nicht, wie ein großer, städtisch gekleideter Mann von der andern Seite daherkam, manchmal stehen blieb und in einem Buche las, dann wieder sinnend und denkend vorwärts ging. Sobald der Herr des Kindes ansichtig wurde, machte er Halt, ungewiß, ob er nur ruhe und schlafe oder von der entwurzelten Eiche beschädigt worden sei. Hierauf schob er sein Buch in die Tasche und eilte hastig auf den Plaz. „He da junger Freund, wo fehlt dir's?" fragte er freundlich und legte die Hand auf die Schulter des Jungen. Dieser sah auf — sein Lehrer stand vor ihm. Er. schrecken fuhr er empor und suchte verlegen seine Thränen zu verbergen. „Was machst du so ganz allein im Walde hier?" fragte der Lehrer wieder. „Mäßige deinen Schmerz um den Geschiedenen! Der Allmächtige im Himmel, Versorger aller Wittwen und Waisen, wird auch dein Vater scpn. Als der Netteste unter deinen Geschwistern mußt du ohnehin der Mutter am kräftigsten zur Seite stehen."
Diese liebevollen Worte verfehlten ihre Wirkung nicht- Anton faßte sich ein Herz und erzählte dem Lehrer offen seine Hoffnung, seine Täuschung.
„Ich kenne das," sagte dieser, als der Kleine geendet; „die Reichen werden immer hartherziger und die Armen fallen Mann fär Mann den Wucherern in die Hände, welche wie Raubvögel auf jede Gelegen- heit lauern. „Laß nur gehen," fuhr er nach kurzem Bedenken fort, „der Herr verläßt Euch nicht. Ich habe mehrere Gemeinderechnungen zu Hause. Deine Handschrift kann sich mit der eines jeden Scribenten messen und ich will dir die Copie übertragen. So erhalten die Gemeinden um billiges Geld eine Rein, schrift und du einen Verdienst für mehrere Wochen."
Wer schildert uns den glühenden Dank des Knaben? Er hätte niederfallen mögen und laut zum Himmel aufjubeln. Wie freut er sich jezt, seinen braven Lehrer nie betrübt und nach den besten Kräften gelernt zu haben! Wie hätte er je daran gedacht, daß die Schreibkunst, welche er mit so viel Lust und Liebe getrieben und tüchtig eingeübt hatte, für ihn und seine Ange- hörigen in höchster Noth einen Schuzdamm gegen den Hunger bilden würde? O, man lerne mit Ausdauer selbst die kleinste Kunst üben, denn sie kann in trüben und stürmischen Tagen unser einziger und lezter Rettungsanker werden.
Anton schrieb und rechnete und arbeitete sich von Tag zu Tag tüchtiger hinein. Das Honorar siel weit besser aus, als er je geträumt. Es war ein hoher Freudentag, als die kleine Familie nach einigen Wochen das Armenhaus wieder verließ und ein Stübchen in Micthe bezog. Wohl tauchten manchmal trübe Ge- danken auch an die Zeit, wo die Rechnung geschrieben, der Winter mit seinem grimmigen Gesicht vor der Thür stehen und jede Arbeit, jeder andere Verdienst stocken würde. Aber eine innere Stimme rief stets dazwischen: „Vertrau auf Gott! Er hat bisher geholfen und wird weiter helfen" und hielt so den Muth des Knaben aufrecht.
„Nun Anton, fragte eines Morgens freundlich der Lehrer, nachdem er den Lag zuvor in der Stadt gewesen, und einen Theil der Rechnungen an die ein
schlägigen Behörden abgeliesert hatte, „wie weit bist du gestern mit deiner Arbeit vorgerückt? Halte dich nur tüchtig daran, denn binnen acht Tagen muß die Eopie vollendet und du selbst — reisefertig sexn " Vor Schrecken ließ der kleine Scribent die Feder fallen und blickte fragend auf zu seinem Wohlthätcr.
„Staune nur! — es ist so. Höre mich an," fuhr dieser fort und sezte sich an den Tisch. „Ich war gestern in der Stadt und aß nach alter Gewohnheit im goldnen Hirschen zu Mittag, wo ich vor Zeiten als Hauslehrer die Kinder instruirte. Auf meinem Plaze lag eine geringe Partie Rechnungsauszüge, die erst Mittags ihren Herrn finden sollten und zu meiner Rechten saß ein nobler stattlicher Herr, dessen Uhr, Ringe und mit Edelsteinen besezte Dose wohl schwerer wogen, als drei unserer reichsten Bauern zmammen. Zufällig blickte der Fremde auf die Scripturen, fie schienen ihm zu gefallen. «Schön geschrieben," meinte er, «ganz nett und zierlich, — ächte Kaufmannsschrift — wie lauter junge Commis. Wohl ihre eigene Hand, Herr Nachbar?
»Nein,« antwortete ich und reichte dem Herrn die Rechnungen zur Einsicht; es ist die Schrift eines meiner Schüler, eines dreizehnjährigen Knaben, der eben so trefflich schreibt als rechnet.«
«Warum nicht garl" bemerkte ein wenig ungläubig der Fremde; «das will viel heißen. Wozu ist der Junge bestimmt? Doch nicht zu einem Bauern? Er soll sich ohne Weiteres dem Handclsstande widmen und kann mit der Zeit ein tüchtiger Geschäftsmann werden."
Ich schilderte ihm nun deine ganze Lage von Anfang bis zu Ende mit dem Bemerken, daß jeder Kaufmann Gottes Lohn verdienen würbe, der sich deiner annehmen möchte- Der fremde Herr besann sich ein wenig, nahm «ine Priese, reichte mir dann mit einer leichien Verbeugung diese Adreßkarte und sagte; „Ich bin der Kaufmann W. aus Zrankfurt,besize ein ausgedehntes Lager, Commissions- und Speditions-Geschäft und will den Knaben als Lehrling aufnehmen. In acht Tagen kann er eintrcten. Das Lehrgeld erlasse ich ihm; dafür muß er zwei Jahre länger im Geschäfte bleiben. Füllt er seinen Posten aus, so erhält er diese zwei Jahre das übliche Salarr eines,Commis, wenn nicht, so arbeitet er umsonst. Hier ist eine Ka- rolin Reisegeld; hat der Knabe keine Lust, so sep eS ein Almosen.
«So sprach der Kaufmann und ich schloß mit tau- send Dank in deinem Namen den Vertrag ab. Der Herr Gastgeber lobte mir später auf Befragen den Fremden Uber die Maßen und erzählte mir, daß jeder Lehrling bei diesem Geschäfte immerhin auf rechtlichem Wege so viel verdienen könne, um Kleider und Taschengeld damit zu bestreiten. Nun entscheide dich: willst du oder nicht?"
„Ob ich will?" rief der Knabe und bedeckte die Hand seines Wohlthäters mit heißen Thränen des Dankes. «O mt tausend Freuden! — aber — meine arme Mutter?"
«Deine Mutter werde ich diesen Vormittag noch inKenntniß davon sezen. Es ist besser, Ihr trennt Euch wenige Jahre, und du lernest etwas Tüchtiges, als daß Ihr zusammen troz aller Arbeit Jahr aus Jahr ein mit Hunger und Elend kämpft. Laß das nur meine Sorge sepn, danke dem Allmächtigen für dieses unerwartete Glück und arbeite tüchtig vorwärts."
Freudig ward der gute Rath befolgt. — (Fortsezung folgt.)
Redaktion, Druck und Verlag der Mceh'schen Vuchdruckerei in kleuenbürg.