dauern, der keine Linder hatte und demnach zu jeder Arbeit fremde Leute herbeiziehen mußte. Der würdige Mann saß gerade mit seiner Frau beim Mittagessen, machte mit dem Löffel unterwegs halt und hörte dem Kleinen geduldig zu.Richtig!« sagte er zulezt, als dieser geendet »du willst die Feldarbeiten lernen. Hab uicht« dagegen und kannst schon Morgen früh mit dem Viehhütcn anfangen. Bezahlung will ich keine fordern, weil ihr arme Schlucker sepd, für die Beköstigung na­türlich mußt du halt selber sorgen « Noch einmal sezte Anton an, um dem Baure», der sich stellt», als habe er kein Wörtchen von seiner Bitte verstanden, solche wiederholt und deutlich zu erklären. Da zeigte dieser streng und ernst mit der Hand nach der Thürc, mit der andern sezte er den paussrenden Löffel wieder in Bewegung und war nicht weiter zu sprechen.

Damals blühte überhaupt den Arbeitern undTaz- löhnern selten eine gute Stunde. Der Strom der Auswanderung hatte sich nach Ungarn, Australien und insbesondere» Amerika ohne'daß wir lcjterer das Wort reden wollen noch keine so mächtige Bahn gebrochen, wie gegenwärtig. Dem Bauern standen Arbeitskräfte im Ueberflüffe zu Diensten und so kam «S, daß er den armen Tagwcrker manchmal nicht viel besser und oft noch schlechter behandelte als sein Vieh. Anton machte noch manchen vergeblichen Schritt. Der Eine bedurfte keine Beihülfe, Andere mochten oder wollten nicht, Andere verspotteten den Jungen und wieder Andere zeigten nicht gerade sonderlich freundlich zum Abmarsche auf die Thüre, zu der er hereingckom- men. Nach zwei Stunden trat er ans dem lezten Hause, ganz mit demselben Resultate, wie aus allen früheren, und überlegte traurig, was nun beginnen? Noch blühte ihm eine Hoffnung. Hinaus gings auf di» Landstraße, von da auf einem Seitenpsade eine gute Stunde in den Wald hinein, durch Büsche und Hecken auf die Waldmühle zu. Ihr Besszer galt all­gemein für einen reichen und nicht unebenen Mann, der außer der Mahl- und Schneidemühle noch ein schönes, geschloffenes Gut besaß und sicherlich einen Arbeiter verwenden konnte. Der Müller, eine mehr als wohlgenährte Natur, dem größten seiner glozenden vollgepropften Mehlsäcke nicht unähnlich, saß im Hofe, schmauchte behaglich sein Pfeifchen und beschäftigte sich mit Nichtsthun. Bei dieser Arbeit half ihm sein Sohn, «in junger Aufschößling, der schon mehr auf das väter­liche Erbe dachte und pochte als nöthig.

Du suchst also Arbeit,» meinte der Müller phleg­matisch, nachdem er den kleinen Bittsteller angehürt. Ganz recht! daran soll es nicht fehlen. Du kannst jeden Morgen herauskommen und Abends wieder heimgehen.> Mittags fällt schon immer so viel vom Tische ab, daß du dich tüchtig damit sättigen kannst.«

Gebt mir auch einige Kreuzer Lohn, Herr Müller, ich bitte inständig darum um Gotteswillen!» flehte der Knabe mit Thränen im Auge.Ich muß meine Mutter, meine Geschwisterchen damit ernähren.«

«Sonst nichts?« rief der Jungmüller und ließ seinem lauten spöttischen Lachen freien Lauf. «Die Hand her! eingeschlagen! Heute nach zehn Jahren um dieselbe Stunde sprichst du wieder vor und dann gilt der Akkord. Jezt mach' und such das Weite, sonst helff ich Dir laufen.«

Der Knabe weinte laut vor sich hin und verließ die Mühle. An der Hofthüre stand die Müllerin mit ihrer kleinen Tochter und fütterte das Geflügel. Als Anton vorbeiging, reichte ihm das Kind, welches das Gespräch mitangchört haben mochte, unbemerkt sein Butterbrod und lief in das Haus.

Wie fröhlich war sonst Anton, an der Hand seines Vaters, durch den Forst geeilt! Damals achtete er auf die Bienlein, wie sie emsig sammelnd von Blüthe zu Blüthe über die duftende Heide hinsummten; da­mals lauschte er begierig dem Hellen, kräftigen Schlage der Amselm und Drosseln, welche bei ihrem schmet­ternden Wettgesange munter von Zweige zu Zweige hüpften; damals folgte er mit freudestrahlenden Bli­cken den flinckcn Eichhörnlein, wie sie schnurrend und pustend die Bäume hinaufkletterten und behend von Ast zu Ast sprangen. Heute nicht. Das Auge zu Bo­den gesenkt und kaum eines Gedankens mächtig, »än­derte der Junge durch das grüne Gehege und gelangte an den Ausgang des Waldes, er wußte selbst nicht, wie? Je näher er aber dem Saume des schattigen Blätterdachcs kam, desto mehr zögerte sein Tritt, desto trüber und ängstlicher stierte sein thränenschwercS Auge, desto gewaltiger schlug und zuckte sein Herz unter der Wucht des Schmerzes, der ihn darnieder beugte. Sollte er hinaustretcn auf das freie Feld, wo das hcimath- liche Dach ihm von Ferne entgrgenschimmerte? Sollte er heimkebren ohne jeden Erfolg, ohne ein Fünkchen Trost und Hoffnung, ohne jegliche Aussicht auf die Zukunft? - Nein! Unwillkürlich verließ er den Hauptweg und bog in einen Scitenpfad, der sich zwi­schen hohen Eichen und Buchen in den Wald verlor. Sein jugendlicher, aber sonst so willensstarker Geist drohte zu erliegen, und den durch Leiden und Elend, durch Hunger und Müdigkeit geschwächten Körper nicht länger zu stüzen. An einem Baumstamme, den der Sturmwind gefällt und quer über den Pfad geschleudert, kniete der Knabe sich nieder, stüzle die Arme auf und blickte nach dem Vater aller Wittwen und Waisen. O Gott, betete er mit schwacher Stimme,verlaß uns nicht!" Du hast unfern Vater hinwcggcnommca und wirst seine Kindern nicht verhungern lassen. Und Lu, o heiliger Antomus, mein Namcnspatron, bitte für uns am Throne des Allerheiligsten I Nicht für mich ich will gerne darben und leiden - nur für meine arme Mutter, für meine Geschwisterchen. Dein Gebet wird immer erhört... Der Knabe ließ erschöpft da» Haupt auf die Hände sinken, nur seine Lippen bewegten sich fort und fort im stillen Gebete.

X (Fortsezuog folgt.)

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^ (Leider abgeschafftl) Nach den Rechnungen der Stadt St. Goar aus dem 15. bis in's 18 Jahrhun­dert floff-n jährlich 20 bis 30 Thaler in die städtische Caffe au« der Versteigerung der Jungfrauen. Auf Ostermontag nämlich wurden alle Jungfrauen auf dem Nachhause an die jungen Männer versteigert, was dann die Folge hatte, daß die angesteigcrte Jungfrau das ganze Jahr hindurch nur mit ihrem Ersteigerer tanzen durfte, und dieses hatte sodann wieder die wci» tere Folge, daß aus der lieblichen Tänzerin sehr häufig die geliebte Gattin wurde.

Redaktion, Druck und Berlax der Mreh'jcheu Buchdruckerei in Venrnbür».