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Miszellen.
Der Sandwirth im Passeyr.
(Aus „Momente deutscher Geschichte" von G. Horn.)
(Fortsetzung.)
DaS Betragen der bayrischen Beamten war nicht dazu angctpan, den Tirolern ihre Befürchtungen zu nehmen, Ke glaubten, den Volkssinn zu brechen, wenn sie den Glauben an die heiligsten Güter derselben mit Füßen träten. So kam z. L. einer der neuen Beamten, mit dem Hute auf dem Kopfe und der Tabacks- pfeife im Munde in die Kirche, derselbe Mann hing den Juden die Meßgewänder um und jagte fie mit einem spanischem Rohre unter lautem »Au waih — au waih" — durch die Zimmer. Solche Beispiele verfehlten nicht, die Volkswuth gegen die neuen Herren zu reizen. Die Aufregung stieg mit jedem Tage, die Währung war über die entlegensten Thäler gekommen. Englische Agenten und Emifsaire thaten redlich das ihrige dazu; dann endlich wirkte die Nachricht von der Erhebung Spaniens gegen Bonaparte's treulose Invasion. Seit Ende des Jahres 1808 gingen geheime Bolen durch daS ganze Land. Die Hoffnungen derselben ruhten auf dem Erzherzog Johann, dem Bruder des Kaisers Franz; er war der Mittelpunkt und das Panier, um welches sich ihre Gedanken und Wunsche schaarten. Im Anfänge des Jahres l809 zogen insgeheim Abgeordnete nach Wien, unter ihnen Andreas Hofer, Wirth am Sand, bei St- Leonhard im Pas- sepr, davon der Sandwirth genannt. Sie sollten in Wien die Stimmung und die Absichten hinsichtlich Tirols erforschen und des Landes festen Wunsch aussprc- chen, sich den Kaiser mit Gut und Blut selbst wieder zu verdienen und ihr gutes alles Recht auf eigene Faust zurück zu erobern. Sie wurden dreimal vom Erzherzog Johann empfangen und dieser beauftragte den damals in der Hof- und Staatskanzlei beschäftigten Frciherrn von Hormapr, einen Plan zur Befreiung Tirols zu entwerfen. Bei den Operationen sollten das Militär und daS Landvolk Zusammenwirken, jenes sollte den geordneten, dieses den sogenannten kleinen Krieg führen. Die Nacht vom 6. zum 9 April >809 rückten die Oester- reicher unter dem General Cbasteler in Tirol wieder ein, in den Thälern tönten die Sturmglocken, von Hügel zu Hügel gingen die Freudensalven, von einem Ende zum andern bewegte sich das ganze Land. In 43 Stunden, nachdem der erste Schuß gefallen, war kein Feind mehr zu sehen und 8000 Mann Franzosen, eine auserlesene Colonne auf dem Marsch von Mantua nach Augsburg, von panischem Schrecken übermannt, Kriegsgefangene der Tiroler. Am 24. April war die Befreiung des Landes vollbracht.
Mit wechselndem Glück führte das Landvolk unter den verschiedenen Führern, wie Teimcr, Speckbachcr, dem rothen Kapuziner Haspinger, den heiligen Krieg gegen die unter dem Oberbefehl des Marschalls Leföbre kämpfenden Baiern, als die für Oesterreichs Fahnen so unglückliche Schlacht von Wagram den Dingen eine andere Wendung gab. Im Lager vor Znaim war ein Waffenstillstand abgeschlossen worden, dem zufolge die Oesterrcicher Tirol und Vorarlberg räumen mußten. Da war es die Kraft des Volkes allein, die auf sich selbst gestellt, sich nochmals und am glorreichsten frei-
! schlug und noch einen vollen Monat nach abgeschlossenem Frieden behauptete. Aber auch dann wurden die Tiroler nicht durch e n Treffen bezwungen, nicht durch Waffen unterjocht, sie gaben nur der Nothwendigkeit nach, zerstreuten und begaben sich einzeln zur Ruhe, noch im Falle siegreich und noch in der letzten Zuckung furchtbar.
Der tragische Schluß des Kampfes war Andreas HofcrS Tod auf den Wällen von Mantua. Seinem Namen ist durch seinen Märtprertod eine historische Verklärung geworden, und wenn man von dem heiligen Kriege der Tiroler gegen ihre Zwinghcrrcn spricht, so wird man auch an den Sandwirth im Paffepr denken müssen und ihm eine Thräne der Erinnerung weihen. Wenn jedoch unsere Leser sich von dem Manne das Bild eines Bolksdelden von hinreißender BegeisteruugS- sähigkeit, von hober Energie, von außerordentlichen Geistcsgaben machen wollten, so wären sie im Jrr- thume. Der Wirth am Sand, so heißt nämlich die Gegend von den Verwüstungen des, Waldstroms im Paffeprthal, welches seinen Namen von der wilden Paffepr trägt, der Nationalheld der Tiroler ragte durch keine Eigenschaft über seine Landsleute hinaus Wie die meisten derselben war er von hoher herkulischer Gestalt, schwarze Augen belebten sein Gesicht, feine Haltung war vorwärts gebogen, sein Gang mit etwas krummen Knien schleppend. Was ihn aber auszcichneie und ihm in den Augen seiner Landsleute sein ganz besonderes Ansehen verlieb, und was, nach der Meinung Hormavrs, an der großen Rolle, die er gespielt, einen viel entscheidenderen Antheil hatte, als seine höchst mittelmäßigen Talente, das war sein bis an den Gürtel reichender, schöner, schwarzer Bart, daher Hofer von den Italienern auch nur -Barbone" genannt wurde. Er trug immer die Tracht seiner Gegend. Sein Temperament anlangend, war er von großer Liebe zur Ruhe und Gemächlichkeit, von vielen und anhaltenden Arbeiten, von Entbehrungen und Nachtwachen aber gar kern Freund; bei Tische durfte er durch Geschälte nicht gcnörl werden. Zu entflammen war er nur, wenn es altem Recht und Herkommen, religiösen Dingen oder der über Alles thcurcn hciinathlichen Erbe galt. Einen solchen Mann, der bei einer starken, körperlichen Con- stltution den Sinn und den schlichten Verstand der Gebirgsbewohner in sich vereinigte, ohne deswegen ein überlegenes Talent zu sein, verlangte die Natur deS Tirolers an oberster Stelle. In den beiden ersten Epochen des Tirolcrkriegcs war der Sandwirth, oder wie er von den Franzosen genannt wurde General Scnvird, Obcrcominandant der Paffeprer, in der dritten nach den glücklichen Treffen von Innsbruck und Hohenems Obercommandant im gesammten südlichen Tirol. Auf der Höhe der Macht und res Lebens stand der Sandwirth, als das Landvolk am Berge Jsel die Baiern unter dem Marschall Leföbre besiegt hatte und der fromme Bauer aus Paffepr in Triumph in Kaiser Mar's Stabt, in Innsbruck cinritt. Sein erster Gang war nach der Kirche. Jung und Alt jubelte ihm entgegen, er aber wehrte alle Huldigungen mit den Worten ab: „Bst, bst, jetzt beten und „it schreien. I nit und OcS nit — der droben!" Er nabm das Ruder der obersten Civil- und Militärgewalt in die Hand und nannte sich K.K. Obercommandant in Tirol. Sein Regiment war sehr einfach und rein patriarchalischer Natur. Aus dem Hauptquartier des Kaisers und deS Erzherzogs Johann trafen Abgeordnete ein, die ihm dreitausend Diäten und eine große goldene Gnadenkette mit der goldncn Verdienstmedaille überbrachten Sein Stern neigte bereits dem Untergange zu.
(Schluß folgt.).
Redaktion, Druck und Verlag der Mceh'scheu Buchdruckerei in NrueudSrg.