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Miszellen.
Der herhängnißvolle Brief.
(Fortsetzung.)
Die schwere eisenbeschlagene Thüre öffnete ffch bald vor ihnen und die Familie betrat den düster», feuchtkaltea Gang, der auf beiden Seiten die Zellen für die Gefangenen und Verbrecher enthielt- Vor einem kleinen, starkverfchlossenen Eingang machte der Schließer Halt. Das gewichtige Schloß knarrte» die Thüre öffnete sich und Frau Waldner befand sich in der kleinen Gefängniszelle ihrem armen Gatten gegenüber. Dieser, als er sein liebe-, gutes Weib, seine Kinder auf der Schwelle seines Gefängnisses erblickte, stieß einen herzzerreißenden Schrei aus, in dem Freude und Schmerz gewaltsam um die Herrschaft rangen, und eilte auf seine Lieben zu, alle an seine Brust drückend nnd unter still herabrieselnden Thränen küssend und begrüßend.
Der GerichiSdiener hatte sich scheu and verlegen in eine Ecke der Zelle gedrückt und wagte kaum, auf die bemitleidcnSwerthe Familiengruppe zu schauen. In dem Herzen des sonst wohl harten Mannes mußte sich mehr als Mitgefühl, wohl gar der Glaube au die Unschuld des Eingekerkerten regen. Sein Gesicht abgewendet, bedauerte er gewiß tief, daß seine Pflicht ihn nöthigte, Zeuge dieser Unterredung zu sein.
Der Auftritt, der nun folgte, war wahrhaft herzzerreißend. Waldner hatte seine durch die Aufregung furchtbar angegriffene Frau zu dem ärmlichen Lager geführt und die Wankende dort niedcrsitzen lassen. Dann nahm er die Kinder auf seinen Schooß, umsing sie mit dem einen Arm, während er mit dem andern seine arme Frau, die heftig zu weinen begonnen, unterstützte. Sein Herz schnürte sich beim Anblick seiner armen, dem Unglück preisgegebenen Familie gewaltsam zusammen, und er fand anfänglich selbst kaum einige Worte des Trostes und der Ermuthigung. Doch gab ihm der jammernswerthe Anblick der Seinen bald wieder Stärke und Kraft, und sein Gefühl der Unschuld hob ihn mächtig empor. Seine Sache müsse sich aufklären, meinte er; der Himmel könne nicht zugcben, daß er so unschuldig leide Mid jener schurkische Postbote ungestraft so Entsetzliches vollsühre. Die Untersuchung werde wohl Alles bald ans Licht ziehen und er sicher gereinigt, gerechtfertigt aus dieser Prüfung her- Vorgehen:
„Habe nur Muih und Vertrauen, mein liebes Weib," so sprach er, „Glaube an mich!! du mußt ja wie ich selbst von meiner Unschuld überzeugt sein! Bald, gewiß recht bald wirst du mich wieder bei dir, in der Mitte der Kinder sehen. Denke an dieses, an unser armes kleines Mädchen, welches deiner Pflege — deiner Gesundheit so sehr bedarf und sei stark! laß dich nicht niederbcugen. Ich bin voll froher Hoffnung, voll Gottvertrauen. Du wirst sehen, er, der Schutz und Schirm der Armen und Bedrängten ist, wird uns nicht zu Schanden werden lassen! Drum habe Muth und hoffe; es wird gewiß noch Alles gut und wir werden wieder glücklich werden!"
Unter Thränen schaute die Frau zu ihm auf und
sprach so fest, als eS das Weine», die Aufregung ihrer Stimme nur gestattete: „Ja, Waldner, ich glaube an dich, an deine Unschuld! Doch fügte sie hinzu,! indem sie das Haupt schüttelte — „wage ich nicht mehr, auf ein Glück, auf schönere, bessere Zeiten zu hoffen! Dieser Schlag ist zu hart: er wird dich und mich und uns Mt vernichten. Du hast dich selbst ins Unglück geredet. Hättest du nichts mehr von dem unglückselige» Brief gesprochen, so wäre die Sache, wie so manche andere, im Strome der Zeit verschwunden, untergegangen. Der Briefträger, der da leugnet, den Brief wieder zurück erhalten zu haben, kann keine- Ander» überführt werden und die Unterschlagung des Schriftstückes mit dem Gelbe bleibt auf dir, auf deinen armen Kindern für ewige Zeiten haften. Man wird dich von uns reißen für lange, lange Zeit! — O Gott! o Gottk was soll dann aus uns werden, auS mit und aus den Kleinen?!"
Ein neues Schluchzen unterbrach ihre Worte, in das die Kinder, die aus den Reden der Mutter nunmehr ahnten und hörten, daß der Vater sie verlassen würde, laut und herzzerreißend miteinstimmten, indem sie sich zugleich fest an ihn klammerten.
Dem Gerichtsdiener, der bis jetzt stille in der Eck» gestanden, mußten wohl auch die Thränen in dir Augen getreten sein. Er fuhr sich unbemerkt einige Male über das Gesicht, dann arbeitete er sich fachte nach der Thüre hin, und für diesmal seine Pflicht vergessend, stahl er sich leise und unbemerkt aus der Zelle.
„Du gehst nicht fort von uns, Vater! Du kommst mit uns und der Mutter nach Hause!" so stammelte der kleine Knabe, indem er fast convulfivisch den Hals des Vaters umfaßte.
„Sei ruhig, mein Söhnchen! ich komme bald wieder zu euch, dann bringe ich das OsterhäSchcn und schöne bunte Eier mit. Aber hübsch ruhig und artig mußt du sein, der guten Mutter keinen Kummer Machen. Nicht wahr, daS versprichst du mir?
„Ach ja, Vater! ich will schon ganz artig sein, aber du mußt mit kommen," antwortete der Kleine.
„ES ist Zeit," sagte Waldner jetzt gefaßt zu seiner Frau. „Geh' mit den Kindern nach Hause. Ihr macht mir sonst das Herz zu schwer und ich habe Muth und Kraft nothwendig. Deine Gegenwart, die Küsse meiner lieben Kleinen haben mich gestärkt uno ich werde ruhig ertragen können, was der Himmel über mich verhängt. Er wird eS wohl nicht zu schwer Machen und sicher zur rechten Zeit mit seiner Hilfe bereit sein. Dies bedenke, beherzige, gutes Weid, und darum Nochmals, Muth und Vertrauen!"
Frau Waldner hatte sich erhoben, Und indem sie ihren Mann fest und lange umhalste, barg sie ihr weinendes Antlitz an seiner Brust.
„Muth, Fassung, Weib!" flüsterte dieser ihr zu, sie sanft auf die Stirne küssend. „Denk' an die Kinder und mache uns Alle den Abschied nicht gar zu schwer !"
(Fortsetzung folgt)
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