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Der Diener eilte den übrigen Leuten voraus, die Marmorstufcn hinab und traf bald einen Mann, der mit einem gewissen Granen die Wände des Flurs, so wie die jczt die Treppe hcrabkommcnde Dienerschaft betrachtete. Dieser Mann war noch jung, in schwarzen Sammet gekleidet, jedoch ohne die vielen Edelsteine, welche den Anzug der Cavaliere bedeckten; ein Degen hing an seiner Seite.
Die regelmäßigen Züge seines Antlizcs waren bleich, scp es von Natur oder nur in Folge eines jähen Schrecks; sein schwarzes Haar wallte in dichten Locken um den cntblösten Hals und ein paar gerundet kräftige Schultern.
Wie Beatrice vorhin vergessen, nach dem Namen des Mannes zu fragen, so vergaß auch jczt der Diener diese Frage.
„Die Signora erwartet Sie, mein Herr!" sagte er übereilt und wendete sich, die Treppe wieder hinan zu schreiten.
Der Mann folgte ihm ohne Zögern und trat in das Zimmer der jungen Dame. Hier erst nahm er das Baret vom Haupte; denn es war damals Sitte der Cavaliere, in Gegenwart der Diener selbst in den Zimmern bedeckt zu bleiben.
„Mein Herr!" . . . rief Beatrice überrascht „Ich kenne Sie nicht! Ich glaubte einen Freund des Hauses zu empfangen!"
^A>cr junge Mann verbeugte sich tief.
^ , „Wie sollten Sie auch einen unbedeutenden Künst- tcrbstennen!" antwortete der junge Mann bescheiden. „Ich bin Waler, mein Name ist Guido Reni; leider betrete ich dies Haus, um durch meine Nachricht das Unglück desselben zu vermehren, und kaum weiß ich, ob ich wagen darf, meine unheilvolle Mittheilung zu machen!"
Beatrice trat einen Schritt zurück und betrachtete den jungen Mann mit fragenden Blicken; sein Antliz verkündete Unheil, daran war nicht zu zweifeln.
„Sprechen Sie!" sagte sie nach kurzer Pause erwartungsvoll. „Das Schlimmste, was mir geschehen konnte, ist geschehen; da Sie es bereits zn wissen scheinen, so habe ich wohl nicht mehr nöthig, dem Ent- sezen einen Namen zu geben. Ich bitte Sie, sprechen Sie!"
Der Künstler verbeugte sich.
„Signora!" antwortete er, „mit einem Freunde war ich Zeuge, wie ein junger Cavalier auf der Straße von Andia nach Rom meuchlings erschossen ward; wir hoben ihn auf und entdeckten später an Briefen, die wir bei ihm fanden, daß er Carlo Ccnci heiße. Mein Freund läßt den Gefallenen nach dem Palast bringen, ich aber übernahm die traurige Pflicht. . . Hier sind die Briefe! Gestatten Sie mir meine aufrichtige Theil- nahme mit dem doppelten Mißgeschick, von dem Sie betroffen wurden, an den Tag zu legen! Zugleich stelle ich mich Ihnen zur Verfügung, wenn Sie' meiner Dienste bedürfen sollten!«
Lcichenbläffe bedeckte Beatrice's Antliz während der Rede des Malers. Vielleicht war sie einer neuen Ohnmacht nahe; doch sie beherrschte die sie anwandelnde Schwäche und obwohl ihr Auge starr vor Schreck an de n Lippen des Kü nstlers hing, nahm sie doch die ihr
von demselben überreichten Briefe und warf einen flüchtigen Blut hinein.
„ES ist Carlo!" flüsterte sie zitternd. „ES sind Briefe von Guerra — von Gucrra!"
Guido Reni warf der Zofe einen bedeutungsvolle» Blick zu, als wolle er sie an «ine Pflicht mahnen, da Bcatrice bei dem leztcn Ausrufe heftig zurückfuhr. Hie aber hielt sich ausrecht.
„Mein Herr," sprach sic bebend, nicht wahr, Sie bieten mir Ihre Dienste an?"
„Ich würde glücklich scpn, wenn Sic dieselben annähmen!" antwortete Guido.
„Ja, ich nehme sie an; Sie find wahrscheinlich zu Pferde gekommen?"
„Allerdings s»
„So eilen Sie nach Rom in den Palast Caffa- relli, suchen Sie dort den Ritter Guerra auf und bitten Sic denselben in meinem Namen, sogleich hierher zu kommen!"
Der Künstler verbeugte sich statt der Antwort und verließ schnell das Zimmer und das Haus, um sich auf sein Pferd zu werfen und nach Rom zu galoppiren.
"Wir sind verloren, Maria!" rief Bcatrice, „ich erkenne in Allem das cverk Camillo's. Wir sind verloren !"
Maria antwortete nicht. Bcatrice bedeckte ihr bleiches Antliz mit den Händen und brach in lauteS Schluchzen aus. Endlich hatte der Schmerz den ihm von der Natur angewiesenen Weg gesunden, den ihm »er Schrecken so lange versagt halte-
D e heißen Thränen der armen Bcatrice hatten die gewöhnliche Wirkung; leider aber tollte sie nur Erleichterung bekommen, um neue Schläge zu empfinden.
Der Hufschlag eines Pferdes erdröhnte auf dem Hofraum der Villa. Giuseppe war es, der zurückkehrte» um bleich, verstört und athemlos in das Zimmer Beatrice's zu stürzen.
„Signora!" keuchte er, "die Signora Cenci und Ihr Bruder wurden, als ich in Rom vor dem Palast anlangtc verhaftet und in die Engclsburg geführt!"
(Fortsczung folgt.)
In einem Nekrolog der Herzogin von Kent in der Allgemeinen Zeitung wird Folgendes erzählt. Als die Nachricht vom Ableben des Königs Wilhelm IV. nach Kensington-Honse gelangte, war der erste Gebrauch, den die junge Victoria, gegenwärtige Königin, von ihrer königlichen Machtvollkommenheit machte, daß sie sich in autoritativer Weise eine Taffe starken Thce'S und die Times bestellte. Beide Genüsse waren ihr bisher versagt gewesen, der Thee mit Rücksicht auf ihre nervöse Reizbarkeit, die Times aus anderen Erziehungs- gründcn. Der Diener wagte cs nicht, sich dem königlichen Befehle zu widersezen, und brachte die verlangten Gegenstände. Kaum jedoch war der Wille der jungen Königin erfüllt, so fiel sie schluchzend ihrer Mutter um den Hals und bat sie flehentlichst, doch den Thee für sie zu trinken, und die Times wurde uner- öffnet wieder hinweggetragen.
Die fünf Wächter in der vorigen Nummer: Die Augen, die Ohren und das Gewissen.
Redaktion, Druck und Verlag der Meeh'schen Buchdruckerei iu Neuenbürg.