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Der Kirchenbrand in Santiago.

In Santiago de Chile der sehr regelmäßig nach spanischer Art gebauten Hauptstadt der süvamerikanischcn Republik Chile, am Mappo, mit 85,000 Einwohnern und neben den übrigen höchsten Stellen des Freistaates mit einem Bischofssitze versehen brach am 8. De­zember 1863 i» der alten JcsuitenkircheLa Compania" eine furchtbare Feuersbrunst aus, wobei das prachtvolle Gebäude und etwa 2000 Personen, meistens Frauen, Mädchen, Greise und Kinder, die sich in der Kirche be­fanden, ein Raub der Flammen wurden. Ein deutscher Augenzeuge beschreibt ausführlich in dem in Valparaiso erscheinenden Blatte -LaPatria" das entsetzliche Schau­spiel. Nach der Kölnischen Zeitung entnehmen wir dem Berichte folgende Einzelheiten: Das Feuer brach um acht Uhr Abends aus, während mehr als 2000 Men­schen das Innere der Kirche ausfüllten, in der die letzte Feier des Monats der heiligen Jungfrau abgchaltcn wurde. Die mit künstlichen Blumen und brennbaren Stoffen angefüllte Kirche war durch mehr als 20,000 Gaeflammen erleuchtet. Ein Sacristan, mit dem An­stecken der letzten Lichter beschäftigt, näherte den Zünder einem von Gasflämmchen gebildeten Halbmonde, der sich am Fuße eines die heilige Maria vorstcllenden Ge­mäldes befand. Das Gas strömte in jenun Auge, b i kc mit dem vollsten Drucke aus, weßhalb die Flamme so­fort fußhoch aufloderte und die Altardecken ergriff, durch diese theilte es sich dem Holzwerke und alsdann der Decke mft. Alles dies war das Werk eines Augen, blicks, und um so leichter, da der Hauptaltar durch mehr als 2000 Gasflammen beleuchtet war. Sofort ergriff das Feuer die prächtige Kuppel der Kirche. Die Verwirrung stieg aufs höchste. Die ganze Versamm­lung drängte sich nach den Haurtlhüren, von denen die in der Calle de la Bandera befindliche nur halb geöff­net war. Mitten in vieler Verwirrung stürzten einige ohnmächtig in den Portalen nieder, andere wurden durch den Druck der das Freie suchenden Menge zum Fallen gebracht, so daß alle Scitenthüren sofort völlig verrammelt waren durch eine compacte Menge von menschlichen Körpern. Das Geschrei und Wehklagen wurde weithin vernommen. Die Flammen verzehrten bereits die Altäre der Seitenwände, und das brennende herabstürzende Dachgebälk theilte das Feuer den Ge­wändern mit und setzte die ganze Versammlung in Brand. Der Anblick war haarsträubend: in den Thür- gcwvlben selbst war keine Rettung mehr möglich. Hun­dert herku'ische Arme strengten sich gleichzeitig an, um ein einziges Opfer dem Tode zu entreißen; vergebliches Bemühen! Man zerstückelte eher den Körper, als daß man ihn vom Haufen zu trennen vermochte. Das Feuer verzehrte indessen die Kuppel, die mit einem furchtbarn Getöse zusammenbrach und herabstürzte. Vom Deck- gewölbc der Kirche fielen brennende Bretter auf die unglücklichen Frauen. Die Einbildungskraft sträubte sich dagegen, die Kirche wiederzuerkennen. Auf der einen Seite der Feuerregen des Daches und die auf die dichtgedrängte Menschenmenge niederfallenden Al­täre, auf der anderen Seite der fürchterliche Wtrrwar bei dem Ausgange. Um einen einzigen dieser Unglück­lichen zu retten, war cs nöthig, eine halbe Stunde lang die übermenschlichsten Anstrengungen zu machen.

Das Feuer pflanzte sich durch den den Santiaginerin- nen eigenen üppigen Haarwuchs fort, die Flammen schlugen vier Ellen hoch vom Boden auf, genährt nicht so sehr durch die Trümmer der K,rche, als durch die dicht gedrängte lichterloh brennende Menschenmenge. Statt einer Kirche glaubte man die Hölle selbst zu er­blicken. Personen, die Hilfe riese», sich schüttelten, ihr von den Flammen ergriffenes Haar schwangen, sich das Antlitz zerrissen und dann in sich selbst zusammen­stürzten I Frauen, die nicht mehr die Kraft, sich zu be­wegen, besaßen, erschienen in jenen Unglücksmomenten vor den Blicken wie eine optische Vision, zuerst weiß und schön, dann verwelkt, gleich darauf mit brennenden Haaren, und einen Augenblick später, bereits verkohlt, glichen sic leblosen Bildsäulen. Es gab einen Moment, in dem die ganze Ausdehnung zwischen der Hauptthür und dem Presbyterium sich in einen ungeheuren Schei­terhaufen verwandelt hatte. Bewegungslose Gruppen erschienen in diesem fürchterlichen Schauspiele, die kaum sich als menschliche Wesen erkennen ließen Furchtbare Kämpfe zwischen dem Tode und dem Leben, Kämpft zwischen Männern, Frauen, Kindern, beleuchtet von dem unseligen Glanze der Alles verzehrenden Flammen. Die Bäume auf dem Platze vor der Kirche wurden mit den Wurzeln ausgeriffcn, um mit ihrem Laubwerke Hunderte von Opfern zu beschützen, die noch Lebens­zeichen gaben. Das Laubwerk wurde hineingebracht und tausend Arme streckten sich aus, um das Gezweigt zu erfassen, das sich sofort in Kohlenbrände in ihren Händen verwandelte. Die Trauerklänge der Glocken kündeten die Sterbestunde vieler Hunderten von Per­ionen an. Einen tiefen Schauder verursachte ihr melan­cholischer Ton, unterbrochen von dem immer seltener werdenden Angstgesckrei der Verzweiflung der wenigen noch überlebenden Opfer. Grabesstille herrschte alsdann M dem Momente, wo 1800 bis 2000 Unglückliche ihre Seelen dem Ewigen überlieferten, während ihre Körper in schweren, übelriechenden Rauchwolken verflogen oder unter den Trümmern des Gebäudes erdrückt wurde». Bisweilen ließ sich noch ein vereinzelter, letzter Aufschrei inm tten der Flammen dören. Um zehn Uhr Abends war Alles vorüber. Ader welch schreckliches Schauspiel bot jetzt die Bevölkerung dar! In den benachbarten Häutern hatte man die Sterbenden und die Leichname aufgehäuft. Vierzehn volle Wagenladungen wurden nach dem Hospital oder nach der Polizei transportirt. Die Verzweiflung malte sich in allen Zügen. Ganze Famil en durcheilten die von den Flammen noch be­leuchteten Straßen, um verlorene Mitglieder aufzu­suchen; die Ungewißheit, oft schrecklicher als die Wirk­lichkeit selbst, zerriß die Herzen derer, die eine Tochter, eine Schwester, eine Mutter, einen Bruder aufzusuche», voll Verzweiflung zum Hospital oder zur Polizei eilten und vor innerer und äußerer Ermattung in den Stra­ßen selbst niedersanken.

Der von der Compania eingenommene Grund und Boden wirv zu einem friedlichen, umschlossenen Parke umgestaitct werden. Die nach dem allgemeinen Kirch­hofe gebrachten Leichname werden in einer gemeinschaft­lichen Gruft bestattet. Auf dem sich dort erhebenden Grabeshügel wird ein entsprechendes Denkmal errichtet werden. Möge Gott so viel Tugend, so viel Schön­heit des Herzens und Körpers in seinen ewigen Frieden aufnehmen!