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König Friedrich von Württemberg und die Kaullas.
(Von Leopold Kompert.)
Im Feuilleton der »Neuzeit -, finden wir aus der Feder des rühmlichst bekannten Novellisten Nr. Leopold Kompert ein liebenswürdig erzähltes Geschichtchen, das wir nachstehend mittheilen:
Draußen „im Reich", vom lieblichen Neckar durchströmt, liegt ein Städtchen, wenn wir nicht irren, Freudenthal mit Namen. Daselbst lebte vor etwa 50 Jahren inmitten einer kleinen Gemeinde ein armer hun- riger Rabbi. Wir sagen hungrig, weil schon vor einem halben Jahrhundert so ein Gottesgelehrter cs nicht verstand, seine Verdauungsorgane und die seiner sechs unversorgten Kinder mit den Ansprüchen, die ein gesunder Appetit an sie stellt, in richtigen Einklang zu bringen. So kam es, daß der hungrige Rabbi sich oft mitten in seiner geistigen Arbeit hinweg von den alten Folianten, von denen er nicht satt wurde, in die freie Natur hinausstahl, aus keiner anderen Absicht, als um seinen Hunger spazieren zu führen. Auf einem dieser § Spaziergänge fühlte das arme Nabbinerlcin seinen Magen wie nicht minder sei» Herz besonders gedrückt ! und geängstigt. Sechs unversorgte darbende Kinder, ^ und er hatte doch so viel gelernt, und während so j Mancher von seiner geistlichen Heerde, der nur in - «Hasenhäutchen und Kalbfellen machte", sichtlich gedieh; und fett wurde, war er allein bei allem Forschen und ! Grübeln im Gottesworte arm und mager wie eine Kir- ; chcnmaus geblieben. Ein Gefühl äußerster Entmnthi- ! gung war über den kleinen Rabbi gekommen; in der Nähe rauschte der Neckar so lieblich gchcimnißvoll, und ! ich weiß nicht, was geschehen wäre, wenn in diesem Augenblick nicht ein Ereignis cingctrctc», das dem Schicksale des armen Gottcsgclehrten eine entscheidende Wendung für das ganze'Leben gab. Ans der Landstraße rollt eine Equipage einher, ans dein Bocke sizt ein reich gallonirter Kutscher, einen mächtigen Dreimaster auf dem wohlbcpuderten Haupte, während drin im Wagen zwei Herren sizen, vornehme Herren ohne all> n Zweifel.
Der Wagen kommt näher; schon hat das arme! Nabbinerlcin den einen der im Wagen rechts sizcndcn Herren erkannt, es ist — wer schildert seinen Schre- z cken! sein eigener, ihm aus Bildern bekannter Herrscher,
der König von Württemberg selbst. Aber nur einen
Augenblick währte diese aus Furcht und höchster Ehrfurcht gemischte Empfindling des Rabbi, schon im uäw- stcn erinnerte er sich der religiösen Vorschrift, die ihm ! gebot, beim Anblick eines gekrönte» Hauptes den gebräuchlichen Segensspruch zu verrichten Und so lieb er denn, ohne den Hut abzunehmen, während der Wagen an ihm vorüberrollte, seine Hände auf und sprach mit lauter weithin vernehmlicher Stimme in der heiligen Sprache der Offenbarung den Segcnsspruch über seinen König und Herrn. Da gebot ein mächtiges Halt, das, der Wagen stille stand. Der König selbst winkte das arme Nabbinerlein zu sich; demüthig und mit cingebogcucm Nacken folgte er dem königlichen Rufe. »Was hat Er da gesprochen?" fährt ihn der Herrscher mit einer Stimme an, die dem zitternden Gottcsgclehrten wie die Posaune am Tage der Aufer
stehung klingt. Aber er faßt sich, ein wunderbarer Muth kommt über ihn, hat er doch nichts Schlechtes gethan und gesprochen,? und so erklärt er denn dem mächtigen Herrscher, wie es ihm seine Religion befehle, über dessen gekröntes, von ihm noch nie erblicktes Haupt die gebotene SegcnSformel zu sprechen. »Sage Er mir den Spruch noch einmal her, aber deutsch." gebietet der König. Das Rabbinerlein »rahm alle seine Uebersczungskunst, die freilich nicht stark war, zusammen und wiederholte den also lautenden Spruch: „Gelobt kepst du Gott, unser Gott, König der Welt, der du einen Abglanz deiner Majestät Menschenkindern zu Theil werden ließest!-- Es war ein cigenthümlicheS Lächeln, das in diesem Augenblick um die Mundwinkel König Friedrichs von Württemberg spielte. Mußte er an seine Stände denken, mit denen er gerade damals wegen einiger nicht unwesentlicher Souveränetätsrechte auf gespanntem Fuße lebte, daß ihm gerade dieser Ausspruch des kleinen Rabbi, dessen Religion von der Souveränetät der gekrönten Häupter einen so hohen Begriff bat, daß sie für deren Anblick eine eigene Se- gcnsformel festsezte, so überaus wohl that? ;„Wer ist Er, mein Freund?-- fragt der König. Der Rabbi nannte seinen Stand und Namen. „Es scheint Ihm nicht am allerbesten zu gehen, wie ich sehe,-- fährt der Herrscher fort, dessen scharfes Auge bis in das Innerste des gottcsgclehrten Magens gedrungen zu seyn schien. „Wie viel Gehalt hat Er?" „Zweihundert Gulden, Ew. Majestät, und dazu sechs unversorgte, hungrige Kinder.-- „Und davon untersteht Er sich zu leben?- ruft der König;-- „weiß Er was. Er soll von nun an siebenhundert Gulden habe».-- Himmel und Erde drehten sich im buchstäblichen Sinne des Wortes im Wirbeltanze um den armen Rabbi, die Kniee brachen unter ihm zusammen und eine Ohnmacht wandelte seine Sinne au. In demlelben Augenblicke hört er jedoch wie der dem König zur Linken sizcnde Herr halblaut fragt: „Majestät, aus welcher Kasse?-- - Das Antliz des gekrönten Herrschers legt sich in krause Falten, unter den buschigen Augenbrauen blizt cs so wild und energisch hervor. Muß er wieder an seine renitenten Stände denken? und er, der Souverän von Gottes Gnaden, sollte einem arme» Rabbi keinen Zuschuß bewilligen dürfen? „Ei was!-- ruft mit einem Male König Friedrich, und die Falten in seinem Antlize ! waren geschwunden, „die Kaullas sollen eS zahlen,-- Der Wagen rollte von dannen.
> Wenige Tage darauf erhielt der Chef der Familie § Kanlla, der nicht nur in seiner Stellung als Hofbankier, viel mehr noch durch Werke der edelstcnHMensch- lichkeit bekannt war, aus der Cabiuctskanzlci ;dcs Königs ein Schreiben des Inhalts: wie Se. Majestät es allergnädiqst vermerken würde, wenn der re. Kaulla dem Rabbiner in Freudciuhal, der nur zweihundert Gulden Gehalt, dabei aber scchsAunversorgte Kinder habe, einen jährlichen Zuschuß von fünfhundert Gulden und zwar für dessen Lebenszeit aussezen würde. Am Ende des Schreibens fehlte dass;,,Ihr wohlaffcclionirter König-- nicht. — Und die Kaullas?
Sic zahlten dem kleinen Rabbi von Freudenthal nicht nur, so lange er lebte, den ihm vom Könige auf so cigentbümliche Weise ausgcworfenen Zuschuß; sie dehnten, als er von dieser Erde geschieden war, ihre Wohlthat auch auf dessen Wittwe und Kinder aus. So verstand diese ehrenhafte Familie, die allenfalls gegen die ihr i» etwas zu souveräner Wunschform auscrlegte Steuer hätte remonstrirc» können, den Ausspruch ihres Königs: „Die Kaullas sollen cS zahlen!-- (Fr. K-^