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bald mit einer Protektions-Miene zulächclte, der sich selbst ein gewisses wichtiges Air zu geben bemüht ist und zu meinem Fenster schon, auf hundert Schritte herauf schielte, bevor er mich dort begrüßt, als er­warte er einen Wink von mir, hcraufzukommen das ist der Bader, der olnrurxus mllmius I»ci ge­wesen. Er ist nicht mit sich in's Klare gekommen, ob ich ein Commis-Bopageur, ein reisender Photo­graph oder ein Maler in «eaeeil of tlie giviueebgue bin, dcßhalb ist er in den Kramladen zu ebener Erde eingetreten, hat der Frau vom Hause eine Prise geboten, der Tochter eine Flatterte gesagt, und von ihnen erfahren wollen, wer denn der fremde Herr da oben neben dem Tanzsaal eigent­lich scpcd Sic scheinen seine Neugier nur sehr dürf­tig zu befriedigen vermocht zu haben, denn er biegt im Weggehen behenden Schrittes in das alte Thor ein, kehrt wieder um, steigt die Bortreppe vor dem Postschalter hinan und reicht die Dose hinein armer Mann! der lange hochaufgeschossene Jüngling, der den Postdicnst versieht, vermag Deiner bren­nenden Neugierde ebenso wenig Genüge zu leisten! - Den Mann mit dem ledernen Schurzfell dort, wel­cher mit den beiden Juden die Straße herabkvmmt, hätt' ich auch ohne die rußigen Hände für den Huf­schmied und Vieharzt erkannt, der in einen Stall gerufen wird, denn daß die Sache Eile hat, be­weist die kalt gewordene Stummelpfeife in dem Munde des Schwarzen, und die siederische Hast von Jzig und Hcrschche. Verjünge, hagere Mcnlch dort ist ein Schreiber auf der Kanzlei des Landgerichts oder Landamts, das kann ein Blinder sehen. Die paar Handwerker des Städtch-ns, die mit der brennenden Pfeife im Munde hier rorübergckommen sind, waren alle leicht zu erkennen an den verschie­denen Attributen ihrer Gewerbe, die sie in den Hän­den trugen, oder den Gegenständen, welchen sic ihre Aufmerksamkeit vorzugsweise zuwandten - der lange, prüfende Blick, welchen der Mann in der grauen Blouse jenen paar jungen Birken- und Aspcnstämmcn vor des Nachbars Scheune zuwarf, ließ mich den Stellmacher herausfinden; und der buckelichte Aesop, welcher vorhin in's Haus trat, um sein Stehschnäpschen zu trinken, bevor er den Andern zu der Obstvcrsteigerung im Mühlgrunde voraneilte, mußte ein Meister Kniericm gewesen sepn, denn sonst hätte er meine Stiefel, welche die Hausmagd soeben zwischen Thür und Angel »uzte, keiner solchen Beobachtung gewürdigt. Den Ge- richtsdicner hätte ich auch ohne seine Uniform, die in diesem Lande jeder Angestellte, vom Kabinets- minifter bis zum Nachtwächter, zu tragen angewie- sen scheint, für den Meister Haltefest erkannt an der plump herablassenden Weise, womit er den Morgengruß von zwei Bauern erwidert, die ihm nacheü'en, als er in den Oekonomichof hineinging. Den Notar, den jungen Arzt, den Polizeidiener, den Leichenbitter, den öffentlichen Ausrufer, den dicken Bierbrauer, die Wehemutier sie alle habe schon kennen gelernt, denn sie haben nicht erman­gelt, mir Zenstcrparadc zu machen. Nur die schöne Welt von GleiSbcrg ist mir noch nicht in

einer einzigen Nepräseniation zu Gesicht gekommen. Weiber und Dirnen jedes Alters, in jeder Schatti- rung von Schmuz und Verblichenbeit der Gewänder sind hier vorbeigekommen auf dem Wege zu Bä­cker, Fleischer, Milchfrau, Krämer u. s. w.; aber noch nicht eine einzigeschöne Seele," und doch ist cs halb zehn Uhr. Das rettet in meinen Augen den guten Ton von Gleisberg als fürstliche Resi­denz. Vorhin ist zwar ein Damcnpaar in Hüten mit grünen und blauen Schleiern dort unten weit zur Linken vor dem Hause mit rem säulengetrage- tragencn Balkon in eine Kuts-be gestiegen, welche ich für die eines Arztes zu erkennen wähnte ich vcrmuthe stark, daß jenes Haus der lange, hagere Herr Medicinalrath vom gestrig.n Abende eignet allein sie hatten sich so dicht gegen die bösen Nebel verhüllt, daß auch nicht eine Nasespizc von ihnen zu sehen war. Ich habe also wohl Recht gehabt, den Empfehlungsbrief an den Finanzrath S. »och nicht abzuschicken, welchen ich mitgebracht hatte, denn er, der einer der höchste» hiesigen Würdenträger ist, dürfte wobl zu dieser Stunde noch nicht auf einen Besuch von einem wohlerzogenen Fremden rech­nen . UebrigcnS muß ich jczt eine Pause

machen, meine liebe Schwester! Die Magd bringt meinen Kaffee, der mich eher an die Felder unserer Hcimath, als an die Haine von Mokka erinnert, und ich entnehme aus ih>em gräßlichen Idiom un­gefähr so viel, daß sie jezt mein Zimmer zu scheuern und das Bett zu ordnen wünscht, und ich sehe es der drallen Dirne an, daß sic einigermaßen in mei­nem Gesichte sucht, ob ich auch mit den Bequemlich­keiten der mir angewiesenen Stube zufrieden bin. Sic betheuert, daß ich weit besser logirt worden wäre, wenn nicht soeben in dem Zimmer zur Rech­ten der Herr Amtsrevisor aus Salstein mit seinem Geholfen wohnte, der eine Revision aus dem Amte vorzun-hmen habe, aber am Abend wieder abreise, worauf ich in jene, die eigentliche Gastüube, übcr- siedelt werden solle. Ich habe schon erratben, daß ich hier eigentlich im Quartier des Sohnes vom Hause liege, der um meinetwillen in eine Spcichcr- kainmer verwiesen ist, und ich versichere daher das Mädchen freundlich, daß ich mit dem eventuellen Tausch einverstanden sep. Bis sie meinen Brief an den Finanzruth bestellt, habe ich hoffentlich mein Frühstück beendigt und werde dann einen Gang durch das Städtchen und auf jene Höbe im Westen desselben machen, die ich von meinem Fenster aus sehe und die eine hübsche Aussicht zu bieten scheint. Darum breche ich vorerst ab, mein lieb Schwester­chen . . . ."

Mittags zwölf Uhr, vom fürstl.Schlosse aus.

Nur zwei Stunden später, meine tbeure Mathilde, und dochwiederum ein ander Bild!" Ich weiß nicht recht, wie es mir zu Muthe ist und ob ich wirklich wache: aber ich stehe auf der Schwelle eines RomanS voller Abenteuer: ich komme mir vor wie in einem Mährchen! Höre nur. Ich hatte kaum gefrühstückt, so stülpte ich den Hut auf, spazierte quer durch das Städtchen, wo alle Leute an die Fenster eilten, um mich zu sehen, und die auf der Straße stehen blieben, um