur Nuntiatur in Paris berufen, also zu einem weit wichtigeren Posten, als der in München." Herr v. Varnbüler wurde von der Majorität öfters durch den Ruf hört" und am Schlüsse mit lebhaftem Bravo für seine Mittheilung belohnt. ,Die Schwarzen sonst so tumultuarisch in Unter- brechnngen und Zwischenrufen, verhielten sich stumm unter der Wucht dieser That- sache. Selbst der redelustige Reichensperger schwieg. Er schien kurirt von seinen Zwei­feln. Auch gegen die Person Varnbüler's läßt sich absolut nichts sagen. Er ist kein Culturkämpfer", sondern hat sich der rö­misch-katholischen Geistlichkeit gegenüber stets sehr wohlmeinend und entgegenkom­mend erwiesen. Er ist auch keinNational­liberaler," sondern stand bis 1866 an der Spitze desgroßdeutschen Resormvereins", rief das bekannteVue vietis" über uns, hielt noch 1868 in der würtlembergischen Kammer eine geharnischte Rede wider den

Eintritt Württembergs in den norddeutschen Bund und trat erst 1870 aus Anlaß der französischen Kriegserklärung rückhaltslos aus die nationale Seite, auf welcher er seitdem beharrlich verblieben, ohne jedoch seine konservative Gesinnung und manche specifisch württembergische Auffassung zum Opfer zu bringen. Das ist in der That ein klassischer Zeuge, gegen welchen die Schwarzen nicht auskommen können.

Berlin. Die Regierung ist ent­schlossen, noch energischer gegen die ul­tramontane Propaganda vorzugeben und vor allen Dingen den jesuitischen Insti­tutionen ein ganz besonderes Interesse zuzuwenden. Hierzu gehören besonders die Gebetsvereinigungen, für welche augenblicklich in den katholisch» n Kreisen große Anstrengungen gemacht wer­den. Man erwartet, wie derV.-Z." mitgetheilt wird, daß der Zurdispositions­stellung des Ober-Präsidenten von Norden- flycht noch weitere Beamtenveränderungen folgen werde».

Pforzheim. Der Bürgerverein erläßt auf Sonntag, den 13. Dez. Ab. 5 Uhr eine Einladung in den Gasthof z. schwarzen Adler, zu einem Vor­trag des Hrn. Schulze aus Mainz überdie innere Unwahrheit" derjenigen Welt-Anschauung, auf welcher die Social- Demokratie beruht.

Württemberg.

Neusatz, 8.Dez. Heute fand hier die erhebende und, ob auch vom Wetter nicht begünstigte, doch auch aus der Nach­barschaft besuchte Feier der Einweihung unseres neuen Gottesackers statt. An der Hand des Wortes Joh. 5, 28. 29 würde der Gemeinde ans Herz gelegt wie unser neu geweihter Got­tesacker sei eine Stätte voll ttö st licher Hoffnung, aber auch eine Stätte voll mahnenden Ern st e s." Eine durch zahlreiche Fämilien- bande mit der Gemeinde innig verbundene Frau, die Wiltwe des vormaligen lang­jährigen Schultheißen Christoph Friedrich Knöller, ist die erste gewesen, die auf dem zweckmäßig und in ziemlich ge­schützter Lage au der Straße nach Rothen- sol angelegten Friedhofe ihre Ruhestätte gefunden.

Wie die Anlegung eines eigenen Be- gräbnißplatzes ein dringendes Bedürfniß gewesen, hat sich bei der heutigen Witte­rung deutlich herausgestellt. Möchten nun anch die noch schwebenden Verhandlungen zwischen der Mutter- und Tochtergemeinde in Betreff des verlassenen alten und des angelegten neuen Friedhofs bald einen friedlichen Ausgang gewinnen!

Miszellen.

Die Blutlaus.

Belehrung über ihre Naturgeschichte und Vcrtilgnng.

(Veröffentlicht durch die K. Centralstclle für die Landwirthschaft.) ' I

1) Es sind kaum 10 Jahre, seit die ' Blutlaus in Württemberg eingewandert ist; nachdem sie g'oße Verheerungen an den

Obstbäumcn in Frankreich angeri'chtet hatte, stellte sich auch in Baden und Württemberg ein. Zuerst erschien sie im Nekarthal, drang dann in die Seitenthäler ein und hat nur? bereits in vielen Bezirken eine Verbreitung erlangt, welche das dringende Bedenken der Obstzüchler erregen muß.

2) Die Blutlaus gehört zum Geschlecht der Blattläuse und ha: mit dieser Gattung besonders auch die enorme Vermehrung gemein, welche je für das einzelne Indi­viduum sich für einen einzigen Sommer auf Millionen von Nachkommen belauft. Im Frühjahr und Sommer erzeugt sie lebendige Junge, welche schnell ebenfalls wieder forlpflanzungssähig werden. Ihre Gefährlichkeit und Schädlichkeit erhöht sich aber noch durch den Umstand, daß sie inz Nachsommer und Herbst auch geflügelt er­scheint, und damit leicht in der Lage sich befindet, ihre Ansiedlungcn auch auf andere Bäume zu übertragen.

Das ungeflügelte Insekt ist honiggelb und zugleich mit längeren wolligen Fäden bekleidet. Das geflügelte ist glänzend schwarz. Beim Zerdrücken einer Kolonie bleibt ein rother Saft zurück, daher der Name Blutlaus.

3) Für ihre Ansiedlungen wählt die Blut­laus die jüngern, noch mit zarter Rinde ver­sehenen Zweige der Apfelbäume und zwar vorherrschend solche Stellen, an welchen sich Nisse und Beschädigungen zeigen oder die Rinde sonst nicht ganz gesund ist. Sie findet sich ebenso in Baumschulen wie in jüngeren und älteren Baumpflanzungen und bildet stets gemeinsame Niederlassungen, welche sich durch den weißen baumwollar- tigen Flaum bemerklich machen, der diesen Thierchen eigen ist und ihren Ansiedluntzen von Ferne das Ansehen von an den Zwei­gen befindlichen Baumwvllen-Flocken gibt.

4) Die Blutlaus beginnt ihr Zerstö- rungswerk, indem sie ihren Saugrüßel in den Bast und Splint des Baums einbohrt und damit nun fortfährt, die Säfte aus dem Bäum an sich zu ziehen. Es kann nicht feblen, daß wenn dieß durch Millionen sol­cher Geschöpfe gleichzeitig geschieht, der Baum seiner besten Kräfte beraubt wird und es ihm endlich ans Leben geht. Die Verheerungen des Insekts werden durch trockene Witterung sehr begünstigt.

5) Die Gefahr ist besonders noch da­durch erhöht, daß viele Baumzüchter das Insekt gar nicht kennen, die ersten Ansied­lungen übersehen und vielleicht erst dann eingreifen, nachdem das llebel größere Ver­breitung erlangt hat und daher schwerer zu bekämpfen ist.

6) Uedrigens ist es für den einzelnen Baumzüchter unmöglich, hier mit Erfolg für sich allein zu wirken. Vielmehr ist selbst- vevständlich, daß sämmtliche Baumbesitzer der ganzen Markung gemeinsam Vorgehen müssen wenn ein gelungener Erfolg erreicht werden soll. Nur bei solcher Gemeinschaft­lichkeit, welche übrigens durch die Behörde zu leiten und zu überwachen ist, kann man der Erreichung des Zwecks sicher sein. Deß- halb sind auch alle Baumbesitzer verbindlich zu machen, sobald sie irgend etwas Verdächtiges an ihren Pflanzungen wahrnehmen, dießfalls sofort Anzeige bei der Behörde zu erstatten.

(.Schluß folgt.)

Redaktion, Druck und Verlag von Jak. M e e h in Neuenbürg.