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Miszellen.
Der verhängnißvolle Brief.
(Fortsetzung.)
Das Schreiben ist nicht an mich gerichtet, dachte vernicht wenig überraschte Waldner, »nd zugleich öffnete er das Blatt, um den Schluß des Briefes, den Namen des Schreibers, der ihm wohl den besten Anhaltspunkt über einen etwaigen Jrrthum geben konnte, zu suchen. Doch bald wäre ihm der Brief vor Schreck und Staunen aus der Hand gefallen, denn zwischen den feinen Blättchen lag ein dunkles bedrucktes Papier, das Waldner alsogleich als eine englische Banknote erkannte. Ein lauter Aufschrei entfuhr ihm, und gleich darauf eilte die junge Frau, die diesen Ton im Nebenzimmer gehört hatte, herbei. Waldner deutete auf den Brief und seinen Inhalt, und die blaffe Frau schlug schon vor Freude die Hände zusammen, sank aber gleich wie vernichtet auf einen Stuhl, als ihr Gatte den Brief wieder zusammcnfaltcte und ihr mit wenigen Worten erklärte, daß derselbe nicht an ihn gerichtet sei, der Briefträger sich einfach in der Adresse geirrt habe. Diese stand denn auch auf dem rothen Couvert, und bei einigem genauen Hinschauen deutlich zu lesen und lautete:.
"An Herrn Waldhcim,
Rentier, Felsstraße."
Obschon der Name des Adressaten Waldner unbekannt war, so kannte er doch genau die angegebene Straße, dir ganz in der Nähe feiner Wohnung lag, und es war kein Zweifel, daß der Briefträger sich geirrt, vielleicht gar eine Verwechslung von Briefen stattgefunden. Waldner hatte einen fremden Brief erhalten, während vielleicht das so sehnlichst erwartete Schreiben in fremde Hände gerathen war. Dieser Gedanke brachte ihn fast zur Verzweiflung, und ärgerlich, unwillig sagte er: „Ich werde den Brief dem Postboten wieder einhändigen, aus daß er ihn an seine rechte Adresse besorgt!"
„Ohne zuerst nachzusehen, wie viel Geld er eigentlich enthält?" entgegncte die Frau.
„Obne einen Blick weiter hineinzuwerfcn."
„Aus der Adresse ist aber weder Werth noch Inhalt angegeben. Wer weiß, ob der Bnefträger sich erinnern wird, uns den Brief gebracht zu haben?" sprach etwas zögernd die junge Frau, indem sie mit bittendem, sprechendem Blick zu ihrem Gatten aufschaute, „Das wäre Hilfe in der Noth unv gerade jetzt! — ror Ostern!" murmelte sie leise weiter.
Waldner, der wohl ahnen mochte, was in ihrer Seele vorging, schaute sie ernst an, dann ging er in die andere Stube, verschloß den inhaltschwcren Brief in seinem Schreibtisch und sagte: „Es ist die höchste Zeit, daß ich aufs Comptoir gehe- Ich habe viel zu thun und es wird heute wohl ein Uhr werden, bis ich wieder nach Hause komme."
„Und bringst du dann den Osterkuchen mit, Papa? Plauderte der Kleine dazwischen.
Keine Antwort erfolgte hierauf. Die Frau seufzte tief und warf einen betrübten Blick auf das Kind, dann aber, nachdem Waldner mit einem Händedruck und mit herzlichen Küssen Abschied von ihr, von den ndern genommen, die Wohnung verlassen, 'ging sie
still und geduldig wie immer an die. Ässorgung ihrer kleinen Haushaltung, an die Herrichtnug des gar einfachen Mittagessens.
Am selben Tage kam Waldner Abends mit recht vergnügtem Gesicht und seine still nud traurig dasitzende Gattin auffallend munter grüßend nach Hause. Nachdem er die Kinder, die sich an ihn klammerten, herzlich geküßt, eine Weile recht aufgeräumt mit ihnen geplaudert »nd gescherzt, stellte er sich plötzlich vor seine Frau, schaute sie mit glänzenden Blicken an, griff dann rasch in die Tasche und flegle eine Anzahl blanker Goldstücke vor die höchst verwundert Aufschaucnde auf den Tisch.
„Gold! — wo. hast du das Gold her, Waldner? fragten Mund und Augen der Erstaunten, indem sie bald auf die so verlockend blickenden Goldstücke, bald in das Antlitz ihres Mannes schaute.
„Frage nicht lange, Weib, sondern freue dich, daß es da ist!" sagte Waldner zufrieden lächelnd und sich an dem Erstaunen der Gattin weidend.
Du hast dich also doch noch einmal an Herrn Mecrmann gewendet? Und all dieses Geld — es müssen wohl hundert Gulden sein! — hat er dir gegeben?«
„Was denkst du? - Ich bin bei der Kaffe meines Prinzipals zu tief in der Schuld, als daß ich noch einmal hätte wagen können, Herrn Mcermann um eine neue Vorlage anzugehen. Auch würde mir dieser aller Wahrscheinlichkeit nach anstatt der zehn blanken Gold- stücke eine große Rede voll Salbung und Moral gehalten haben, denn du weißt, daß mem würdiger Freund und College, obschon im Grunde ein ganz guter Mensch und tüchtiger Buchhalter, doch dle schwache Seite hat, gerne viel und besonders sehr laut zu reden, und das wäre mir in solchem Falle, bei gleicher Angelegenheit doppelt ungelegen gekommen. Ich habe mich dcßhalo wohl gehütet, mich an ihn um Hilfe zu wenden."
„Und wo hast du den» welche gefunden? Ich wüßte Niemanden, der bereit wäre, uns also auszu- hclfenl«. sprach die Frau, indem sie schon die Hand ausstreckte, um die Goldstücke, die ihr so reiche Hülfe in ihrer trostlosen Lage gewähren konnten, zu fassen.
. ;,Wcnn du das wüßtest!" rief Waldner mit Lustig- . keit, .dte jedoch etwas gezwungen, fast verlegen klang. Und sie wohl nur neckend, fuhr er erst nach einer kleinen Pause fort: „Nimm das Geld nur immerhin, zahle selbst, was zu zahlen ist — du weißt das so gut wie ich — und behalte dann das Uebrige für die Haushaltung.
Plötzlich hielt die junge Frau, die sich schon eifrig mit den Goldstücken befaßte, in dieser Beschäftigung tnne. Ein Gedanke sonderbarer.Art wußte ihr durch den Kopf gefahren sein, denn ihre bleichen Gcsichlszüge wurden wo möglich noch fahler, und sie mußte sich auf ihren Stuhl zurücklcbnen, um dem sichtlich zitternden Körper einen Hall zu geben. Einen Augenblick schaute sie, sich gleichsam sammelnd, ihren Mann an, der sich schon w cdcr mit den Kleinen beschäftigte, dann aber sprach sie mit leisem Ton: »Und den Brief — den fremden Brief, mit dem Gelbe - hast du ihn seinem Etgcnthümer wieder zugcstcllt?
„Natürlich! antwortete Waldner leichthin und. sich nicht in seinem heileren Spiele mit den Kindern störe» lassend. „Ich. habe den Brief nach Tisch , wäbrend du deine Gänge, besorgtest, dem Postboten Meusel wieder -»gestellt; er hat mir versprochen, ihn sofort Herrn Waldheim zu Überbringer:.
(Forts, folgt)