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Name, Vermögen und Rang Zutritt bei allen Ge­lehrten verschafften, und der sich erlauben durste, den­selben mit seiner fpizen aber ungefährlichen Dialektik zu widersprechen. DsLer von Rang ist, beweist mir auch der Umstand, daß er keinen Widerspruch ertragen kann und sich für unfehlbar hält. Er behandelt den Fürsten ganz wie seinesgleichen, obschon er der feinen Sitte äußerlich nichts vergibt; aber er widersprach ihm gestern Abend beinahe in allen Dingen, und ich glaube, die Durchlaucht ist nicht allzu sehr von ihrem Gaste erbaut. Eine Untugend hat dieser Herr von Eisberg namentlich, welche mir nicht dchagt: unstreitig ein Mann von sehr vielseitigem Wissen und scharfem Verstände, läßt er im Gespräche den Gegner ruhig zu Ende reden, erlauert sich irgend eine schwache Seite seiner Behauptungen und Beweisgründe, faßt diese dann auf und bemüht sich, sobald der Andere geendet, demselben unter der Form einer Belehrung oder Be­richtigung mit seiner Dialektik und Casuistik eine ba­nale Niederlage zu bereiten, oder vielmehr ihm mit der gehaltensten Ruhe geistig Das zu geben, was man jenseits des Rheins im gemeinen Leben u»e donne rLclee, einen Buckel voll Prügel, nennt. Das hat er gestern Abend auch mit mir versucht, aber in einer Sache, die ich als Praktiker unstreitig besser verstand als er, der nur über erlerntes Gedächtniß- und Büchcrwiffcn, ver­bunden mit einiger Anschauung, gebietet; allein da -ich nie eine Sache behaupte, die ich nicht ganz verstehe, und bei DiScuffionen gleichfalls ruhig bleiben kann, so vermochte ich den Angriff des Herrn von Eisberg ruhig zu pariren und ihn sogar zu entwaffnen. Ließ hat seine Eitelkeit sichtlich gekränkt, und der Blick, den er mir zuwarf, sowie die kühle Begegnung von heute früh, geben mir die Ucberzeugung, daß er mir dieß nie verzeihen wird! Meinethalben denn! -

Uebermorgeu schon gedenke ich von hier abzureiken, liebe Mathilde! Ich muß es wgar, um aus jenem innern Zwiespalt hcrauszukommen, welcher wie ein Alp auf meinem Gewissen, meinem Ehrgefühl lastet. Und doch werde ich ungerne gehen. Alles an dieser Familie ist so anmuthend, so gediegen, so human. Schon das Schloß macht einen eigenthümlichen traulichen Eindruck. Alles ist wohnlich und comfortabel; da ist keine Sucht nach Alterthümlerei, nach romantischem Festhalten an dem Baustpl des Mittelalters. Obscho» aus einer alten, weitläufigen und sehr wehrhaften Burg entstan­den, hat doch seit den Bauernkriegen jedes Jahrhundert seinen Theil zu dem alten Bau hinzugefügt oder an demselben restaurirt und umgcstaltet. Allein die Für­sorge des jczigcn Besizers gebt nur dahin, jedem die­ser Theile seinen Charakter und sein Gepräge zu be­lassen, blos auf die Erhaltung und Sicherheit des gan­zen Gebäudes bedacht zu sepn, und jeder Unordnung zu steuern. Dieß gibt dem Schlosse den wodlthucndcn Eindruck, den cs von außen macht, ein Eindruck, der noch bestätigt wird, wenn man das Innere betritt. Die Stockwerke sind von verschiedener Höbe und un­regelmäßig, daher durch viele Treppen und Rampen und Gänge verbunden; allein alle diese weiten, hallen­den Corridore sind alle einfach und sauber bemalt und getüncht und mit Matten aus Waldgras belegt, die Zimmer find mit einer soliden Wohnlichkeit, einem

verständigen Comfort eingerichtet, und gewähren in Tapeten, Teppichen, Möbeln und Zierralhen ein kleines kulturgeschichtliches Bild der Entwickelung der häus­lichen Einrichtungen seit zweihundert Jahren. AUeS hat styl, Alles athmet den verständigen, ruhig wal­tenden Geist und Ordnungssinn der Bcsizer. lieberall Solidität und Gi Me nnüzigkeit, nirgends jener zügellose Luxus der heutigen Panier More, jene verschwenderische Spbaritenpracht, jene raffiuirle Verschwendung, die nur da gedeihen kann, wo die Mittel dazu nicht auf dem Wege redlicher Arbeit oder umsichtiger Sparsam­keit erworben wurden, und die als Folgen von Börsen­spiel, Wucher und Schwindel leider auch bei uns sich allmählig einbürgern. Alles zeugt von deutscher Ge- müchlichkeit, deutschem Ernste und deutsche, Tüchtigkeit, und nöthigt mir das Geständniß ab: wenn unter den deutschen Fürstengeschlcchtcrn noch viele solcher Charak­tere und Familien zu finden wären, so würde dieß eine Aristokratie sepn, welche man sich füglich gefallen lassen könnte! ....

Die Frühstücksglocke tönt, und ich muß schließen, meine liebe Schwester! Gott mit Dir, und tausend herzliche Grüße von dem Bruder. Wenn möglich, sende ich Dir noch einen wettern Brief vor meiner Abreise. Nach dem Frühstück reite ich mit dem Fürsten, seinem Bruder Heinrich und dem Herrn v. Eisberg nach Hirzenborn, um die großen Eisenwerke zu besich­tigen, und heute Abend haben wir große Assembler auf dem Schlosse."

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Die Herrn waren weggeritten, und die Damen welche ihnen von den Fenstern des SpcisesaaleS aus noch mit den Au .cn das Geleite gegeben hatten, kehrten nun zu ihren gewohnten Morgcnbeschästigungcn zurück.

Komm', mein Kind," tagte die Fürstin zu Fräu­lein Thekla von Korff,laß uns ein wenig im Garten promcniren! Ich wünschte einiges mit Dir zu reden!"

Arm in Arm wandelten sie der Gruppe von Tulpen- däumen und Bignonien zu und sezten sich auf eine der Bänte.Sprich, mein Kind, wie hast Du Dich in den lezten Tagen unterhalten?" Hub dann die Fürstin an.

»Ich Mama? jenun, im Ganzen nicht übel," entgegnete das Fräulein ziemlich unbefangen.Die Anwesenheit des Herrn Nandeck brachte ein neues Leben in unsrn Kreis, und mein Inkognito erlaubt mir, mich recht märchenhaft heiler und ungezwungen gehen zu lassen, und dieß dünkt mich ein wahrer Genuß in An­betracht der langweiligen Förmlichkeit die uns sonst umgibt!"

Wie so denn, meine Liebe? ich dächte, wir hätten aus unserem Interieur roch Alles verbannt, was irgend den innigen, herzlichen Familienton stören könnte!"

Ach ja, wir unter uns allerdings, theure Mama; allein leider sind wir nicht immer allein. An zwei oder drei Abenden in der Woche haben wir offenes Haus, dann kommen Gäste aus dem Städtchen, aus der Nachbarschaft. Man tanzt, man muficirt, man plau­dert und spielt; aber mit dem ersten schwarzen Fracke, mit der ersten Sridenrobe, die in den Salon tritt, geht der Zwang der Etikette, die hölzerne Steifheit des geselligen Verkehrs wieder an. 'Ja wohl. Durch­lauft!' 'Allerdings, meine Gnädigstei' 'Wenn ich Durchlaucht untertbänigst bemerken dürfte!' und ähn­liche Papageien - Phrasen tönen Einem fortwährend in das Ohr. Man hört jeden Abend dieselben Phrasen, rieselben gespreizten Complimcnte, dieselben geistreich- scpn-sollenden Bemerkungen, die nicht einmal das Ver­dienst der Ursprünglichkeit und das Impromptu Hanen. Man hat jeden Abend dieselben Tänzer, dieselben Ge­sichter, --ja dieselbe Langeweile. Man opfert sich selbst für den thörtchtcn Zweck, Anderen glaube» zu machen, daß sie sich und uns amüsiren! . . . ."

Mein liebes Kind, welche Ideen!» rief die Fürstin betroffen,wie kommst Du nur zu solcher» Einfällen, Laura?«

(Fortsezung folgt.)