Ealmer Wollienblaü.

Samstag

Beilage za Ur. 134.

12. November 1898.

e re i 1 ü 6 t ^ re. Nachdruck »erboten.

Aie «e«e Mam sei.

Roman von M. Widdern.

(Fortsetzung.)

Ja, ja, die Gräfin ist hart und streng. Sie verlangte auch von mir kaum Ausführbares/ entgegnete die Kranke seufzend und legte für ein paar kurze Momente den Blumendraht aus der Hand, welchen sie mit braunem Seidenpapier umwickelte. Während sie dann von neuem die schwachen Finger zu rühren be­gann , meinte sie:Ich habe aber, ganz wie Sie, liebe Elly, alles mit Geduld ertragen. Freilich wußte ich mir auch zu sagen, daß die Härte der Gräfin ent­schuldbar sei . . . Nicht wahr, Väterchen/ wendete sich Henriette an den Haus­hofmeister,ganz so streng, wie sie jetzt ist, war Erlaucht nicht in ihrer Jugend? Sie wurde es erst, als"

Aber Herzchen, davon dürfen wir doch nicht reden/ unterbrach Werner erschrocken die Worte seines Kindes. In diesem Augenblick fühlte er aber seine Rechte gefaßt. Die Augen der Mamsell schauten mit seltsamem Ausdruck in das gute Gesicht des Haushofmeisters.

Glauben Sie, ich fände Gefallen an elendem Geklatsch, Herr Werner, daß Sie mir nicht vertrauen?" sagte das junge Mädchen dann, und auch Elinors Stimme verriet wunderliche Erregung.O, warum wollen Sie mich nicht wissen lasten, was doch Henriette bekannt ist? Es müßte ja auch mich noch geduldiger machen, wenn ich erführe, wodurch meine Herrin hart und unduldsam geworden/

Die Worte waren so flehend über die Lippen Elinors gekommen, daß der alte Diener der Rudolfsburgs verwundert den weißen Kopf schüttelte. Einen flüchtigen, wie um Rat fragenden Blick warf er dann zu seiner Frau hinüber. Als diese ihm aber mit leise bejahender Bewegung antwortete, sagte Werner, herzlich die Hand drückend, welche die seine umfaßt:Also noch geduldiger im Ertragen wollen Sie sein, als Sie so schon sind, Fräulein? Ei, ei, das dünkt mich denn doch, versprechen, was Sie zu halten nicht imstande wären. Doch, wenn sie durchaus misten wollen, was es ist, auf das unser armes, krankes Kind gedeutet, nun, so können Sie es ja auch erfahren. Sprechen werden Sie ja doch nicht über die alte, häßliche Affaire. Und wenn auch sie ist niemanden etwas Neues. Alle Welt weiß, daß"

Daß?" fragte Elinor atemlos, als der alte Mann hier eine Pause

machte.

Nun, daß die Gnädige eine unglückliche Liebe gehabt!"

Eine unglückliche Liebei" wiederholte Mamsell.Fast dachte ich mir's," setzte sie leise hinzu.Also eine unglückliche Liebe?" fragte sie noch einmal. Können wollen Sie mir nicht auch sagen, zu wem?"

Wieder zögerte Werner, und wieder sah er seine Frau, wie Rats erholend, an. Und wieder neigte diese den Kopf, als wollte sie sagen:So sprich doch!"

Na, es war ein junger, bildschöner aber blutarmer Offizier ein Herr Erich von Rungen."

Herr Erich von Rungen? Also der Gatte ihrer jüngeren Schwester!" rief Elinor, alles vergessend.

Werner sah sie verwundert an.Nun, der alten Geschichte wird wohl bereits vor Ihnen erwähnt worden sein, liebes Fräulein," sagte er jetzt mit leisem Mißtrauen in Ton und Mienen.Mich dünkt aber durchaus nicht wahr­heitsgetreu, da man Gräfin Clarista mit einem Unrecht in Verbindung gebracht zu haben scheint, das sie nie beging."

Aber Sie sagten doch eben selbst, eS sei ein Herr Erich von Rungen ge­wesen, den die Gräfin geliebt hat. Mein Gott, Herr Werner, so lasten Sie sich doch nicht jedes Wort buchstäblich aus dem Munde zerren/ setzte Elinor hinzu, und ihr Fuß bewegte sich ungeduldig auf der Diele hin und her.

Nun, um aufrichtig zu sein," erwiderte der alte Mann,spreche ich auch nur äußerst ungern über die Vergangenheit meiner Herrin."

Dann sagen Sie mir vielleicht, beste Madame Werner, weshalb die Liebe Gräfin Claristas eine unglückliche war, wenn jener Herr von Rungen nicht identisch gewesen ist mit diesem anderen, der ihre Schwester geheiratet hat."

Aber er war es ja, Gott sei eS geklagt!" rief die alte Frau. Und ge­neigter als der Gatte, über die Vergangenheit der Gräfin zu sprechen, gegen die sie seit der Erkrankung Henriettes einen unüberwindlichen Groll im Herzen trug, sagte sie:Mein Mann meinte nur, daß die Gräfin Herrn von Rungen früher schon geliebt hätte, als zu der Zeit, da Komtesse Manon sich ein Recht auf ihn erworben. In kurzen Worten gesagt, war Gräfin Clarista nämlich die Braut Herrn Erich von RungenS. Eines Tages aber verschwand der saubere Ka­valier und nahm ihr Schwesterchen mit sich."

Mit großen, starrblickenden Augen hörte Elinor diesen Eröffnungen zu.

Ein jäher Schmerz durchzuckte dabei ihre reine, junge Seele, und eS schien ihr, als wäre es unmöglich, sich darin finden zu können diese furchtbare Geschichte in Verbindung mit ihren teuren Toten zu bringen den Eltern, die sie beide so grenzenlos geliebt und welche in geradezu musterhafter Ehe gelebt hatten. Immer immer wieder gellte es in ihrem Ohr:Meine Mutter ist mit dem Manne in die Welt hinausgegangen, der der Verlobte ihrer Schwester war." O, das von dieser sanften guten Frau zu glauben, die sie wie ein höhere« Wesen verehrt hatte, war kaum möglich. Und doch dir alten Leut» hier würden es ihr nicht gesagt haben, wenn eS nicht Wahrheit furchtbare Wahr­heit gewesen. Weshalb sollte denn auch die Mutter nur da« kleine Pflichtteil er­halten haben, als der Großvater gestorben, genau zu der Stunde, da» wußte sie von den Lippen der Toten und Thränen hatten dabei das schöne Gesicht der­selben genäßt genau zu der Stunde, als Manon nach der Hochzeitsreise mit dem Gatten in jener Stadt im Rheinlande Wohnung genommen, in der sie dann auch das nachherige Leben zugebracht haben. . . .

Mit Aufgebot ihrer vollen Kraft zwang Elinor sich dazu, die Erregung niederzukämpfen, in welche die Worte Madame Werners sie versetzt hatten. Und nach einer kleinen Weile, während jede« Glied in diese schlichten Tafelrunde mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt war, kam e« in vollständig ruhigem Ton über ihre Lippen:Herr von Rungen muß die junge Komtesse aber doch zu dem unseligen Schritt verleitet haben? Warum, wenn ihm die jüngere Schwester bester gefiel als die ältere, warb er denn nicht gleich um Komtesse Manon?"

Hätte er möglicherweise wohl auch gethan," erwiderte Madame Werner, wenn er das kleine reizende Persönchen gleich zu Gesicht bekommen, als er auf Rudolfsbürg seine Visite machte, um sich die Hand Komtesse ClaristaS zu erbitten."

Nur weil sie eine Erbin war?" fragte Elinor, und niemand hatte eine Ahnung davon, welche Qual ihr diese Frage verursachte mit welcher Angst sie auf die Antwort hörte.

Nicht doch, sondern weil Herrn von Rungen ein Ehrenmann war. Zu der Werbung, um die abschreckend häßliche älteste Tochter de« Grafen RudolfS- burg zwang den jungen Offizier aber ein kleines wunderliche» Abenteuer. Ich will Ihnen dasselbe erzählen, wie e« auch mir erzählt worden ist."

Aber Frau!"

Der greise Haushofmeister hatte mißbilligend zu seiner Gattin hinüberge­blickt. Die aber war jetzt ins Schwatzen gekommen und dachte nicht mehr daran, ihrem Zünglein Einhalt zu gebieten, um so weniger, als sie sah, mit wie großem Interesse Elinor ihren Worten lauschte.

Ach was, Alter," erwiderte sie dem lieben Gefährten denn auch und ließ das Strickzeug in den Schoß sinken,eS ist ja nichts dabei, wenn ich dem Fräulein anvertraue, wovon damals alle Welt sprach."

Nun ich weiß doch nicht"

Still, Mann, still! Sie aber, mein liebes Fräulein, hören nun, wie sich die Sache verhielt: Es war vor nicht viel mehr, als einundzwanzig Jahren," begann sie dann und ließ ihre Nadeln klappern,Werner und ich lebten damals noch auf Rudolfsburg, wo mein Mann ebenfalls die Stellung de» Haushof­meisters inne hatte. Sie müssen nämlich wissen, Werner verließ das Rittergut erst nach dem Tode des alten Gnädigen auf Veranlassung Gräfin ClariffaS, die uns durchaus nicht nehmen wollte, als sie hierher zog. Doch da» nur nebenher, Fräulein Elinor. Es war also vor nicht viel mehr, als einundzwanzig Jahren, als der Gutsnachbar unseres gnädigen Barons, Hart auf Wallingen zur Einweihung seines neuen, prächtigen Hauses einen Ball veranstaltete, zu dem nicht bloß der Adel der ganzen Gegend, sondern auch sämtliche Offiziere der nahen Garnisonstadt geladen waren. Unter den letzteren befand sich auch Lieute­nant von Rungen, ein junger Reitersmann, der dazumal noch der Liebling der vornehmen Damenwelt war. Na, einen hübscheren Offizier, als er gewesen, könnte man sich auch kaum denken. Es hat mich deshalb auch später oft wie im Mitleid mit dem eleganten, von Schönheit strahlenden Mann gefaßt, wenn ich Komtesse Clarista an seinem Arme sah. Komtesse Manon war dazumal noch in einer Pension in der französischen Schweiz, in welcher zur Zeit viele jung« Damen aus dem Adel der Umgegendihre höhere Ausbildung" erhielten wie e» hieß."

Aber Sie wollten mir ja erzählen, Frau Werner, waS waS Herr» von Rungen dazu veranlaßte, um Gräfin Clariffa zu werben?"

Ja, ja, liebes Fräulein ich komme schon zur Sache. Nun also eS war auf jenem Ballfest, als Lieutenant von Rungen, dem wohl die schweren Weine während des Soupers ein wenig zu Kopf gestiegen sein mochten den Saal verließ, um sich für ein paar Minuten im Freien zu ergehen. Die Witter­ung war jedoch keine angenehme. So dehnte er feinen Spaziergang nur eia paar Minuten aus, betrat dann das Schloß aber von einer anderen Seite, al« die war, von der aus er es verlassen. So sah er sich unvermutet in einem Gange, der nur wenig erleuchtet war, da er nur zu der Küche und den Schlaf­räumen der weiblichen Dienstboten führte. (Forts, folgt.)