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man keine besondere Ursache hat sich zu erwärmen, zumal da die Einführung der neuen Ordnung der Dinge nicht ohne einzelne Reibungen und Opfer hatte vor sich gehen, können. Indessen rüsteten in der Stille die alten, nur für den Augenblick verstummten Gegner zu neuem Kampf.— Was ist es nun, das an dem diesmaligen Jahrestag uns zahlreicher als je und ich glaube auch, in erregterer Stimmung und gehobenerem Muthe hier zusammengesührt hat? Im ruhigen und ungestörten Besitz pflegt der Mensch den wahren Werth seiner Güter nicht zu schätzen; erst wenn eine Gefahr an sie herantritt, wenn etwa eine Krankheit die uns theuren Personen niederwirft, fühlen wir alsbald an dem stärkeren Klopfen unseres Herzens, wie viel für uns auf dem Spiel steht. So ist es uns nun bei den letzten Wahlen mit Kaiser und Reich gegangen; wir waren be troffen vvn den unerwarteten Gefahren, die es bedrohten. Und es ist in der That eine sehr schwere und ernste Thatsache, über deren Tragweite sich Niemand einer Täuschung hingeben darf, daß das deutsche Volk bei seinem zweiten Wahlgang ein volles Drittheil von gefährlichen und ge fchworencn Feinden der neuen Ordnung in den Reichstag geschickt hat. — Es ist jetzt nicht mehr an der Zeit, die Hände in den Schooß zu legen; wir müssen brechen mit der deutschen Art oder Unart, daß der Bürger meint, er dürfe nur von Zeit zu Zeit, nach Laune, «ach geringfügigen Ge- sichtspunlten, ja aus den unverantwortlichsten Motiven einen Wahlzettel in eine Urne werfen oder auch nicht werfen, um dann als kritisirender, raisonirender oder gleichgültiger Zuschauer den weiteren Verlauf der Dinge abzuwarten und die Verantwortung Ändern zu überlaffen. — Es kann jetzt nnd für die nächste Zukunft nur noch zwei Lager in Deutschland geben, solche, welche das Reich bekämpfen und untergraben, und solche, welche es beschützen und befestigen wollen. Und es muß der Spruch gelten : wer nicht für mich ist, der ist wider mich — Wenn unsere Gegner deren Standpunkte doch himmelweit aus einander liegen, dennoch in geschloffenen Reihen kämpfen, warum sollten wir es nicht können, die wir alle den Kaiser ehren wollen, aber es doch nicht unterlassen, so oft nur um den Bart des Kaisers mit einander zu streiten.
(Fortsetzung folgt.)
Miszellen.
Ein Oberomtmann aus dem vorige«
Jahrhundert.
(Bon Louise Pichler.)
(Fortsetzung.)
Der Aktuarius, der jetzt für seine eigene Klage kerne Erinnerung mehr hatte, begab sich zuerst in die Amtsstube, wo die Schreiber, die ihn sonst liebten, bei seinem Eintritt verlegen und schuldbewußt die Blicke senkten.
Strenge fragte er: „Kann mir einer von Euch sagen, was sich begeben bat, ehe ich kam? vH der Herr Oberamtmann Streit gehabt mit dem Offizier?"
„Wir wissen nichts — wir können uns nicht erinnern — wir haben nichts gesehen, waren eifrig an der Arbeit —" versicherten die Angeredeten auf's Eifrigste.
„Nun denn," sprach der Aktuarius scharf, „es ist gut, daß Ihr nichts gesehen habt, denn ich versichere Euch, wenn Einer unter Euch gesehen hätte, was hier vorging, ohne dabei sich zu rühren, um seinem Herrn gegen einen Unverschämten zu Hilfe zu kommen, und wenn dieser Eine noch die Frechheit hätte, irgendwo ein Wort davon zu verlauten, so würde er augenblicklich aus dem Dienste entlassen werden!"
Nach dieser Mittheilung, welche die Schreiber in verlegenem Schweigen aus- nahmen, setzte sich der Aktuarius an den Pult, um ein Klageschreiben an den Herzog aufzusetzen, das, wie er hoffte, am Ehesten das krankhaft zerstörte Gemüth des unglücklichen Mannes beruhigen könnte. Bon dem Oberamtmann hatte er kein Wort der Erklärung über den unerhörten Vorfall vernommen, hatte ihn auch mit keiner Frage belästigen wollen. Dagegen gelang es ihm, von einem der eingeschüch- terlen Schreiber, der unlängst bei Verwandten in Stuttgart gewesen war, die Mittheilung zu erhalten, daß er glaube, den gefürchteten Oberst Rieger in dem Eindringlinge erkannt zu haben. Nun erst vermochte sich der Aktuar, der sich der Aeußerungen des Oberamtmannns bei Gelegenheit des neuen Aushebungsbefehls eutsann, den Hergang ziemlich genau zu erklären.
Als er die von ihm aufgesetzte Klageschrift Abends noch dem Oberamtmann zur Beförderung überreichen wollte, wurde er nicht zugelaffen.
„Mein Bruder liegt zu Bett," sagte die gute Tante Sabine. „Ich fürchte, es steht schlimm, nnd doch will er den Doktor nicht kommen lassen. Können Sie mir nicht sagen, Herr Äktuarius, was denn geschehen ist? Ich rieth auf einen Schlaganfall, die Lene in der Küche aber will einen Militär anreiten gesehen haben, mit dem sich mein Bruder echauffirt habe."
Einer Erklärung ausweichend, suchte der Aktuarius die besorgte alte Dame zu beruhigen.
„Wäre nur Laura jetzt hier-" begann sie nun auf's Neue zu klagen. „Er hat stets mehr au dem Mädchen gehangen, als er gestehen wollte. Und jetzt, da er krank wird, muß sie in der Ferne sein!"
In nicht geringer Unruhe verabschiedete sich der Aktuarius. Auch er brachte die Nacht schlaflos zu. Es war jetzt nur noch der alte Freund seiner Familie, der Va
ter Laura's, den er in dem sonst so wenig geliebten Vorgesetzten sah. Im Laufe des Vormittags fragte er wieder nach dem Befinden desselben, vernahm aber von der Tante Sabine wenig Tröstliches. Der Oberamtmann spreche kein Wort, ja er weigere sich sogar Speise zu sich zu nehmen, klagte dieselbe, sie fürchtete gar, er möchte noch irrsinnig werden.
Schweren Herzens verfügte sich der junge Mann wieder in die Amtsstube. Bon hier ward er im Laufe des Nachmittags abgerufen, da der Oberamtmann ihn zu sprechen begehre. Er nahm seine Klagschrift zur Hand nnd beeilte sich, dem Rufe zu folgen.
Mit Ueberraschung traf er einen Fremden im Familienzimmer, den ihm Tante Sabine als einen Herrn Expeditionsrath, Verwandten ihrer Frau Schwägerin in Stuttgart, vorstellte. Der Aktuarius wußte alsogleich, wen er vor sich sah, nnd er- wiederte die etwas herablassende Begrüßung des Herrn Rathes mit steifer Kälte.
Der Oberamtmann, der ernst, mit wiedererlangter ruhiger Haltung in seinen. Lehnstuhle saß, begrüßte den Aktuarius mit schweigendem Kopfnicken nnd nahm sofort das Klageschreiben aus feiner Hand. Er las dasselbe und reichte es, ohne sich darüber zu äußern, dem Expeditionsrathe, der cs rasch mit den Augen durchflog.
„Recht gut," lächelte dieser mit vielsagendem Achselzucken. „Wirklich guter Styl
für einen jungen Mann vom Lande.-
Doch erlauben Sie mir — abgeschickt darf diese Schrift niemals werden! — Wie gut, daß ich sogleich hierher eilte! Ahnte mir doch, daß eine Unvorsichtigkeit begangen werden könnte."
„Wie? Sie sind nicht zufällig hier?" fuhr der Aktuarius glühend auf, während der Oberamtmann noch immer seine ungestörte Fassung behauptete. „Der unerhörte Frevel sollte laut geworden fein? Kann der Oberst die Frechheit haben, sich seiner That noch zu rühmen?"
(Fortsetzung folgt.)
Geographische Räthsel für die Jugend.
1.
Vorw ärts ist's ein Name aus der Götterlehre. Rückwärts trennt es zwei bekannte Meere.
2 .
Streiche den letzten Buchstaben von einem gewissen Baum, und es zeigt sich eine württembergische Stadt.
3.
Welche kleine Insel wurde von einem großen Kaiser als einziges Besitzthum regiert?
Ms-che.
Vom Sonntag den 12. d. Mts. an befindet sich das Postamt in dem an der Hauptstraße gelegenen Haus 104 neben dem Kaufmann Luppoloschen Haus.
Wildbad, den io. Avril 1874.
Kgl. Postamt. Find 1.
Redaction, Druck und Bertag von Jak. Meeh in Neuenbürg.